In grünen Stadtvierteln leben auch die Armen länger

Nach einer breit angelegten britischen Studie verringert sich die einkommensabhängige Mortalität, wenn die armen Bevölkerungsschichten in grünen Gebieten wohnen

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Reiche und Arme unterscheiden sich nicht zuletzt hinsichtlich der Lebenserwartung und des Krankheitsrisikos. Dass ärmere Menschen früher sterben und stärker unter Krankheiten leiden, hat viele Ursachen. So schlägt sich darin nieder, welchen Arbeiten die Menschen nachgehen, wie sie sich ernähren oder allgemein, welchen Lebensstil sie führen. Nach einer Studie dürfte aber auch eine nicht unerhebliche Rolle spielen, wo die Armen und Reichen wohnen.

Man kennt sie, die Reichenviertel in den Städten, wo diejenigen, die es sich leisten könnten, unter sich bleiben, weil andere sich dort weder Wohnungen noch Häuser kaufen oder mieten können. Meist handelt es sich um stadtnahe Wohnviertel mit vielen Villen und großen Gärten in einer relativ ruhigen Umgebung. Die Wohnviertel der ärmeren Schichten sind hingegen eher durch Wohnblocks mit weniger "grünen Zonen" gekennzeichnet, die öfter an viel befahrenen Straßen liegen.

Wie Richard Mitchell und Frank Popham von der University of Glasgow in ihrem Artikel "Effect of exposure to natural environment on health inequalities: an observational population study", der in der Fachzeitschrift The Lancet erschienen ist, schreiben, haben zahlreiche Studien darauf hingewiesen, dass die Menschen, die in der Nähe von grünen Zonen wie Parks, Wälder oder Spielplätzen leben, gesünder sind und auch gesünder leben. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass sich die Menschen dort mehr bewegen, sondern allein schon die Nähe und die Ansicht von grünen Flächen könne vorteilhafte psychologische und physiologische Auswirkungen haben. Bekannt ist freilich, dass die Menschen aus den unteren sozioökonomischen Schichten sich weniger bewegen und auch weniger Sport betreiben. Aber schon die Nähe von Grünflächen könne Stress reduzieren und den Blutdruck senken.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler der University of Glasgow die Bevölkerung Englands unter die Lupe genommen, die noch nicht im Rentenalter waren (Frauen unter 60, Männer unter 65 Jahren). Unter den 41 Millionen Menschen gab es zwischen 2001 und 2005 über 360.000 Todesfälle, über die anonymisierte Daten zur Mortalität, Geschlecht, Alter und Wohnort vorlagen. Anhand dieser wurde überprüft, ob der vermutete Zusammenhang zwischen Einkommensarmut, allgemeiner Mortalität und ursachenspezifischer Mortalität (Lungenkrebs, Herzkreislauferkrankungen und vorsätzliche Selbstbeschädigung und der Nähe des Wohnorts zu Grünflächen bestätigt werden kann.

Natürlich gibt es mehr oder weniger grüne Viertel, in denen ärmere Schichten leben. Grün ist auch nicht gleich grün. Nach Angaben des English index of multiple deprivation (EIMD) wurden Wohnviertel von ärmeren Bevölkerungsschichten identifiziert, deren Bevölkerungsdichte, Urbanisierungsgrad und Zugang zu Grünzonen bestimmt und mit den geografischen Angaben von Grünzonen, mit Daten über Luftverschmutzung und anderen Umweltbelastungen verglichen.

Ganz allgemein haben die reicheren Schichten einen größeren Zugang zu Grünzonen als die ärmeren. Die ärmeren Menschen, die unter ähnlichen "grünen" Bedingungen wie die reicheren leben, haben nach der Studie Glück, denn hier ist der Unterschied zwischen ärmsten und reichsten Menschen nur halb so groß wie in denjenigen, in denen sich am wenigsten Grünflächen befinden. Das sind keine abstrakten Zahlen, denn es geht hier um zum Teil Tausende von Todesfällen, die vermieden bzw. später eingetreten wären, hätten die Menschen der untersten Einkommensschicht in der Nähe von Grünzonen gelebt. Größer ist der Unterschied noch für Herzkreislauferkrankungen in den am wenigsten grünen Wohngegenden. Bei Lungenkrebs und anderen Selbstschädigungen war jedoch kein Unterschied festzustellen. Dass die Folgen der Nähe des Wohnorts zu Grünzonen so groß sind, erklären sich die Wissenschaftler nicht nur dadurch, dass die Menschen sich dann auch körperlich mehr bewegen, sondern vor allem dadurch, dass Stress reduziert und Gesundungsprozesse schneller verlaufen. Die wirklichen Ursachen seien aber nicht klar.

Die Wissenschaftler weisen allerdings darauf hin, dass genauere Daten zur Qualität der Grünzonen, zu deren Benutzung von den Anwohnern oder zur Zeit fehlen, in denen Menschen in deren Nähe gewohnt haben. Auch die Daten über die Umweltbelastungen von Wohn- und Grüngebieten seien nicht genau genug. Aber man habe zeigen können, dass sich die Mortalität von Menschen, die derselben sozioökonomischen Schicht angehören und unter denselben sozialen Bedingungen leben, je nach Umwelt erheblich unterscheidet. Das habe gerade in Gesellschaften mit einem hohen Urbanisierungsgrad eine wichtige Bedeutung, da die Umweltbedingungen eine wichtige Rolle bei den gesundheitlichen Unterschieden zwischen reichen und armen Bevölkerungsschichten spielen. Grüne Stadtviertel sind also nicht nur schöner – für manche zumindest -, sie verlängern auch das Leben, selbst wenn man arm ist. Das britische Konzept der Gartenstädte würde damit vielleicht bestätigt, allerdings dürfte die Qualität der Grünzonen – siehe sozialer Wohnungsbau – ein erhebliches Gewicht haben.