Bush geht - die Religion bleibt

Barack Obama, seine Wähler und seine Wahlversprechen

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Nach einer Analyse des Pew Research Center schnitt Barack Obama bei religiösen Wählern deutlich besser ab als andere demokratische Bewerber in der letzten Dekade. Bei Wählern, die mehr als einmal wöchentlich einen Gottesdienst besuchen, betrugen die demokratischen Zugewinne gegenüber 2004 stolze 8 Prozent.

Ein großer Teil dieser Steigerung geht auf das Konto von Katholiken, die zu 54 Prozent für Obama und nur zu 45 Prozent für seinen Gegner McCain stimmten. 2004 hatte diese Religionsgemeinschaft noch mit 52 zu 47 Prozent republikanisch gewählt. Darauf, dass der Erfolg in dieser Gruppe nicht in erster Linie religiöse Gründe hatte, deutet eine weitere Aufgliederung hin: Bei weißen Katholiken lag Obama trotz einer Steigerung von vier Prozent gegenüber Kerry deutlich hinter McCain, der hier mit 52 Prozent eine Mehrheit errang. Latinos wählten dagegen überwiegend Obama, so dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Gesamtbild umdrehten.

Bei den Protestanten allgemein schnitt Obama mit 45 Prozent 5 Punkte besser ab als Kerry. Bei den weißen Protestanten allein, wo er auf 34 Prozent kam, konnte er sein Ergebnis gegenüber seinem Vorgänger nur um 2 Prozentpunkte steigern. In der evangelikalen Untergruppe der Protestanten konnte Obama nur 26 Prozent der Stimmen einfahren. Vergleicht man den Wert mit dem, den John Kerry vor vier Jahren erreichte, dann ist das eine Steigerung in Höhe von fünf Prozentpunkten.

Den Erkenntnissen von Edison Media Research zufolge geht dieser Zugewinn vor allem auf das Konto der im Wahlkampf besonders umworbenen jungen Evangelikalen, bei denen Obama seinen Stimmanteil im Vergleich zu dem von Kerry verdoppeln konnte. Diese jungen Evangelikalen erweiterten das Spektrum religiöser Themen in der Politik um den Schutz der "Schöpfung" durch eine aktive Umweltpolitik und ökonomische "Fairness". Zwei Problembereiche, die bei der älteren Generation, welche sich ganz auf Abtreibung und Homo-Ehe konzentrierte, keine Rolle spielten.

Bushs Wahlkampfstratege Karl Rove, der sich in geschlossenen Gesellschaften angeblich ausgesprochen despektierlich über die Religiöse Rechte äußerte, war sich bewusst, wie leicht man diese beiden Symbolthemen dazu nutzen konnte, um Wähler dazu zu bringen, ein Politikpaket zu wählen, das ihren Interessen in vielen anderen Bereichen entgegenlief. 2008 waren Abtreibung und Homo-Ehe zwar immer noch wichtig - der Wähler hatte aber durch die zahlreichen Volksabstimmungen mehr Möglichkeiten, solche Fragen getrennt von der Wahl eines Kandidaten zu entscheiden, weshalb diese republikanische Rechnung nicht mehr aufging.

Während der Anteil junger Evangelikaler, die den Republikanern zuneigten, lange konstant bei 55 Prozent lag, sank er im letzten Jahr erdrutschartig auf nur mehr 37 Prozent. Zwar wurden nicht alle diese neuen Skeptiker sofort Wähler Obamas, doch im August dieses Jahres hatte McCain in dieser Wählergruppe nur mehr einen Vorsprung von zwei Prozent. Den konnte er zwar durch die Ernennung der erklärten Abtreibungsgegnerin Sarah Palin wieder steigern, aber dieser Kunstgriff kostete ihn anderswo möglicherweise mehr Wähler, als er auf diese Weise gewann. Palin wirkte in ihrer sehr wenig verstandesbetonten Art auf nicht explizit religiöse Wähler offenbar stark abschreckend.

Zugewinne bei nicht-religiösen Wählern

So kam es, dass Obama sehr hohe Stimmanteilsgewinne bei den nicht-religiösen Wählern einfahren konnte. Sie wählten 2008 zu 75 Prozent demokratisch – gegenüber dem Kerry-Ergebnis von vier Jahren eine Steigerung von 8 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass John McCain lange als überparteilich wählbarer Kandidat galt, keine Selbstverständlichkeit. Und ein Ergebnis, das möglicherweise auch eine Mobilisierung vorher unpolitischer agnostischer Wähler durch die Angst vor immer weitgehenderen Ansprüche von Kreationisten und anderen christlichen Interessensgruppen widerspiegelt.

Rechnet man den ethnischen Faktor und die Steigerung bei nichtreligiösen Wählern mit ein, dann ergibt sich die Möglichkeit, dass die allseitige Betonung der Wichtigkeit religiöser Wähler für Obamas Erfolg weniger am tatsächlichen Wahlergebnis liegt, als am Einsatz des Kandidaten für diese Gruppe. Während Gore und Kerry religiöse Wähler weitgehend ignoriert hatten, kümmerte sich Obamas Wahlkampfteam unter Führung des für Religionsfragen zuständigen Pfingstkirchenpredigers Joshua DuBois im persönlichen Gespräch um konservative Prediger, um sie auf diese Weise davon abzubringen, gegen den Kandidaten zu wettern. Obama selbst traf sich im Juni mit 40 der wichtigsten religiösen Führer der USA, um sie persönlich für sich einzunehmen. Und während das McCain-Team im Wahlkampf angeblich überhaupt nicht mit der National Association of Evangelicals (NAE) sprach, hatte Obamas Mannschaft dafür sogar wöchentliche Termine angesetzt. Kein Wunder also, dass Richard Cizik, der Vizepräsident der Organisation, öffentlich bekundete, dass der Senator aus Illinois die Sorgen der Evangelikalen ernst nehme.

Das Thema Abtreibung stellte Obama nicht als Polarisationsthema in den Vordergrund, sondern versuchte es dadurch zu umschiffen, dass er bekundete, man sei sich einig, dass die Zahl der Abtreibungen verringert werden solle - nur in der Wahl der Mittel gebe es dazu unterschiedliche Auffassungen. Dieses Ziel von weniger Abtreibungen wurde auch in das neue demokratische Parteiprogramm mit aufgenommen, an dem unter anderem der evangelikale Prediger Tony Campolo mitschrieb.

Nicht zuletzt bediente sich Obama in seiner Rhetorik auch relativ offen Mustern von Predigern, die nicht nur schwarzen, sondern auch religiösen weißen Wählern vertraut waren. Häufig begannen seine Reden mit Bildern einer aktuellen Misere, denen er den vor allem in den USA zutiefst christlich konnotierten Begriff der "Hoffnung" entgegensetzte. Und sein "Yes we can!" wurde bei Veranstaltungen vom Publikum in einem Call-and-Response-Muster eingesetzt wie das "Amen" oder das "Hallelujah" in der Kirche.

Dieses Kümmern um die Religiösen dürfte sich über gegebene Wahlversprechen auch im politischen Programm des neuen Präsidenten niederschlagen: Das wichtigste Wahlgeschenk von George W. Bush für religiöse Wähler war (abgesehen von einer verlässlichen Berufung von Verfassungsrichtern, die sich offen als Abtreibungsgegner zu erkennen gaben) die öffentliche Bezuschussung kirchlicher Drogenrehabilitationszentren, Suppenküchen und anderer soziale Einrichtungen. Deren Förderung mit Steuergeldern, so versprach Obama im Sommer, wolle er keineswegs abschaffen, sondern sogar ausbauen.

Dabei deutet nicht nur eine Bemerkung, die Obama im Vorwahlkampf über das Festklammern armer weißer Wähler an Waffen und Religion gemacht hatte, darauf hin, dass seine Religionswahl möglicherweise eher eine taktische Entscheidung war. Während seiner Tätigkeit als "Community Organizer" in Chicago hatte er Gelegenheit, viel über die Organisationsmacht von Kirchen zu lernen. Und seine Hinwendung zur Trinity United Church war in seinen eigenen Worten keine "Offenbarung", sondern eine "Entscheidung", die einer Anerkennung dessen entsprang, was Kirchen für Menschen leisten könnten. Ohne solch eine Gemeinschaft, so Obama, würde er "auf einer bestimmten Ebene" ausgeschlossen sein. Und im Zusammenhang mit einem Gespräch mit seiner Tochter zum Thema Tod sagte er, dass er sich weder sicher sei, was nach dem Tod eines Menschen passiert, noch, was vor dem Urknall war.1