War es nur ein Traum?

Sowjet-Bayern und Ordnungszelle Bayern: Die Räte-Revolution in München

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Die Novemberrevolution im Herbst 1918 bringt das Ende des Ersten Weltkriegs und stürzt die Monarchie. Der erfolgreiche Auftakt findet in München statt: In der Nacht von 7. auf 8. 11. proklamiert Kurt Eisner den Freistaat Bayern. Er wird der erste bayerische Ministerpräsident. Dennoch ist er weitgehend vergessen und die Räterevolution wird bis heute meist als blutige Unruhezeit diskreditiert – obwohl es die einmarschierenden „Weißen“ waren, die ein Blutbad anrichteten.

Anfang November herrscht draußen der Nebel und man gedenkt der Toten. Es folgen am 9. November die Gedenktage des Mauerfalls 1989 und der Reichspogromnacht 1938. An diesem 9. November ist vieles in der deutschen Geschichte geschehen, weswegen er auch der "Schicksalstag der Deutschen" genannt wird.

Es ist auch der Tag der Novemberrevolution 1918. An diesem Tag beginnt in Deutschland die demokratische Epoche: die Abdankung des Kaisers Wilhelm II. und die deutsche Republik wird verkündet. Ein wirklich schicksalshaftes Datum, das in der öffentlichen Erinnerung und inmitten der anderen Gedenktage meist untergeht.

Der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner mit seiner Frau bei einer Demonstration, Foto: Ausstellung „Revolution! Bayern 1918/19“

Das gilt speziell für die Revolution in München, die bereits zwei Tage vorher erfolgreich ist. Am 7. November 1918 findet eine große Friedensdemonstration statt, zu der sowohl die SPD wie die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) aufrufen. Die USPD ist eine linke Abspaltung der SPD, die Parteimitglieder sind Kriegsgegner und sehen sich selbst als revolutionäre Arbeiterbewegung. Der Journalist und radikale Pazifist Kurt Eisner ist Vorsitzender der USPD in Bayern.

Während in Kiel bereits die Matrosen den Aufstand gegen den Krieg proben (vgl. Matrosenaufstand), versammet sich in München eine kriegsmüde Masse auf der Theresienwiese, um für den Frieden zu demonstrieren. Ein großer Teil der 60.000 Demonstranten folgt dem von der SPD geplanten Ablauf, und zieht am Ende zur Schlusskundgebung an den Friedensengel, um sich dort friedlich auflösen. Aber einige Tausend Revolutionäre wollen mehr, sie fordern den Umsturz.

Nach der Rede Eisners ruft Felix Fechenbach von der USPD, später sein Sekretär in die Staatskanzlei, der Menge zu:

Genossen! Unser Führer Kurt Eisner hat gesprochen. Es hat keinen Zweck mehr, viele Worte zu verlieren. Wer für die Revolution ist, uns nach! Mir nach! Marsch!

Der Zug geht zu den Kasernen – und das Erstaunliche geschieht: Die Soldaten schließen sich ihnen an. Immer mehr marschieren mit, sie besetzen gemeinsam und völlig unblutig die Schaltzentralen der Stadt und zuletzt den Landtag. Während die Revolutionäre als Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte im Mathäser-Bierpalast tagen und Kurt Eisner zum Vorsitzenden wählen, flieht König Ludwig III, die Monarchie ist gestürzt.

Am Morgen des 8. November 1918 sehen die staunenden Münchner – unter ihnen die besonders verblüfften Mehrheits-Sozialdemokraten, die ahnungslos schlafen gegangen waren – rote Fahnen an den Frauentürmen wehen, und sie erfahren aus der Zeitung und an die Wände geklebte Plakate (vgl. Proklamation des Freistaates Bayern), dass Bayern nun Republik ist:

“An die Bevölkerung Münchens! (…)
Bayern ist fortan ein Freistaat.
Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden.
Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an!...

Bild: Ausstellung „Revolution! Bayern 1918/19“

Der Begriff Freistaat wird heute gerne von der CSU verwendet, als habe sie ihn erfunden. Das haben zwar auch die Revolutionäre von 1918 nicht getan – er ist deutlich älter – aber Kurt Eisner verwendet ihn als Synonym zu Volksstaat und meint damit eine Republik. Er ist definitiv der erste Ministerpräsident und er ruft den Freistaat Bayern aus (vgl. Geschichte des Begriffes "Freistaat"). Dennoch fällt es dem offiziellen Bayern immer noch sehr schwer, Kurt Eisners und seiner Mitstreiter zu gedenken. Die rote Revolution, auf die der Freistaat Bayern zurückgeht, wird kaum bis gar nicht gewürdigt.

Der Weg der Revolution endet im Bürgerkrieg

Kurt Eisner setzte für den frisch geborenen Freistaat auf eine Kombination aus Räten (direkt in den Betrieben, Kaserne etc. gewählte politische Vertreter mit imperativem Mandat) und Parlamentarismus. Im Januar 1919 finden die ersten Landtagswahlen statt, die zu einem Debakel für die USPD werden, denn sie erringt nur 2,5 Prozent der Stimmen, die Bayerische Volkspartei und die SPD sind die Gewinner. Als Kurt Eisner sich mit seinem Rücktritt in der Tasche am 21. Februar auf den Weg in den Landtag macht, wird er von einem völkischen Nationalisten erschossen. Seinen Trauerzug begleiten 100.00 Menschen.

Nach dem Mord radikalisieren sich die Lager. Der Landtag konstituiert sich, parallel bildet sich ein "Zentralrat der Republik Bayern", der die Macht übernehmen will, einen Generalstreik initiiert – und schließlich wird am 7. April die erste (anarchistische) Räterepublik ausgerufen, deren führende Köpfe die Schriftsteller Ernst Toller, Erich Mühsam und Gustav Landauer sind.

Die Regierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (SPD) flieht nach Bamberg und versucht von dort aus Bayern zu regieren, die Räterepublik München soll durch eine Lebensmittelsperre ausgehungert werden. Zudem versucht eine militärische Einheit, die so genannte "republikanische Schutztruppe" am 13. April München zu erobern. Sie werden durch Rotgardisten zurück geschlagen.

Als direkte Folge wird im Hofbräuhaus die zweite, kommunistische Räterepublik ausgerufen, Eugen Leviné wird Vorsitzender. Aber die Truppen der Reichswehr und der Freikorps sind bereits nach München unterwegs, der Roten Armee der Landeshauptstadt gelingt es nicht, die Übermacht auf Dauer zurück zu schlagen.

In den ersten Maitagen erobern die „Weißen“ die Stadt, Hunderte Menschen werden zum Teil bestialisch ermordet, darunter viele völlig Unbeteiligte. Es wird geschätzt, dass ungefähr tausend Münchner in diesen Tagen getötet wurden.

Bild: Ausstellung „Revolution! Bayern 1918/19“

Eine vergessene Tragödie. Die von der Regierung Hoffmann geschickten Truppen schlagen nicht nur die Räterepublik nieder und veranstalten ein Massaker. In der Folge entwickelt sich aus dem weißen Terror die bayerische Landeshauptstadt zum Zentrum der "Ordnungszelle Bayern", in der die NSDAP einen fruchtbaren Boden fand. Bis – wieder an einem 9. November – 1923 Hitler seinen Putsch-Versuch wagte (vgl. Hitler-Putsch.

Denkmäler und Walhalla

München hat einen Franz Josef Strauß Flughafen und auch sonst kann sich die Liste der Ehrungen dieses ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten sehen lassen.

Für Kurt Eisner und die Räterevolution hat das Land dagegen nicht viel übrig. In München ist eine unbedeutende Straße (die vom Karl-Marx-Bogen abgeht!) in der Satellitenstadt Neuperlach nach ihm benannt.

Zudem wird seit Jahren wird über das ziemliche unwürdige Bodendenkmal mit dem Umriss der Leiche diskutiert, das 1989 an der Stelle seiner Ermordung ins Trottoir eingelassen wurde. 2008 ist nun endlich ein Wettbewerb für ein passenderes Denkmal in der Münchner Innenstadt ausgeschrieben. Noch bis Ende November können Bewerbungen eingereicht werden (vgl. Denkmal für Kurt Eisner.

Es soll in der Nähe der SPD-Zentrale seinen Platz finden – aber nicht allzu nah, „denn eine zu große Nähe würde Eisner sicher noch heute im Grabe rotieren lassen. Eisner bleibt links - von der SPD aus betrachtet“, meint der Grüne Stadtrat Siegfried Benker.

Davon unberührt prescht nun pünktlich zum 90. Jahrestag die Bayerische SPD vor, die sich in der Vergangenheit mit dem sozialistischen Eisner nicht immer leicht tat, gehörte er doch der USPD an und die „war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr als ein kleines Häuflein von Sektierern“, wie in einer SPD-Broschüre zu lesen ist, wo auch steht (siehe: Die bayerische SPD während der Weimarer Republik (PDF):

Die bayerische Mehrheitssozialdemokratie hatte die Revolution nicht gewollt, ja sogar aktiv bekämpft. Wenn ihre Anführer sich dennoch dazu bereit fanden, mit den Unabhängigen eine gemeinsame Regierung zu bilden, so handelte es sich dabei um eine rein pragmatische Entscheidung: Um von der Entwicklung nicht fortgespült zu werden, sondern sie mittragen und mitgestalten zu können, dürfte man nicht abseits stehen.

Dennoch feiert die Bayerische SPD-Landesgruppe im Deutschen Bundestag am 12. November Kurt Eisner und das Jubiläum in der Bayerischen Landesvertretung (vgl. Vor 90 Jahren: Kurt Eisner rief den Freistaat aus, und Franz Maget, Vorsitzende der SPD-Landtagfraktion, fordert aktuell die Büste Kurt Eisners in der Walhalla, der bayerischen Ruhmeshalle, aufzustellen (vgl. Der Gründer des Freistaats Bayern - Kurt Eisner - soll in die Walhalla.

Und die CSU? Sagt bislang gar nichts dazu, die Partei muss erst die kürzliche Niederlage verkraften, den Verlust der absoluten Mehrheit – oder wie eine Tagezeitung titelte die „Revolution in Bayern!“

Andrea Naica-Loebell veranstaltet gerade zusammen mit Ruth Oppl in München "90 Jahre Räterevolution. War es nur ein Traum?".