Deutsche Medien: Konzentration und Stellenabbau

Auch in der Medienbranche zeichnen sich "radikale Umstrukturierungen" ab. Doch die Finanzkrise ist dafür nicht allein verantwortlich

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Die Essener WAZ-Gruppe will mindestens 30 Millionen Euro einsparen und den Umfang ihrer Tageszeitungen "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", "Westfälische Rundschau", "Neue Ruhr/Rhein Zeitung" und "Westfalenpost" von 48 auf 32 Seiten reduzieren. Klassische Ressorts sollen in diesem Zusammenhang aufgelöst und durch "Newsdesks" ersetzt werden, die ein "Content-Desk" mit Inhalten beliefert. Etwa 300 Mitarbeiter könnten allein in Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsplatz verlieren.

Mit 120 Kündigungen rechnet der Deutsche Journalistenverband bei Gruner + Jahr. Hier sollen "Impulse", "Capital", "Börse Online" und "Financial Times Deutschland" im Zuge einer "Portfoliobereinigung" radikal umstrukturiert und die Redakteure, die künftig für alle vier Blätter arbeiten, bei einer Gesellschaft in Hamburg angestellt werden. Eine Tarifbindung ist offenbar nicht vorgesehen. Außerdem wird das Lifestyle-Magazin "Park Avenue" komplett eingestellt. Die letzte Ausgabe erscheint im Januar 2009.

Die "Süddeutsche Zeitung", die nach Branchenschätzungen etwa 60 Prozent ihrer Erlöse aus Werbeeinnahmen bezieht, verzeichnete auf diesem Sektor in den letzten Monaten einen dramatischen Einbruch. Nun wird über Einsparungen in einer Größenordnung von 15 Millionen Euro diskutiert. Überdies ist offenbar ein deutlicher Stellenabbau geplant, wobei betriebsbedingte Kündigungen nach Möglichkeit vermieden werden sollen, aber nicht ausgeschlossen sind.

Museum of Dead Magazines

Diese drei Beispiele, die in den letzten Tagen bundesweit für Aufsehen sorgten, legen den Verdacht nahe, dass die Abwärtsspirale auf den internationalen Finanzmärkten nun auch die Medienbranche erfasst hat, die schon beim Kollaps des "Neuen Marktes" schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Vor allem die Printmedien scheinen angesichts des rückläufigen Anzeigengeschäftes und sinkender Auflagen - bei gleichbleibend hohen Personal- und Vertriebskosten - kaum mehr in der Lage zu sein, die betriebswirtschaftlichen Interessen des Unternehmens mit den Erwartungen der Mitarbeiter an einen sicheren und solide dotierten Arbeitsplatz zu verbinden.

Dabei sind die drei deutschen Flagschiffe keine Einzelfälle. Schon im Sommer 2008 kündigte Gannett als größter Zeitungsverlag der USA die Entlassung von 600 Mitarbeitern an. Doch das war nur der Anfang. Mittlerweile plant die "Information Company", die immerhin die auflagenstärkste Tageszeitung Amerikas "USA Today" produziert, einen Stellenabbau von 10 Prozent. Davon wären mehr als 3.000 Mitarbeiter betroffen.

Der Magazin-Verlag Time Inc. will zunächst 250 Mitarbeiter entlassen, in naher Zukunft sollen 350 weitere folgen. In beiden Fällen macht die Unternehmensführung die Finanzkrise für die aktuelle Schieflage verantwortlich. Ann Moore, Vorstandsmitglied von Time Inc., bemühte zu diesem Zweck sogar einen ausgreifenden historischen Vergleich. Im Oktober 2008 sei die Situation mit der tiefen Depression des Jahres 1931 identisch gewesen: "Noch nie waren so viele Anzeigenkunden von Time in Schwierigkeiten."

Der Christian Science Monitor, der 1908 gegründet und mehrfach mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, will vorerst auf Entlassungen verzichten, an Wochentagen aber überhaupt keine Printausgabe mehr veröffentlichen. Ab April 2009 gibt es die Sicht des CMS von montags bis freitags nur noch online.

Auch die Nachrichtenagenturen warten vorwiegend mit negativen Schlagzeilen auf. Associated Press will im Laufe des kommenden Jahres über 400 Stellen abbauen, weil 30 Millionen Dollar weniger Lizenzeinnahmen erwartet werden. Mehr als 100 Zeitungen denken derzeit darüber nach, ihr AP-Abonnement zu kündigen. In Deutschland droht der größten Agentur dpa ähnliches Ungemach. Die WAZ-Gruppe überlegt offenbar, im nächsten Jahr komplett auf den Basisdienst der Agentur zu verzichten.

Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Um die Freistellungen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt in den Bereichen Technologie, Internet und Medien besser nachvollziehen zu können, hat der Weblog-Anbieter TechCrunch einen Layoff-Tracker online gestellt. Weitere Opfer der Medienkrise finden sich im Magazine Death Pool, wo bereits ein Museum of Dead Magazines eingerichtet wurde.

Sachverwalter und Profiteure

Bis zum 30. Juni 2009 sollen etwa 350 Sat.1-Mitarbeiter von Berlin nach München umziehen. 225 Mitarbeitern bleiben die Unannehmlichkeiten eines Ortswechsels erspart, weil ihre Jobs bei der Gelegenheit gestrichen werden. Verantwortlich ist diesmal nicht die Finanzkrise, sondern die "Gier der Eigentümer". Dieser Vorwurf kam Mitte November nicht aus den Reihen der Linkspartei, sondern vom Deutschen Journalisten-Verband, der befürchtet, dass SAT.1 vom Vollprogramm (endgültig) "zur belanglosen Abspielstation" degradiert werden könnte.

Der Umzug und die Personalentscheidungen ließen sich nur mit völlig überzogenen Renditeerwartungen der Eigentümer KKR und Permira erklären, meinte der Bundesvorsitzende des Verbandes Michael Konken.

Die Sat.1-Jobs in Berlin dürfen nicht der Gier der Eigentümer zum Opfer fallen.

Michael Konken

Auf dem Verbandstag in Rostock-Warnemünde hatte Konken Anfang November bereits deutliche Kritik an der Arbeit und dem Selbstverständnis der deutschen Verleger geäußert. Sie seien "ausschließlich" an der Rendite ihrer Medienhäuser interessiert und hätten keine Beziehung mehr zum publizistischen Auftrag einer Zeitung.

Wo Kompetenz fehlt, wird nichts gewagt. Wo nichts gewagt wird, wird aber auch nichts gewonnen. Sie (die Verleger, Erg. d. Red.) sind Sachverwalter, Profiteure ohne Bindung zu dem, was sie erfolgreich macht: zu ihren Arbeitnehmern.

Michael Konken

Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) kritisiert, dass die Inhaber von Zeitungen und Verlagen diese lange Zeit nur als Renditeobjekte betrachtet und inhaltliche Ansprüche aufgegeben hätten. Der Nachkriegsgeneration, die einer "publizistischen Gesinnung flächendeckend Ausdruck verleihen wollte", seien Betriebswirte und Juristen gefolgt, "nüchterne Verlags- oder Medienmanager, die allein die Kosten im Auge haben", meint Frank Biermann, Landesvorsitzender der dju in Nordrhein-Westfalen. Auf die Steigerung des Privatvermögens habe sich dieses Vorgehen allerdings positiv ausgewirkt.

Wenn man also mal in die letzte Ausgabe des Manager Magazins reinguckt: Da sind nämlich alle fünf Familien, denen die WAZ-Gruppe gehört, in der Liste der Top 300 reichen Familien Deutschlands, die liegen alle zwischen… Also unter einer Milliarde alle, aber in der Summe hat die Familie ein Gesamtvermögen von 3,85 Milliarden Euro in den letzten Jahrzehnten verdient. Deswegen können wir jetzt nicht nachvollziehen, dass, wenn eine kurzfristige Krise in der Branche auftaucht, sofort die Redakteure diejenigen sein sollen, die dann bluten sollen. Das leuchtet uns nicht ein. Da muss man mehr Geduld haben.

Frank Biermann

Journalistischer Einheitsbrei

Neben der Entlassung langjähriger, engagierter, mitunter schlecht bezahlter Mitarbeiter drohen der Branche inhaltliche Qualitätseinbußen in einem Ausmaß, das bislang kaum abgeschätzt werden kann. Von der "publizistischen Vielfalt unter einem betriebswirtschaftlichen Dach", der sich die WAZ-Gruppe laut dem früheren Geschäftsführer Erich Schumann verpflichtet fühlen sollte, könnte im schlimmsten Fall nicht mehr allzu viel übrig bleiben. So erklärte Susanne Schulte, Redakteurin bei der Westfälischen Rundschau, zum Thema zentraler "Content Desk" für vier Zeitungen in einem Rundfunkinterview:

Ich bin mir sicher, wenn es jetzt eine Art Agentur gibt für die vier WAZ-Zeitungen, dann natürlich von Vielfalt nicht mehr die Rede sein kann. In Dortmund gibt es ja noch den WAZ-Mantel und den Mantel der Westfälischen Rundschau. Und dann wird es dann eben so sein: Was bei der Rundschau Aufmacher ist, das ist bei der WAZ vielleicht der Aufsetzer und umgekehrt. Und das ist nichts Anderes, als wenn man sagt, man macht eine Agenturzeitung nur mit dpa-Meldungen - nur dass es eben aus dem eigenen Haus kommt und dass man jetzt halt eben die Lizenz oder das Geld spart, was man sonst für dpa ausgibt.

Susanne Schulte

Die Zusammenlegung von Ressorts, Redaktionen, Zeitungen und Verlagen dürfte aber weit über Nordrhein-Westfalen hinaus zum schwerwiegenden Problem für die mediale Meinungsvielfalt und Glaubwürdigkeit werden. Nicht nur der Deutsche Journalisten-Verband und die Gewerkschaft ver.di warnen vor den Gefahren eines journalistischen "Einheitsbreis". Dietrich Oppenberg, ehemals Herausgeber der Neue Ruhr Zeitung, vermutete schon vor zehn Jahren, Journalisten würden im Zeitungsgeschäft nur noch als "notwendiges Übel" angesehen. Auch der Medienforscher Horst Röper kritisiert den offensichtlichen Trend, immer häufiger auf originäre journalistische Leistungen zu verzichten und an ihrer Stelle Texte zu produzieren, die ohne besondere Kennzeichen auskommen und möglichst vielseitig verwendbar sind.

Wenn der WAZ-Konzern nun behauptet, es sei doch wirtschaftlich unsinnig, dass beispielsweise zu einem Fußballspiel vier Sportredakteure von seinen einzelnen Titeln führen, dann reiche doch auch einer, weil deren Berichte doch ohnehin gleich seien. Da muss man sich natürlich fragen, warum hat man sich das denn über Jahrzehnte erlaubt. Diese Berichterstattung ist natürlich nicht einheitlich, und es kommt gerade auf diese unterschiedlichen Blickwinkel von Journalisten an.

Horst Röper

Strukturprobleme

Die Ursachen für den aktuellen Schlingerkurs der Medienbranche reichen demnach tiefer und weiter als die aktuelle Finanzkrise. Doch das oben genannte Beispiel des "Christian Science Monitor" verweist auch auf ein strukturelles Problem, mit dem vornehmlich die Printmedien zu kämpfen haben. 1970 erschien das Blatt mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren, die seitdem um geschätzte 75 Prozent gesunken ist.

Nach Angaben der World Association of Newspapers zeigen sich auf dem Markt für Tageszeitungen weltweit zwar noch immer erstaunliche Wachstumschancen, doch die USA und viele europäische Länder haben sich seit geraumer Zeit von dieser Entwicklung abgekoppelt und verzeichnen vorwiegend rückläufige Trends.

Die "Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V." belegt diese Entwicklung auch für Deutschland mit aktuellen Zahlen. So lag die verkaufte Auflage der Tageszeitungen im 3. Quartal 2008 bei durchschnittlich 23,62 Millionen Exemplaren pro Erscheinungstag. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutete das einen erneuten Rückgang um 0,65 Millionen. Vor diesem Hintergrund sieht der Medienberater Frank Huber gleich mehrere Faktoren, die den "Charakter der Wertschöpfungsprozesse und Wertketten im Medienbereich beeinflussen".

Da ist zunächst einmal das Faktum, dass das Internet einen Crowding out- und Verdrängungseffekt für die Printwelt mit sich bringt. Nicht in allen Fällen, aber besonders junge und agile, Preis vergleichende Nutzer mit geringen Such- und Opportunitätskosten wenden sich kostenlosen Kanälen und Medien zu.

Wobei wir schon beim Problem Nr. 2 sind: diese User generieren zunehmend selbst ihre Inhalte und treten so (oft ohne es zu wissen) in Konkurrenz mit Journalisten und Verlagen bei der Verwertung von Inhalten. Dazu tritt eine etwas gewandelte Sicht und Praxis in Sachen Urheberrecht. Was früher knallhart verfolgt wurde, wird oft unter dem Etikett “Zitatenrecht” oder “Reichweitengewinnung” abgehakt.

Frank Huber

So stehen der Medienbranche aller Wahrscheinlichkeit nach schwere Zeiten bevor - während und auch nach der aktuellen Finanzkrise.