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Netzpolitik.org hat ein Wiki-Provisorium zum Entwurf eines neuen Telemediengesetzes eingerichtet

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Spätestens seit Mitarbeiter großer Unternehmen in Ministerien an Gesetzentwürfen mitarbeiten, hat es sich herumgesprochen, dass der Teufel bei politischen Fragen im Detail sitzt: Ein Gesetz kann angepriesen, verkauft oder benannt werden, wie es will – entscheidend für seine Auswirkungen sind die Formulierungen.

Das im letzten Jahr in Kraft getretene Telemediengesetz sollte mehr Rechtssicherheit schaffen, bewirkte aber bisher eher das Gegenteil. Am letzten Donnerstag debattierte der Bundestag deshalb Änderungsvorschläge der Linkspartei, der FDP und der Grünen.

Die Entwürfe der beiden letzteren Parteien wollen der verfassungsrechtlich problematischen Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die vom Landgericht Hamburg eingeführte Überwachungspflicht für Foren mit einem „Notice-And-Take-Down”- Verfahren begegnen. Danach würden beispielsweise Blogbetreiber erst dann für von Dritten eingestellte rechtsverletzende Inhalte haften, wenn sie einer Entfernungsaufforderung nicht innerhalb einer bestimmten Frist nachkommen. Die an amerikanisches Recht angelehnte Regelung birgt zwar die Gefahr, dass Inhalte ohne ausreichende Prüfung entfernt werden, ist aber im Vergleich zur derzeitigen Situation, in der massiv vorauseilend zensiert wird, das deutlich mildere Mittel zum Eingriff in Grundrechte.

Angeblich arbeitet man derzeit auch im Bundeswirtschaftsministerium an einem Referentenentwurf für eine Neufassung des Gesetzes. Weil in der Vergangenheit Kritik, Vorschläge und Forderungskataloge nur wenig bis gar nicht beachtet wurden und ein während des Gesetzgebungsverfahrens von elf Bürgerrechtsorganisationen gemeinsam eingebrachter 60-seitiger Forderungskatalog in der Endfassung ohne Wirkung blieb, wollen Markus Beckedahl von Netzpolitik.org und einige andere Blogger diesmal mit einem kompletten Bürgerentwurf aufwarten. Der soll über ein bei Telemedicus eingestelltes Wiki erarbeitet werden, das bislang lediglich als Provisorium existiert. Das Projekt trägt den Arbeitstitel “Alternativentwurf TMG” und soll jeden, der sich berufen fühlt, die Möglichkeit geben, eigene Vorschläge einzubringen oder andere herauszunehmen.

Gescheitertes Grünen-Wiki

Ob der fertige Text von den Regierungsparteien tatsächlich zur Kenntnis genommen wird, ist fraglich – aber es ist zumindest ein neuer Ansatz, der auch die Debatte über eine Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene befördern könnte. Beckedahl selbst machte in seinem Blog die Chancen unter anderem davon abhängig, ob ein "technisch hochwertiger" Entwurf zustande kommt.

Inwieweit so etwas im Wiki-System nicht nur für naturwissenschaftliche Lexikoneinträge, Ubuntu-Anleitungen oder Film-Trivia funktionieren kann, das wird nicht zuletzt an der Moderation liegen. Als Negativbeispiel steht ein älteres politisches Wiki mahnend im Raum: Im Juni 2005 hieß es im Spiegel und in anderen Medien werbewirksam "Grüne lassen Wahlprogramm von Internetnutzern schreiben". Bei näherem Hinsehen sollte dieses Herstellungsverfahren zwar nicht für das komplette Wahlprogramm gelten, sondern nur für einen Teil zur "Digitalen Gesellschaft" - aber das hielt eine bemerkenswert große Anzahl von Teilnehmern offenbar nicht davon ab, einige von politischen Parteien sonst ausgesparte frische Ideen einzubringen, etwa zur Änderung internationaler Verträge.

Obwohl die originellsten Vorschläge von Nutzern, die tagsüber auffällig viel Zeit hatten, immer wieder entfernt wurden, enthielt die zum Stichtag fertige Version doch immerhin Forderungen wie missbrauchssichere, kostenfreie Abmahnungen, ein faireres Urheberrecht mit ausgewogeneren Sanktionsmöglichkeiten sowie den Schutz vor DRM- und Lizenzwillkür.

Zum Abschluss hieß es, die Parteigremien müssten den fertigen Programmteil nur noch absegnen, dann hörte man einen Monat lang nichts mehr. Am 7. Juli 2005 wurde das grüne Wahlprogramm schließlich veröffentlicht – und es enthielt nichts von den im Wiki-Prinzip erarbeiteten Forderungen. Eine relativ versteckt angebrachte Bemerkung, erklärte zwei ganz allgemeine Punkte, welche nicht einmal den von Internet-Nutzern vorgenommenen Änderungen entstammten, sondern dem ursprünglichen grünen Entwurf, als "Umsetzung" des Wiki-Ergebnisses, das bald darauf klammheimlich gelöscht wurde.