Piratenangriff auf Diplomatie und Grundgesetz

Unionspolitiker nutzen Debatte um Seeräuber vor Somalia für innenpolitische Ziele. Militäreinsatz birgt zahlreiche Gefahren

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Mit dem anstehenden Regierungswechsel in den USA ist es ruhig geworden um den so genannten Krieg gegen den Terror. Doch nun haben Militärpolitiker eine neue Herausforderung entdeckt: die massiv zunehmende Piraterie vor der Küste Somalias. Durch das Seegebiet am Golf von Aden verläuft eine stark frequentierte Handelsroute. Freibeuter nutzen Schwäche des Bürgerkriegsstaates Somalia, um diese Schiffe zu überfallen. Die Nutznießer der Gewalt sitzen aber auch an anderer Stelle. In ihrem permanenten Kampf um Bedeutung sieht die NATO im Kampf gegen die Piraterie ein neues Betätigungsfeld. Und in Deutschland nutzen Konservative die Debatte, um erneut die Trennung von Polizei und Armee aufzuheben. Den somalischen Piraten, den NATO-Oberen und den Unionspolitikern ist eines gemein: Für eine Lösung des Problems werden sie nicht sorgen.

Dass die Freibeuterei ein Problem ist, steht außer Frage. Arabische und afrikanische Staaten, die USA, die Europäische Union oder Russland - sie alle sehen ihren Seehandel in Gefahr. Aus allen diesen Staaten sind in den vergangenen Wochen und Monaten deswegen Kriegsschiffe in die internationalen Gewässer vor Somalia entsandt worden. Russland verlegte bereits im September das bewaffnete Küstenwachschiff "Neustraschimy" in das betroffene Gebiet, die EU will bis Jahresende ein halbes Dutzend Kriegsschiffe mobilisieren, um Frachter zu beschützen.

In Deutschland ist indes eine alte Debatte neu entbrannt: Sollen Angehörige der Bundesmarine die Befugnis erhalten, Piraten festzunehmen? Eine solche Verquickung von Militär- und Polizeiaufgaben verbietet das Grundgesetz bisher. Politiker der Unionsparteien nutzen die Gunst der Stunde nun für einen neuen Vorstoß, die Trennung der Zuständigkeiten aufzuheben. Was in letzter Konsequenz bedeutet: Sie wollen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nach mehrmaligem Scheitern nun an der Küste vor Somalia durchsetzen.

CSU: Den Rechtsstaat beiseite lassen

Entsprechende Forderungen kamen aus beiden Unionsparteien. Der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Peter Ramsauer, warnte nach einer Formulierung der Deutschen Presse-Agentur vor überzogenen rechtsstaatlichen Beschränkungen. "Es wäre ein Irrglaube zu meinen, man könnte mit dem letzten deutschen rechtsstaatlichen Schliff Piratennester am Horn von Afrika ausheben", sagte der CSU-Mann. Auch der stellvertretende Fraktionschef der CDU im Bundestag, Andreas Schockenhoff, forderte die Bundesregierung auf, die Trennung von Polizei und Armee "jetzt schnell den neuen Herausforderungen anzupassen". Mit anderen Worten: Die Trennung der bewaffneten Organe, wie sie nach den Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus im bundesdeutschen Grundgesetz verankert wurde, soll aufgehoben werden.

Widerspruch dagegen kommt aus der Opposition und Teilen der Sozialdemokratie. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach im Zeitungsinterview von einer blamablen Debatte. Auch die deutsche Marine, die im Rahmen der US-geführten "Operation Enduring Freedom" in den betroffenen Gewässern präsent ist, könne bei Bedarf handeln. Ähnlich äußerte sich die Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger. Klare Worte fand der Vizevorsitzende der SPD im Bundestag, Walter Kolbow. Er verwies darauf, ?"ass nach unserem Rechtsverständnis nicht Soldaten Kriminelle festnehmen, sondern nur Polizisten".

Tatsächlich könnten bei Patrouillenfahrten vor dem Horn von Afrika auch Bundespolizisten eingesetzt werden, um Festnahmen durchzuführen. Dagegen verwahren sich die Befürworter eines erweiterten Bundeswehrmandats jedoch entschieden. Eine solche Lösung auf der Basis des geltenden Grundgesetzes würde lediglich dazu führen, dass die Marine künftig mit mehreren Staatsanwälten, Ermittlungsrichtern und BKA-Beamten in See stechen werde, polemisierte der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz.

Hinrichtung und Folter mit Hilfe der Bundesmarine?

Dabei ist eine Lösung des Problems dringend nötig. Nach Angaben des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon haben Piraten in diesem Jahr umgerechnet 24 Millionen US-Dollar Lösegeld erbeutet. Allein für den derzeit entführten Supertanker "Sirius Star" fordern die Freibeuter umgerechnet weitere 20 Millionen Euro. Unterhändler aus Saudi Arabien stehen mit den Kidnappern derzeit in Verhandlungen. Nach einem Bericht der UN sind von Januar bis Oktober dieses Jahres entlang der somalischen Küste rund 65 Handelsschiffe geentert worden. Die Internationale Schifffahrtsbehörde gibt die Zahl der derzeit entführten Schiffe mit 17 an. Seit Jahresbeginn wurden insgesamt 94 Frachter angegriffen. An Bord der aktuell entführten Schiffe befinden sich rund 300 Besatzungsmitglieder.

Hauptgrund für die massive Zunahme der Piraterie ist die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Krise in Somalia. Das afrikanische Land befindet sich seit 1991 im Bürgerkrieg. Eine prowestliche Regierung steht dabei einer Administration aus islamischen Räten gegenüber. Die Freibeuter nutzen die Labilität des somalischen Staates, der über keine national agierenden Behörden verfügt, um vor den Küsten Jagd auf Handelsschiffe zu machen.

Ob ein militärisches Vorgehen in dieser Lage eine Lösung bringt, ist höchst unwahrscheinlich. Obgleich die Europäische Union sich im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor knapp zwei Wochen auf die zunächst 8,3 Millionen Euro teure "Atalanta"-Mission zum Schutz von Handelsschiffen geeinigt hat, bleiben viele Fragen offen. Auch außerhalb von Deutschland betrifft das mögliche Festnahmen und die Strafverfolgung von Piraten. Zwar sei die Befreiung von Schiffen und Geiseln durch das aktuelle Mandat der EU gedeckt, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Brüssel. Völlig unklar aber ist, was mit Festgenommenen geschehen soll. Im Falle einer Auslieferung an Somalia müssten sie mit Folter und Hinrichtung rechnen - was von dem EU-Militär dann billigend in Kauf genommen würde. Nicht geklärt ist auch die Frage, wer eine Entscheidung über die Gerichtsbarkeit fällt: Der Dienst habende Oberkommandierende eines EU-Kriegsschiffes, der Kapitän des zivilen Schiffes oder die Regierung des Entsendestaates?

Schwierige Rückkehr der Diplomatie

Es sind nicht die einzigen Fragen in Bezug auf eine Militärmission am Horn von Afrika. Wie unausgegoren das gesamte Vorhaben ist, wird schon bei einem flüchtigen Blick klar. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weist zwar darauf hin, dass "die Atalanta-Mission zügig auf den Weg gebracht werden" müsse. Zugleich existiert auf EU-Ebene bislang nicht ein einziges Dokument, das die deutschsprachige Öffentlichkeit über Ziele und Risiken aufklärt.

So verfestigt sich der Eindruck des militärischen Aktivismus. Angesichts des nahenden Regierungswechsels in den USA wächst offenbar auch bei Fürsprechern einer militärischen gestützten Außenpolitik in Europa die Angst vor einem Paradigmenwechsel. Nicht mehr die Waffengewalt könnte künftig entscheidend sein, sondern das Primat von Politik und Diplomatie. Für die Rüstungsindustrie würde das ein Ende lukrativer Jahre bedeuten, in denen kaum ein Monat verging, ohne dass eine neue Waffengattung für den "Kampf gegen Terroristen" vorgestellt wurde.

Dass es auch anders geht, beweisen derzeit arabische und afrikanische Staaten. So sprach sich der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union, Jean Ping, dafür aus, Somalia politisch zu stabilisieren. Nur so könne das Problem der Piraterie vor den Küsten dieses Landes nachhaltig bekämpft werden. Vertreter von sechs arabischen Staaten schlugen nach Beratungen in Kairo am Donnerstag zudem vor, im Roten Meer ein Warnsystem für Schiffe zu errichten. Unter Beteiligung der Arabischen Liga wurde auch diskutiert, Kontakt zu Stammesführern in Somalia aufzunehmen, die Einfluss auf die Piraten haben. Aufbauen und verhandeln statt bekämpfen und bombardieren - nach sieben Jahren "Krieg gegen den Terror" scheint das fast als revolutionäres Konzept.