Sprechen in der "sicheren" Zone

Der syrische Blogger Muhammad Ali Abdallah über Chancen, Kämpfe und Missstände von arabischen Cyber-Dissidenten

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Sein Vater, Ali Abdallah, ist ein bekannter syrischer Menschenrechtsaktivist. Sein Bruder Omar unterhielt einen regimekritischen Blog. Beide sitzen heute hinter syrischen Gittern. Mit denen schloss auch Mohammed Ali Abdallah in 2006 Bekanntschaft. Weil auch er Zivilcourage bewies. Seit dem vergangenen Jahr lebt der 26-jährige Journalist in Beirut und betreibt dort - einen Blog.

Was versprechen Sie sich von Ihrem Blog, auf dem Sie Politisches und Menschenrechtliches kommentieren?

Muhammad Ali Abdallah: Als der Anwalt Abdallah al-Ali – der nicht mit meinem Vater, Ali Abdallah, zu verwechseln ist - verhaftet wurde, vergingen satte 12 Tage, ehe die Welt darauf aufmerksam wurde. Als ich es in Beirut erfuhr, fand ich auf der Website seines anti-Korruptions-Nachrichtenportals, Al-Nazaha („Integrität“), dessen Chefredakteur er war, die knappe Mitteilung vor, dass es geschlossen ist. Ich habe die Details auf meinem Blog dargelegt und alles an die Gesellschaft für Menschenrechte in Kairo weiter geleitet. Die verfasste infolge eine Presserklärung, auf die auch Reporter ohne Grenzen reagierten. Das war mein Aha-Erlebnis. Erstmals spürte ich, dass ich mit dem Internet etwas bewirken kann.

Wie verbreitet ist Bloggen in der arabischen Welt?

Muhammad Ali Abdallah: Viel hängt von dem Grad der Meinungsfreiheit in den Medien ab. Im Libanon gibt es kaum Politblogs, weil man sich noch in der Presse äußern kann. Das aber ist eine Ausnahme in der arabischen Welt. Die meisten Aktivitäten herrschen in Ägypten mit 80.000 Blogs. Gemessen daran, dass es sich um eine Diktatur handelt, prangern sie relativ offen die Korruption an, aber auch die sexuelle Belästigung von Frauen – ein massives Problem der ägyptischen Gesellschaft, das die Regierung gerne ignoriert. Zu verdanken ist diese Offenheit vor allem dem Umstand, dass der ägyptische Geheimdienst bei weitem nicht so präsent ist wie der syrische. Dort ist die Lage am schlimmsten. Dort und in Tunesien.

Wie gehen Syrien und Tunesien mit den Bloggern um?

Muhammad Ali Abdallah: Blogger sind in allen arabischen Diktaturen von Repressionen bedroht. Aber in diesen beiden Ländern erwarten sie neben der Schließung ihrer Seiten Haftstrafen von bis zu sieben Jahren. Viel hängt aber auch von der Gegenwehr ab. Als in Syrien Facebook verboten wurde, gab es so gut wie keinen Aufschrei, wohingegen anlässlich des gleichen Verbots in Tunesien 30.000 Aktivisten zum Boykott des von der Regierung bereitgestellten Servers aufriefen.

Nach nur wenigen Tagen wurde das Facebook-Verbot dort aufgehoben. Allerdings sind die tunesischen Behörden technologisch gewiefter und ihre Methoden, Seiten zu blockieren, cleverer als die der Syrer. Dort kann man mit einem Proxy-Server schnell Blockaden knacken. Das wissen die Behörden zwar, aber sie sind machtlos, weil sie nicht auch noch die offizielle Proxy-Server-Seite sperren können. Zugleich investiert Syrien viel Geld in den Einkauf ausgereifter Technologie zu Spionagezwecken. Zuletzt war es in 2006 ein Server aus Spanien, der nach Syrien verschickte E-Mails mittels Schlüsselwörtern filtert und auf einer Festplatte der Regierung speichert. Offiziell geht all dies unter dem Motto „Krieg gegen den Terror“. Inoffiziell aber wissen alle, was läuft.

Mitunter hat man den Eindruck, dass sich der Einsatz neuer Technologie-Tools in arabischen Gesellschaften weit schneller als in europäischen etabliert, wo viele weder Facebook noch Skype kennen, geschweige denn nützen.

Muhammad Ali Abdallah: Wo Meinungsfreiheit herrscht, sucht man weniger verkrampft nach neuen Mitteilungswegen. Außerdem lernen die arabischen Blogger voneinander. In Tunis wurde beispielsweise eine Luftaufnahme des Präsidentenpalais – an sich schon ein Tabu - mit einer fiktiven Landkarte von Orten umsäumt, an denen sich ehemalige Inhaftierte und Menschenrechtsaktivisten symbolisch aufhalten. Diese haben in Einzeleinspielungen von ihren Erlebnissen berichtet.

Das Ganze wurde durch die Betreiber des Gemeinschaftsblogs Nawaat ("Kernpunkt") auf Google Earth und auf Youtube veröffentlicht und sorgte für einen Paukenschlag in der arabischen Welt. Die ägyptischen Aktivisten wiederum führten dieses Frühjahr vor, was man mit Facebook erreichen kann: sie riefen zu Generalstreiks wegen der steigenden Preise über dieses Tool, statt über herkömmliche und ineffizientere, weil oft gefährlichere Wege auf.

Aber können diese Aktionen mehr als Paukenschläge sein? Die Mobilisierung zum Generalstreik in Ägypten wurde vom Regime niedergeschlagen.

Muhammad Ali Abdallah: Der beste Beweis für ihre Effizienz ist der Grad ihrer Verfolgung und die Anzahl der von den Regierungen blockierten Webseiten. Blogspot ist in Syrien seit 2005 blockiert. Bemerkenswert ist auch, dass vor allem ägyptische Journalisten Blogs zunehmend als Ausweichmedien erachten. Wenn ihre Redaktionen bestimmte Informationen aus Angst ablehnen, leiten sie das Material an Blogger weiter. Fernsehgiganten wie Al-Jazeera oder Al-Arabiya kommen darauf zurück.

Der Spiraleffekt wird verstärkt durch die technologische Entwicklung. Google Earth ermöglicht die sofortige Veröffentlichung von Fotos, die via Links oder SMS-Nachrichten weiterverschickt werden können. Auf diese Weise kann man innerhalb von Minuten über Aktuelles informieren. Das ist überall da Gold wert, wo man nur ein Handy dabeihat, mit dem man fotografieren kann. Aber das genügt heute.

Als Menschenrechtsaktivist kritisieren Sie nicht nur Diktaturen und staatliche Kontrollorgane, sondern auch die Technologieunternehmen selbst.

Muhammad Ali Abdallah: Weil Letztere mit Ersteren kollaborieren, dafür gibt es weltweit genügend Beispiele. Google Earth hat zwei Landstriche gelöscht, die geheimes Staatsterritorium von Bahrain sind und nicht einmal den Bahrainern bekannt waren, weil es sich dem Druck der Regierung beugte. Yahoo willigte ein, von allen Mails, die aus oder in China eintreffen, der Regierung in Beijing eine Kopie vorzulegen .

Dies trug 2005 zu der zehnjährigen Haftstrafe für den Journalisten Shi Tao bei, der über sein Yahoo-Konto einer amerikanischen NGO gemailt hatte, dass China keine Berichterstattung über das Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Vorfeld seines 15. Jahrestages wünscht. Nur weil Yahoo mit der chinesischen Regierung kooperiert hatte, konnte er ermittelt werden. Eine üble Rolle, die Yahoo gespielt hat, obgleich es leugnet, von der Gefahr für ihn gewusst zu haben. Yahoo, Google bzw. Google Earth wie auch Hotmail beugen sich aus Furcht vor wirtschaftlichen Verlusten.

Seit 2006 ist auch bekannt, dass die israelische Regierung Microsoft dazu gebracht hat, ihr das Hotmail-Konto von Mordechai Vanunu auszuhändigen, obwohl der bereits eine 18-jährige Haftstrafe verbüßen musste, einzig und allein, weil er vor Israels Nuklearprogramm gewarnt hatte. Die Regierungen stellen also nicht die einzige Gefahr für Cyber-Dissidenten dar.