Die Schlacht der lebenden Toten

Valves "Left4Dead" schickt den Spieler mit Freunden zum kooperativen Teambuilding in die gnadenlose Zombie-Apokalypse - und wertet eine fast neue Nische im Onlinegaming mit viel Hochglanz gehörig auf

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Zombies haben seit längerem Hochkonjunktur in der Populärkultur. Den Ausführungen Joachim Allgaiers zum Proletariat der Filmmonster und Rüdiger Suchslands Analyse zur heimlichen Liebe zur Apokalypse ist auch heute nur wenig hinzuzufügen, außer vielleicht, dass im Schatten der aktuellen Weltwirtschaftskrise das Bild von untoten Menschenfressermassen, die die Zivilisation in den Abgrund reißen, um eine plakative Interpretationsnuance bereichert wird. Doch haben die berühmten „lebenden Toten“ – schon George A. Romero, der Pate des modernen Zombie-Genres, verwies verschmitzt darauf, dass just wir selbst damit gemeint wären – längst andere Medien als den Film erreicht.

Überlebenskampf in Stadt und Land: Die Kampagnen führen durch verschiedene filmisch vertraute Settings.

Die Faszination der Zombie-Apokalypse, von Fans oft liebevoll „Zombocalypse“ abgekürzt, hat neben einer Riesenmenge an Trash zum Beispiel auch Max Brooks’ bemerkenswertes Buch „World War Z“ hervorgebracht, das als „Oral History of the Zombie War“ den Leser in eine atemlose Augenzeugenreportage des Weltunterganges verstrickt und übrigens gerade von „Quantum of Solace“-Regisseur Marc Forster verfilmt wird – neben der aktuell in Großbritannien gezeigten Reality-TV-Serie Dead Set wohl einer der interessanteren Beiträge zum immer weiter ausufernden Zombiefestival der letzten Jahre.

Von den Fans lernen

Auch im Medium der Computer- und Videospiele haben die untoten Horden ihren festen Platz. Neben den großen Namen des Horror-Genres – sowohl „Resident Evil“ als auch aktueller „Dead Rising“ sind hier die offensichtlichsten Vertreter – hat sich das Faszinosum auch in recht obskuren Nischenprodukten wie etwa dem Browser-MMO Urban Dead oder in zahllosen Flashspielen eine augenzwinkernde weltweite Fangemeinde erarbeitet. Und auch Hideo Kojima, Vater von Metal Gear Solid, ließ schon vor längerer Zeit mit einer ausgefallenen Idee zum Thema Zombie-MMO aufhorchen: Als Spieler solle man in einer überrannten Stadt sein Leben besonders sorgfältig hüten, denn ein Biss würde nicht nur das unweigerliche Aus für die aktuelle Figur bedeuten, sondern auch den Neukauf eines lebenden Charakters notwendig machen. Eine nur auf den ersten Blick abwegig strenge Idee, die klar macht, dass auch im digitalen Umgang mit dem seltsamen Faszinosum Zombies vor allem einem traditionell dazu gehörenden Fatalismus ein wichtiger Platz zukommt.

Auch bei der Auswahl der vier Hauptfiguren hat sich Valve auf cineastische Genre-Konventionen verlassen – ein charmanter Mix.

Valve, die legendäre Softwareschmiede hinter „Half-Life“, „Counterstrike“, „Portal“ und „Team Fortress 2“, serviert mit „Left4Dead“ (PC, XBox 360) nun nicht nur ein virtuoses, teils beeindruckend inszeniertes Schlachtgemälde einer nach einem weltweiten Ausbruch von Zombifizierung zerfallenden Zivilisation, sondern erfindet quasi nebenbei das Online-Multiplayergaming für das große Publikum neu. „Left4Dead“, so viel kann schon jetzt gesagt werden, wird als Multiplayerreferenz die bislang nur wenig bevölkerte Nische des kooperativen Onlinespiels im Egoshooter auf lange Zeit dominieren und diese für unzählige Spieler erst interessant machen.

Doch Ehre, wem Ehre gebührt: Wie bei „Portal“, „Counterstrike“ und „Team Fortress“ verstand es Valve auch hier, auf die eigenen Fans zu hören. Seit Jahren versorgen verspielte Hobbyprogrammierer die Fangemeinden mit Mods, die aus „Half-Life“, „Unreal Tournament“ & Co apokalyptische Zombieszenarien bastelten. „They Hunger“, als „Half-Life 1“-Mod eine Legende, schickte den Einzelspieler schon vor Jahren allein gegen untote Horden, doch jüngere Mods für unterschiedliche Engines wie „Sven Co-Op“, „Zombie Panic“, „Zombie Master“ oder „Killing Floor“ setzten verstärkt auf das Gemeinschaftserlebnis beim Multiplayer-Kampf gegen die gesichtslosen untoten Massen. Cooperative Multiplayer heißt das nicht ganz so neue Zauberwort, das mit „Left4Dead“ allerdings seinen ersten strahlenden Hochglanztitel vorzuweisen hat: Noch nie war die Zusammenarbeit der Spieler so nötig wie hier.

„It’s the Zombie apocalypse. Bring friends.“

Vier Überlebende kämpfen sich mit allerlei Schusswaffen gemeinsam durch die 20 Maps umfassende abwechslungsreiche Kampagne und müssen sich dabei gegen hunderte computergesteuerte Zombies zur Wehr setzen: Was nicht besonders bahnbrechend klingt, wird durch den Valve-typischen Feinschliff zum großen Zombie-Kino veredelt: Die Grafik auf Basis der Source-Engine ist nicht spektakulär, aber durchgängig atmosphärisch und aus einem Guss, und das Sounddesign ist rundum gelungen. Am Wichtigsten aber: Der „Director“, eine alles überblickende AI, sorgt jedes Mal aufs Neue dafür, dass sich Spielszenen nicht wiederholen und auch nach wiederholten Versuchen spannend bleiben.

„Cover my back!“ Nie war Teamplay so wichtig.

Ist man in einer Partie in einem Gebiet mit wahren Gegnerfluten konfrontiert, überrascht einen der dynamisch auf Spieleraktionen reagierende Director beim erneuten Anlauf an derselben Stelle mit leeren Räumen, nur um unvermutet später die relativ lineare, aber abwechslungsreiche Levelarchitektur für vielfältige Hinterhalte auszunutzen. Ob dieser Kunstgriff für andauernde Motivation sorgen kann, wird sich wohl erst im Langzeittest wirklich herausstellen; es ist aber mit Zuversicht zu erwarten, dass Valve hier wie in „Team Fortress 2“ die Fangemeinde nicht nur mit den bereits jetzt frei spielbaren Achievements, sondern auch mit später freigeschalteten Goodies bei Laune halten wird.

Die hier „Infected“ genannten Untoten sind in ihrer Geschwindigkeit und Rabiatheit sichtlich von „28 Days Later“ inspiriert und werfen sich den vier Überlebenden – auf Wunsch können auch Einzelkämpfer mit drei vom Computer gesteuerten Mitkämpfern antreten - in beeindruckender Art und Weise entgegen: Selten vermittelte ein Spiel ein derartig unheimliches Gefühl einer körperlichen Bedrohung, auch wenn die Untoten als Kanonenfutter nur in großen Massen eine echte Gefahr darstellen. Von anderem Kaliber sind die „Boss-Infected“, spezielle Gegner, die vom Director jeweils sparsam eingesetzt werden. Während Boomer, Smoker und Hunter nur im Verband mit den restlichen Gegnermassen unangenehm werden können, stellen vor allem der massive „Tank“, ein Hulk-ähnliches Monster von furchterregender Zerstörungskraft, und die „Witch“ die Action- und Horror-Höhepunkte des Spiels dar.

Konstante Bedrohung: Die „Boss Infected“ sorgen immer wieder für nervenaufreibende Situationen.

Besonders die „Witch“ ist ohne Übertreibung auf subtile Art und Weise eine der furchterregenderen Figuren der Computerspielgeschichte: Bereits von weitem kündigt sich ihre Anwesenheit durch unheimliches Weinen und leises Singen an, und es ist eine wunderbare Pointe des Gamedesigns, dass die Spieler im eigenen Interesse einen großen Bogen um das von Weitem zerbrechlich erscheinende hagere Mädchen machen sollten, das in sich gesunken auf dem Boden sitzt: Wie die Albtraumgestalten aus Chris Cunninghams Aphex-Twin-Videos oder aus dem spanischen Neo-Zombie-Horrorfilm [REC] entpuppt sich die zerbrechliche Gestalt als tödlich-schauriger Wirbelwind, wenn sie durch Schüsse oder nur den Strahl einer unachtsamen Taschenlampe aufgeschreckt wird – ein Kniff, der beim bangen Vorbeischleichen in dunklen Gemäuern für nervöse Spannung und Gänsehaut sorgt.

Das neue „Wir“-Gefühl

Das Bemerkenswerte an „Left4Dead“ ist demnach auch, wie sich die vier menschlichen Spieler, den strengen Regeln des Überlebens folgend, fast unwillkürlich verhalten: Ohne Teamplay geht gar nichts, und so zwingt das Spieldesign die in anderen Onlineshootern als Ärgernis bekannten Selbstdarsteller und infantilen Einzelkämpfer zur Räson. Altruismus wird groß geschrieben – eine Hand wäscht die andere, es gilt ausnahmslos „friendly Fire“-Verletzungsrisiko und Medpacks werden schon im Eigeninteresse an andere Spieler verteilt, da sie unweigerlich im Gegenzug die Haut des anderen retten werden müssen:

„Left4Dead“ zeigt mit erfrischender Strenge die Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens auf und erzeugt so eine eigenständige Nische im Online-Multiplayer-Markt, der traditionell vor allem Gelegenheitsspieler dadurch abschreckt, dass hier Dauerspieler weniger versierte Gegner durch ausgeklügelte Headshot-Varianten und das berüchtigt infantile Teabagging bis zum Verdruss demütigen können. „Left4Dead“ hat deshalb aber nicht unbedingt mehr Herz für „n00bs“: Auf den höheren Schwierigkeitsgraden stellt das Spiel auch erprobte Spieler vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen, und am „Expert“-Modus werden auch die toughesten Clan-Spieler lange ihre Freude haben. Es muss erwähnt werden, dass das Spiel gerade in den höheren Schwierigkeitsgraden am allerbesten funktioniert; hier läuft das beklemmende Szenario durch die dauernde Gefahr zu seinen größten Momenten auf.

Doch neben dem Teambuilding kommt auch das klassische Spiel gegeneinander trotz aller Kooperation nicht ganz zu kurz: Im Versus-Mode treten auf ausgewählten Maps vier Überlebende wie sonst auch gegen die Zombies an, die allerdings von vier menschlichen Spielern in der Rolle der „Boss-Infected“ verstärkt werden. Der waffentechnischen Übermacht der Überlebenden wird hier von Zombieseite mit Taktik gekontert, und wie von „Team Fortress 2“ bekannt ergeben sich gerade für kluge Teamspieler immer wieder neue Kombinationsvarianten der einzelnen Klassen, um dem Gegner das Leben schwer zu machen; eine sinnvolle Adelung des „Griefings“, also jener sonst verhassten Spielweise notorischer Querulanten, die in anderen Online-Shootern im Stören der anderen Spieler ihre Existenzberechtigung suchen, und ein Spielmodus, der garantiert für zusätzliche Langzeitmotivation sorgt.

Left4Dead eröffnet für den Mainstream ein neues Multiplayer-Spielfeld abseits von MMOs, Deathmatch-Arenen oder Military-Shooter-Schlachtfeldern. Ob es wie seine Vorgänger aus dem Hause Valve zum richtungweisenden Klassiker wird, ist noch nicht abschätzbar, doch eines kann jetzt schon gesagt werden: Shooter-Spieler mit Online-Neigung müssen fast einen Blick riskieren, doch auch eingeschworene Einzelspieler mit Abwehrreflex gegen herkömmliches Onlinegaming werden an „Left4Dead“ ihre Freude haben. Es bleibt dabei: Was Valve anfasst, geht nicht daneben.