Organspendepflicht für ALGII-Empfänger

Die Forderung des Bayreuther Professors Peter Oberender, Organhandel zu legalisieren, hat nur oberflächlich gesehen nichts mit einer Organspendepflicht zu tun

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„Ein Lebender muss die Chance haben, sein Organ zu verkaufen“, so Peter Oberender, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bayreuth, in einem Interview. Und er führt auch gleich aus, dass es hier insbesondere um diejenigen geht, die finanziell schlechter gestellt sind.

Es ist doch folgende Situation: Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, so muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit haben, durch den Verkauf von Organen - und zwar geregelten Verkauf … ähnlich der Börse, dass man sagt, wer ist zugelassen zu dem Handeln. Es muss auch geprüft werden, wer darf das Organ entnehmen. Und dann wird praktisch das Organ versteigert.

Auch wenn hier nicht explizit die Transferleistungempfänger (wie z.B. Bezieher von ALGII) genannt werden, sind die Formulierungen „existenziell bedroht“ und „nicht genug Geld hat, um den Lebensinhalt seiner Familie zu finanzieren“ entlarvend. Hier kann es einerseits um diejenigen gehen, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, andererseits aber auch um jene, die auf Grund des knapp bemessenen Regelsatzes auf Zusatzeinnahmen angewiesen sind. Beide Formulierungen können also als schönfärberische Umschreibung angesehen werden.

Professor Oberender, der als Gesundheitsexperte bei verschiedenen Veranstaltungen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft aufgetreten ist (die unter anderem mit Schleichwerbung in populären TV-Serien von sich reden machte) sieht den Organhandel als eine Handelsmöglichkeit wie jede andere, die insofern auch völlig legal sein sollte. Auch spricht er von keinem Organspendezwang, das Wort Pflicht kommt in seinen Kommentaren ebenfalls nicht vor.

Dennoch würde ein solcher legalisierter Organhandel auf eine solche Organspendepflicht für ALGII-Empfänger hinauslaufen. Dies ergibt sich aus den gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich ALGII. So findet sich auf den offiziellen Seiten der Agentur für Arbeit das Merkblatt für Arbeitssuchende, welches bereits auf den ersten Seiten u.a. betont:

Wenn Sie Leistungen erhalten wollen, gehört es zu Ihren Pflichten, dass Sie und alle erwerbsfähigen Mitglieder Ihrer Bedarfsgemeinschaft alle Möglichkeiten nutzen, Ihre Hilfebedürftigkeit zu verringern bzw. zu beenden und dass Sie aktiv an allen angebotenen Maßnahmen mitwirken.

Quelle: SGB-II-Merkblatt

Die Betonung liegt hier auf „alle Möglichkeiten“, wobei die illegalen Möglichkeiten natürlich ausgenommen sind. Die logische Schlussfolgerung ist also, dass bei einer Legalisierung des Organhandels der Verkauf eines Organs (bzw. dessen Versteigerung, wie von Professor Oberender vorgeschlagen) eine solche Möglichkeit wäre, welche es zu ergreifen gelte.

2004 bekam ein Spender für eine menschliche Niere im brasilianischen Recife zwischen 3.000 und 6.000 US Dollar. Da das SGBII vorschreibt, dass jegliche Verringerung der Bedürftigkeit unabhängig von ihrer Höhe zu den Pflichten des ALGII-Empfängers gehört, wäre es egal, wie hoch der tatsächlich erzielte Gewinn durch die Versteigerung des Organs bzw. der Organe sein würde. Dies würde natürlich eine Vielzahl von Spendern mit sich bringen, die den Preis drücken. Nicht zuletzt die Angst vor der völligen Streichung der Transferleistung würde die Spender dazu zwingen, auch Dumpingpreise zu verlangen. So waren bereits 2004 junge Leute in Osteuropa bereit, ihre Niere für 2.500 bis 3.000 US Dollar zu verkaufen, während diejenigen, die dringend auf eine geeignete Niere warteten, hierfür bis zu 200.000 US Dollar zahlten. Verfechter des freien Marktes für den Organhandel sehen dieses Problem jedoch lediglich im Grau/Schwarzmarkt begründet.

Zum Problem der Lebendspende gegen Entgelt kommt eine andere Problematik hinzu. Insbesondere in Deutschland wird die Lebenspende an unbekannte Empfänger stark erschwert. Sofern keine verwandtschaftliche bzw. starke persönliche Beziehung (=emotionale Bindung) zum Empfänger besteht, gestaltet sich die Spende als schwierig bis unmöglich. Altruismus wird nicht geduldet, aus dem Gedanken heraus, dass dieser „unter der Hand“ doch finanziell entlohnt wird.

Die Debatte um den Organhandel ist keineswegs neu und sollte durchaus auch (!) fernab von emotionalen Einseitigkeiten geführt werden dürfen - solange aber die ALGII-Gesetzgebung in ihrer derzeitigen Form gilt, kann eine Forderung nach einem legalen Organhandel in Deutschland nur auf eine Organspendepflicht für ALGII-Empfänger hinauslaufen. Wobei diese sich nicht unbedingt auf innere Organe beschränken muss: Angesichts der Transplantationsmöglichkeiten, die die Medizin schon heute bietet, ist durchaus auch ein Zukunftsmarkt für Gliedmaßen denkbar.

Legt man sämtliche moralischen Bedenken beiseite, würde damit die Bedürftigkeit verringert werden. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird der ALGII-Empfänger sowieso als nicht vermittelbar eingestuft, warum sollte er da noch akzeptabel aussehen dürfen? Für Sozialhilfeempfänger gälte das gleiche – sie sind arbeitsunfähig. Insofern wäre es (rein ökonomisch betrachtet) nicht notwendig, einen Körper in entsprechendem Zustand zu erhalten. Der Weg, den Peter Oberender aufzeigt, ist somit ein Weg, der nur in eine Richtung führen kann: komplette Entrechtung der Armen, diesmal unter dem Schutzmantel der vermeintlichen Selbstbestimmung.