Geschichtslegenden

Zum Antisemitismus in der Türkei

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Die Hamburger Historikerin Corry Guttstadt hat mit ihrem Buch "Die Türkei, die Juden und der Holocaust" ein bislang weitgehend tabuisiertes Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Es geht um die mehrhundertjährige Geschichte des türkischen Judentums, um das Verhalten des Osmanischen Reiches - und der modernen Türkei - gegenüber dieser Minderheit und es geht um die Rolle der Türkischen Republik im Angesicht der Vernichtung türkischstämmiger Juden im nationalsozialistisch beherrschten Europa. Dadurch rührt es an Tabus und an Geschichtslegenden, die durch die türkischen Eliten gerne gepflegt werden.

Der Böse trägt alle Züge des fiesen Verschwörers: Er ist oberflächlich freundlich, in Wirklichkeit eher schleimig, hegt aber im Geheimen finstere Pläne. Sein Treiben besteht darin, als Arzt scheinbar armen Menschen zu helfen, die in Wirklichkeit seine Opfer darstellen. Sobald sie auf seinem Operationstisch liegen, nimmt er ihnen wichtige Organe, wie etwa die Nieren heraus, um sie an reiche Klienten weiter zu verkaufen. Die wohlhabenden Käufer sitzen in New York, in London und vor allem in Tel Aviv. So geht ein populärer Verschwörungsschmarren, den bislang drei Millionen Zuschauer in den Kinos gesehen haben.

Weltverschwörungsfantasien über „die Rolle der Juden“ auch in der Türkei

Die Story mit dem Arzt, der Organhandel mit Tel Aviv betreibt, ist der wohl übelste Plot in dem türkischen Film „Tal der Wölfe“ (siehe Von einer Gesellschaft, die auszog, das Gruseln zu lernen), der allein am ersten Wochenende nach seinem Erscheinen Anfang 2006 von 1,1 Millionen Zuschauern gesehen wurde. Der Film war auch in Deutschland in den Kinos zu sehen, und der Appellationsausschuss - die Instanz zur Selbstkontrolle der Filmwirtschaft - lehnte damals eine vom Land Nordrhein-Westfalen geforderte Altersbeschränkung (ab 18 Jahre) ab.

„Das Tal der Wölfe“ hat es auch sonst in sich. Denn der Film enthält nicht nur den offensichtlich antisemitischen Verschwörungsplot über den fiesen Arzt, der armen unschuldigen Opfern die Organe herausoperiert, um sie nach Tel Aviv zu versenden. Er ist auch nationalistisch bis zum Anschlag und unterhält dabei - in einem Land, das aufgrund der Politik seiner Eliten zu einem einer der engsten militärpolitischen Verbündeten der USA zählt - einen starken antiwestlichen Affekt.

Aufhänger des Films ist eine Szene, die auf einer wahren Begebenheit begründet: Im Juli 2003, wenige Wochen nach der Vollendung der US-amerikanischen und britischen Invasion im Irak, verhaften US-Soldaten ein Dutzend türkischer Offiziere und Geheimdienstler im kurdischen Nordteil des besetzen Landes. Sie wurden, mit über den Kopf gestülpten Säcken, zum Verhör abgeführt und knappe drei Tage lang festgehalten.

Im Hintergrund stand ein Interessenkonflikt zwischen dem türkischen Staat und der führenden Besatzungsmacht im Irak: Während der NATO-Partner Türkei aus nationalistischen Gründen bestrebt war, die Gründung eines autonomen Kurdenstaats im Nordirak zu verhindern - um nicht den „eigenen“ Kurden auf türkischem Staatsgebiet ein Modell für eigene Autonomiebestrebungen vor Augen zu setzen - fanden die USA in den kurdischen Clanparteien von Jalal Talabani und Massud Barzani enge Verbündete. Der Film zeichnet die Szene nach und dramatisiert sie, wodurch er nochmals an die wunde Stelle im „verletzten türkischen Nationalstolz“ rührt. Alle Welt, so suggeriert der Film, habe sich gegen die Türkei verschworen, deren Soldaten aber tapfer die Ehre ihrer Nation verteidigten.

Der Film symbolisiert eine Mischung aus Chauvinismus, Appell an einen „gekränkten Nationalstolz“ und antisemitisch grundiertem Verschwörungswahn. Sein beispielloser Publikumserfolg macht deutlich, dass Weltverschwörungsfantasien über „die Rolle der Juden“ auch in der Türkei kursieren. Solche finsteren Fantasien findet man sowohl in bestimmten nationalistischen, als auch in manchen islamistischen Kreisen.

Einen der Vektoren eines Aufkommens solcher Ideologien bildete die, in den vergangenen Jahren mehrfach aufflammende, Debatte über die sogenannten Dönme (von dönmek, „zurückkehren“) und ihre Nachfahren. Als solche „Rückkehrer“, gemeint sind Heimkehrer zur islamischen Religion, wurden historisch die Anhänger des Sektenführers Sabbatai Zwi im 17. Jahrhundert bezeichnet.

Dieser „falsche Messias“ führte eine sich vom Judentum abspaltende Erweckungsbeweckung an; nachdem die osmanischen Behörden ihn jedoch als „Irrgläubigen“ zu verfolgen drohten, bekehrten er und seine Anhänger sich gezwungermaßen zum Islam. Viele ihrer Nachkommen waren Intellektuelle und politisch engagiert. Bis heute hält der Vorwurf, dass sie insgeheim die jüdische Religion weitergepflegt und gleichzeitig eine „geheime Macht“ in der und über die Türkei erlangt hätten, an und nährt verschwörungstheoretisch aufgeladene Debatten.

Anschläge

Aufmerksam auf die Existenz eines virulenten Antisemitismus, jedenfalls in bestimmten politischen Strömungen, wurde die kritische türkische sowie die internationale Öffentlichkeit ferner durch die Anschläge auf Synagogen und jüdische Einrichtungen, die wiederholt durch islamistische Extremisten verübt wurden.

So drangen am 1. März 1992 Angehörige der türkischen Hizbullah - eine bewaffnete Geheimorganisation, die nicht mit der gleichnamigen libanesischen Schiitenpartei und -miliz zu verwechseln ist, und der Verbindungen in den türkischen Staatsapparat nachgesagt werden - mit Schusswaffen und Handgranaten in die Neve-Shalom-Synagoge in Istanbul ein.

Im Juni 1995 erfolgte ein Autobombenanschlag gegen den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Ankara, Yuda Yurum, und die Synagoge der türkischen Hauptstadt wurde im darauffolgenden Jahr geschändet. Die schwersten Anschläge mit antijüdischer Stoßrichtung, und zahlreichen Todesopfern, waren jedoch die Attentate auf zwei Istanbuler Synagogen vom 15. November 2003. Sie kosteten 57 Menschenleben. Ihnen folgten fünf Tage später die Anschläge auf britische Einrichtungen.

Zu diesen Anschlägen, die also sowohl eine antijüdische als auch eine gegen die westlichen Großmächte gerichtete Komponente enthielten, bekannte sich ein Ableger des terroristischen Netzwerks Al-Qaida. Die blutigen Attentate hatten zwar Entsetzen zur Folge, aber viele Stimmen in der Türkei bemängelten in der Folge vor allem, dass „unschuldige“ nicht-jüdische, muslimische Türken als Opfer von den Anschlägen mit betroffen waren.

Asyl im osmanischen Reich

Bis dahin hatte man lange Jahre hindurch kaum über die Existenz von Antisemitismus in der Türkei gesprochen. Einer der Gründe dafür war, dass die Türkei außen- und militärpolitisch, neben ihren intensiven Bindungen an die USA und die übrigen NATO-Staaten, auch eng mit dem Staat Israel verbündet war. Dort hielt man sich deswegen mit Kritik am möglichen Lautwerden antisemitischer Töne in der Türkei zurück.

Umgekehrt berief der staatsoffizielle Nationalismus in der Türkei - wo etwa der Slogan „Ich bin stolz, Türke zu sein“ explizit auch durch offizielle Institutionen propagiert wird - sich gerne darauf, dass schon ihr Vorgängerstaat, das Osmanische Reich, die ab 1492 aus Spanien fliehenden, verfolgten Juden in größerer Zahl aufgenommen habe. Auf diese Weise versuchte man, Kritik an der eigenen Minderheitenpolitik, beispielsweise am Umgang mit Kurden und Armeniern, unter Verweis auf diese positive historische Rolle der (späteren) Türkei abzuwehren.

Der Aufnahme sephardischer Juden, die das Spanien der „Reconquista“ (katholischen „Rückeroberung“) im 15. Jahrhundert verlassen mussten und deren Leben dort bedroht war, durch das Osmanische Reich folgte in dieser Geschichtsdarstellung in gerader historischer Linie die Aufnahme deutscher Exilanten während des „Dritten Reiches“.

Aber wie war es wirklich?

Es trifft tatsächlich zu, dass das Osmanische Reich zu Zeiten, da in Spanien (und Portugal) die Inquisition wütete, da alle Moslems und Juden die iberische Halbinsel verlassen mussten, mehrere Zehntausend sephardische Juden von dort aufgenommen hat. Neben Nordafrika, etwa dem späteren Algerien und Tunesien, sowie Polen war das damalige Osmanische Reich eines der Hauptzielländer der von der iberischen Halbinsel fliehenden Juden. Allerdings nahm das osmanische Herrscherhaus diese Menschen nicht ausschließlich aus menschenfreundlichen, uneigennützigen Gründen auf. Dazu Buchautorin Corry Guttstadt im Interview mit dem Verfasser:

Die Zeit der Judenverfolgung auf der iberischen Halbinsel fiel zusammen mit der Expansion des Osmanischen Reiches. Dessen Herrscher hatten ein Interesse daran, Juden aus europäischen Ländern aufzunehmen, um die urbane Bevölkerung zu vergrößern und weil die Juden aus Spanien Kenntnisse in Finanzverwaltung, neuer Waffentechnik oder neuen Manufakturmethoden mitbrachten. Bereits zuvor in Anatolien und auf dem Balkan sesshafte Juden wurden – ebenfalls aus bevölkerungspolitischem Interesse – zwangsumgesiedelt.

Auf die von relativer Toleranz und Aufnahmebereitschaft geprägten Jahre unmittelbar nach dem historischen Datum „1492“ folgten zudem, so die Autorin, schon ab Ende des darauffolgenden Jahrhunderts drei finstere Jahrhunderte für die osmanischen Juden, aber auch andere religiöse Minderheiten des Reiches.

Einen entscheidenden Wendepunkt in der neueren Geschichte der Türkei bildete der Übergang vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk ab 1923. Dessen Herrschaft, die auf einem autoritären Ein-Parteien-Staat gründete, lässt sich als eine Art Modernisierungsdiktatur bezeichnen.

Atatürk schaffte feudale Strukturen, die Monarchie in Form des Kalifats (geistliche Herrschaft) und Sultanats (weltliche Herrschaft) sowie die islamische Rechtsordnung ab und führte an deren Stelle moderne Gesetzbücher aus Europa ein. Dabei bediente er sich allerdings beim französischen bürgerlichen Code Civil ebenso wie in Mussolinis Strafgesetzbuch aus dem faschistischen Italien. Gegenüber den nationalen Minderheiten verfolgte er eine rigide Assimilierungspolitik, die auf eine weitestgehende nationale und ethnische Homogenisierung des türkischen Staatsvolkes hinauslaufen sollte:

Die türkische Republik entstand 1923 buchstäblich auf den Trümmern des Osmanischen Reiches. Nach den Balkan-Kriegen, dem Ersten Weltkrieg, dem griechisch-türkischen Krieg, die Millionen Tote gefordert hatten, war das Land völlig ausgeblutet. Die europäischen Mächte hatten vor allem die Situation der christlichen Minderheiten zur Rechtfertigung ihrer Einmischung sowie ihrer Aufteilungspläne vorgeschoben. Deshalb identifizierten die türkischen Nationalisten die Minderheiten stark mit den imperialistischen Mächten, die sich als deren Beschützer aufspielten.

Daraus resultiert eine Konstante im türkischen Geschichtsbild, das stark auf Verschwörungstheorien und einer Selbststilisierung als Opfer basiert. Sowohl zur Phase der Jungtürken als auch nach Gründung der Republik war der Nationalismus extrem stark, wie allerdings zu jener Zeit in fast allen neu entstandenen Staaten Südosteuropas.

Corry Guttstadt

Die nationalen Minderheiten in der Türkei, das waren historisch zunächst die christlichen Bevölkerungsgruppen wie Griechen und Armenier. Sie wurden zunächst vom erwachenden türkischen Nationalismus weitaus härter getroffen als die Juden in der Türkei, da letztere eine weitaus kleinere Gruppe bildeten.

Plötzlich die bedeutendste Minderheit in der Türkischen Republik

Gleichzeitig war die jüdische Bevölkerung, aufgrund einer Art Konkurrenz zwischen den Minderheiten, ab dem 19. Jahrhundert auch einem wachsenden christlich begründeten Antijudaismus und Antijudaismus, aufbauend etwa auf der alten Ritualmordlegende, ausgesetzt.

Nach den oben erwähnten Kriegen in den Jahren 1912 bis 1922 und der Vertreibung von Griechen und Armenier - die letzteren waren während des Ersten Weltkriegs zudem zu Opfern eines Völkermords geworden, und die Erstgenannten wurden im Zuge eines „Bevölkerungsaustauschs“ mit Griechenland ausgesiedelt - waren die Juden aber plötzlich die bedeutendste Minderheit in der Türkischen Republik.

Atatürks Republik definierte sich zwar als laizistischen Staat, erhob aber zugleich (in ihrem Wunsch nach stärkst möglicher Homogenisierung der Nation) die Zugehörigkeit zum türkisch-muslimischen Mehrheitsvolk zur „Norm“. Einer Minderheit anzugehören, konnte vor diesem Hintergrund leicht als verdächtige „Abweichung“ wahrgenommen werden.

Rigide Ausbürgerungspolitik und Abwanderungswelle

Eine der Konsequenzen daraus war eine rigide Ausbürgerungspolitik gegenüber den Angehörigen von Minderheiten, die die Türkei vor oder nach 1923 verlassen hatten. Ihr lag als Beweggrund sicherlich auch zugrunde, dass man eine Rückkehr der Griechen und Armenier verhindern wollte, da der türkische Staat sich Hab und Gut, Grund und Boden der Vertriebenen angeeignet hatte.

Aber auch der ideologisch begründete Wunsch, eine möglichst einheitliche Nation ohne störende Gruppen zu schaffen, bildete dabei als wichtige Triebkraft. Neben geflohenen oder vertriebenen Armeniern und Griechen traf diese Politik allerdings auch zunehmend türkische Juden. Denn nachdem diese anfänglich zum Gutteil die neu gegründete Republik unterstützt hatten, waren viele von nach einigen Jahren bitter enttäuscht.

Die Minderheitenrechte, die ursprünglich im internationalen Vertrag von Lausanne (1923) den in der Türkei lebenden Minoritäten zugesichert worden waren, wurden nicht eingehalten oder gleich kassiert. Die Juden mussten zusehen, wie ihnen die Gemeinderechte entzogen wurden - und da es keine autorisierten Gemeindevorstände mehr gab, wurden der Staatsmacht genehme Persönlichkeiten, wie Anwälte oder Journalisten, zu „befugten Sprechern“ in ihrem Namen aufgebaut.

Aber sie konnten nur so lange das Wort ergreifen, wie sie nicht bei der Regierung in Ungnade fielen. Zudem wurden Juden aus vielen Berufen sowie aus dem Staatsdienst verdrängt. Daraus resultierte eine Auswanderungswelle unter den sephardischen Juden aus der Türkei, insbesondere nach Frankreich, aber daneben auch nach Belgien, Lateinamerika, in die USA und in kleinerem Ausmaß auch nach Deutschland. Ab den 1930er Jahren gerieten sie nun zunehmend ins Visier der Ausbürgerungspolitik.

Diese Ausbürgerungsmaßnahmen, denen ursprünglich andere Motive zugrunde lagen als der antisemitischen Politik etwa des nationalsozialistischen Deutschlands, führte bei Einsetzen der Judenverfolgung in Deutschland und anderen europäischen Staaten zu dramatischen Konsequenzen:

Schon ab Ende der dreißiger Jahre richtete sich diese Ausbürgerungspolitik zunehmend gegen Juden. Von den türkischen Juden, die z.B. in Berlin lebten, wurden viele ab 1938 ausgebürgert und dann 1941 als Staatenlose erste Opfer der Deportationen.

Besonders fatal wirkte sich aus, dass Ankara die Ausbürgerungen zum Beispiel in Deutschland auf dem Wege der Amtshilfe durch die dortigen Behörden durchführen ließ. So richtete das türkische Konsulat in Berlin eine Aufforderung an die Ausländerpolizei, die türkischen Juden vorzuladen und ihnen die Pässe abzunehmen. Damit war klar, dass diese bei den Nazibehörden als Staatenlose registriert waren.

1942 und 1943, als die deutschen Stellen der türkischen sowie den Regierungen weiterer neutraler und verbündeter Staaten ein Ultimatum zur Repatriierung ihrer jüdischen Staatsbürger aus dem NS-Machtbereich stellte und türkische Juden auch massenhaft Opfer der NS-Verfolgung wurden, erreichte die türkische Ausbürgerungspolitik ihren Höhepunkt. Mehreren tausend Juden, vor allem in Frankreich lebenden, wurde seitens der Türkei die Staatsbürgerschaft entzogen.

Kritische Auseinandersetzung nötig

Bis heute möchte man seitens der offiziellen Türkei die dramatischen Folgen dieser Politik für ihre Opfer nicht wahrhaben. So gewährte die Türkei, der ab Anfang 1943 durch die NS-Besatzungsmacht die „Rücknahme“ ihrer in Frankreich lebenden Staatsbürger jüdischen Glaubens angeboten worden war, erst 18 Monate später - im Sommer 1944 - noch 400 von ihnen die Möglichkeit zur Einreise.

Viele andere waren entweder in die Vernichtungslager deportiert worden, oder hatten sich der Résistance angeschlossen, wenn sie nicht anderswohin hatten fliehen können. Aber in der Türkei versucht man heute von offizieller Seite, die eigene historische Rolle zu beschönigen und den damaligen türkischen Staat als angeblichen „Retter der bedrängten Juden“ zu profilieren.

Angesichts der historischen Realität ist der aufgebaute Mythos, demzufolge türkische Diplomaten überall im besetzten Europa »unter Einsatz ihres Lebens« Juden gerettet hätten, geradezu makaber. Im vergangenen Jahr erschien in der Türkei ein Buch unter dem Titel »Der Botschafter«, dessen Autor ein Großneffe des türkischen Botschafters in Frankreich in den Jahren bis 1943 ist.

Der Autor behauptet, sein Onkel habe 20.000 Juden gerettet. In Wirklichkeit wurden während seiner Amtszeit nur 100 Jüdinnen und Juden aus Frankreich in die Türkei repatriiert. In seinen Memoiren schreibt der Botschafter im Übrigen, dafür sei ein Konsul verantwortlich, der eigenmächtig gehandelt habe. Aber trotz aller Repression ist in den vergangenen zehn bis 15 Jahren eine recht kritische Diskussion in der Türkei entstanden, insbesondere bezüglich des Nationalismus und der Situation der Minderheiten. Ich hoffe, dass auch das Thema der türkischen Juden und der Politik Ankaras während des Zweiten Weltkriegs irgendwann kritisch aufgegriffen wird.