Gemischte Gefühle in Venezuela

Sozialistische Partei von Hugo Chávez gewinnt bei Kommunalwahlen die meisten Bundesstaaten. In Feierlaune ist sie dennoch nicht

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So eng können Verlust und Sieg beieinanderliegen: Bei den Gouverneurs-, Gemeinde- und Kommunalwahlen in Venezuela am Sonntag hat die regierende Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) zwar die meisten Stimmen erzielt. Feierlaune mag sich bei den rot gewandeten Anhängern von Präsident Hugo Chávez trotzdem nicht einstellen. Die Opposition hat sechs Führungsposten errungen. Sie regiert in der kommenden Legislaturperiode in fünf Bundesstaaten. Den Bundesdistrikt von Caracas gewann mit Antonio Ledezma zudem ein erbitterter Gegner des Chavismus. Der Zugewinn der Opposition ist aber kein Zeichen ihrer Stärke, sondern eine Konsequenz der Schwäche des Regierungslagers. Die Gründung der PSUV hatte in den Monaten vor der Wahl zu massiven Zerwürfnissen zwischen den Parteien der Regierungskoalition geführt.

So musste sich Chávez nicht nur gegen die Gegner seiner sozialen Reformpolitik auf der Rechten wehren, sondern auch gegen Dissidenten aus den eigenen Reihen. Im Bundesstaat Guárico etwa trat mit Lenny Manuitt die Tochter des ehemaligen sozialdemokratischen Gouverneurs gegen den Kandidaten der PSUV an.

Rege Wahlbeteiligung wie hier in El Valle. Bild: http://www.podemos.com.ve

Trotzdem bleibt die PSUV als Nachfolgeorganisation der chavistischen Bewegung Fünfte Republik (MVR) weiter führende Kraft in Venezuela. 17 der 22 Bundesstaaten werden von ihr regiert werden. Auch der Blick auf die Wählerverteilung belegt die Kontinuität. Gut 5,4 Millionen Venezolaner stimmten für die Kandidaten des Regierungslagers, vier Millionen für Politiker der Opposition. Im Vergleich zu einem viel beachteten Referendum, mit dem Ende vergangenen Jahres eine Verfassungsreform der Chávez-Regierung abgelehnt wurde, gewann die Staatsführung rund eine Million Stimmen, ihre konservativen Gegner büßten 300.000 ein. Der Qualität steht die Quantität gegenüber: Mit Carabobo und Zulia werden zwei wirtschaftsstarke Staaten künftig von der Opposition regiert. Auch der Verlust des Hauptstadtdistrikts ist ein herber Rückschlag für das Chávez-Lager.

Chavez spricht von einem Sieg für Venezuela. Bild: http://www.podemos.com.ve

Chávez: Venezuela ist "rot, dunkelrot"

Der Staatschef selbst machte am Wahlabend gute Mine zum bösen Spiel. Die für Kommunalwahlen immense Wahlbeteiligung von rund 65 Prozent sei ein Sieg für Venezuela und die Verfassung, sagte Chávez vor Journalisten in Caracas. Kurz zuvor hatte Tibisay Lucena, die Vorsitzende des Nationalen Wahlrates (CNE) nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen die vorläufigen Ergebnisse verkündet.

Die politische Landkarte sei "rot, dunkelrot", urteilte Chávez daraufhin in Anspielung auf einen politischen Slogan. Das Resultat, die hohe Wahlbeteiligung und die Ruhe am Wahltag bedeuteten einen "außerordentlichen Erfolg, weil der vom venezolanischen Volk gewählte Weg der Demokratie bestätigt wurde". Chávez beglückwünschte die Sieger auf der Oppositionsseite. Zugleich forderte er sie auf, sich an die verfassungsmäßige Ordnung zu halten. Umsturzversuche wie in den Jahren 2002 und 2003 würden harte Reaktionen der Staatsführung nach sich ziehen. Mitte April 2002 hatte eine Allianz aus rechten Militärs, Parteien und Unternehmern einen Putschversuch unternommen.

Dass sich die Widersacher der "bolivarischen Revolution", wie der soziale Reformprozess in Venezuela genannt wird, ihres späteren Triumphes zunächst keineswegs sicher waren, hatte sich am frühen Abend gezeigt. Sichtlich nervös hatten Vertreter rechtsgerichteter Oppositionsparteien harsche Kritik an dem nationalen Wahlrat geübt. Der CNE hatte entschieden, die Wahllokale entgegen der Planung auch nach 16 Uhr offen zu halten, bis jeder Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben hat. Schon am Vormittag hatten sich lange Schlangen vor den Abstimmungsräumen gebildet.

Obwohl die Entscheidung des CNE gesetzlich gedeckt war, liefen Oppositionspolitiker Sturm. Der Sprecher der Partei Un Nuevo Tiempo, Enrique Márquez, warf CNE, Staatsführung und Militär indirekt den Versuch des Wahlbetrugs vor. In 450 Wahllokalen seien "Unregemäßigkeiten" festgestellt worden, sagte Márquez vor Journalisten, ohne diesen Vorwurf zu belegen. Nach Bekanntgabe des unerwartet guten Ergebnisses für die Opposition wenige Stunden später war diese Kritik vergessen.

Chávismus mit internen Problemen

Regierung und Opposition werden sich in Venezuela nach diesem Wochenende neu aufstellen. Besonders im Regierungslager dürfte die Bilanzdebatte spannend werden. Seit der Gründung der PSUV hatte der Chávismus unter massiven Streitigkeiten gelitten. Mehrere Parteien, Sozialdemokraten und Kommunisten, hatten eine Eingliederung in die neue Großpartei abgelehnt und auf Eigenständigkeit beharrt. Diese Kräfte lehnten auch die strategische Unterstützung von Kommunal- und Regionalpolitikern ab, die dem rechten Flügel des Chavismus abgehören.

Der Gouverneur des Bundesstaats Bolívar, Edgar Rangel Gómez, war beispielsweise in den vergangenen Jahren immer wieder mit sozialen Bewegungen und Basisgruppen in Konflikt geraten. Neben diesen linken Kritikern hatten sich Opportunisten vom Chávismus losgesagt, weil sie nach der Gründung einer einheitlichen Parteistruktur um Posten und Pfründe fürchteten. Zu diesem Lager gehört die rechtssozialdemokratische Partei Podemos. Auch wenn sie aus grundsätzlich unterschiedlichen Motiven handelten, sorgten beide Bewegungen für eine Schwächung des Chavismus.

Obgleich die Opposition von der Spaltung des Regierungslagers nicht direkt profitieren konnte, hat sie ihre Position stärken können. Fünf Bundesstaaten und das Hauptstadtdistrikt gehen an sie. Derzeit scheint es fragwürdig, ob die Gegner von Chávez' anti-neoliberaler Politik davon profitieren können. Die Parteien des konservativen und rechten Parteienspektrums sind nach wie vor tief zerstritten. Eine gemeinsame Integrationsfigur gibt es nicht.

Politische Perspektive in Venezuela unklar

Die Häme, mit der unter anderem die europäische Presse auf das Ergebnis reagierte, ist deswegen kaum angebracht. Korrespondenten deutschsprachiger Tageszeitungen arbeiteten in ihren Berichten mitunter mit schlagkräftigen Metaphern. Die einen verpassten Chávez eine "Ohrfeige", die anderen ein "blaues Auge". Dass neben den Ergebnissen der Gouverneurswahl 265 der 327 künftigen Bürgermeister aus dem Regierungslager kommen und 18 der 24 strategisch bedeutenden Hauptstädte der Bundesstaaten von der PSUV regiert werden, wurde in diesen Berichten geflissentlich übergangen.

Zwar halten die Gegner der Chávez-Regierung nun einige Bundesstaaten, doch sie regieren inmitten von chávistischen Gemeinden und Städten. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob diese brisante Konstellation für neue Konflikte sorgt. Der langjährige Chávez-Gegner und Gouverneur des Bundesstaates Zulia, Manuel Rosales, zeigte sich am Wahlabend zunächst versöhnlich: "Mit diesen Ergebnissen beginnt eine neue Etappe im Land, eine Etappe des Verständnisses und der Versöhnung", sagte er. Es wird sich zeigen, ob dieses Urteil im Oppositionslager mehrheitsfähig ist. Mit Sorge wurde in regierungsnahen Medien zu Wochenbeginn bereits darauf hingewiesen, dass die Bundesstaaten Zulia und Táchira im Westen Venezuelas von der Opposition regiert werden. Weil beide Regionen an Kolumbien grenzen, könnte dort agierenden rechten Paramilitärs der Weg nach Venezuela geebnet werden.