Die Abenteuer des Bundesnachrichtendienstes in Mafiastan

Trotz eines gestern aufgetauchten angeblichen Bekennerschreibens bleiben die Hintergründe des Sprengstoffanschlags im Kosovo rätselhaft

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Am 14. November gegen 17.30 Uhr gab es einen Anschlag auf ein von der Internationalen Verwaltungsbehörde (ICO) und der EU genutztes Gebäude in Pristina, bei dem allerdings nur ein paar Scheiben zu Bruch gingen. Fünf Tage später wurden drei Deutsche bei ihrer Festnahme am Tatort gefilmt und in Untersuchungshaft genommen.

Nachdem kolportiert wurde, dass bei den dreien "BND-Ausweise und Dokumente" sichergestellt worden seien, überschlugen sich die örtlichen Medien bald mit angeblichen Beweisen für die Schuld von "Andreas B.", "Andreas J." und "Robert Z.". Unter anderem war die Rede davon, dass bei einer Hausdurchsuchung nicht nur eine genaue Tatortskizze, sondern auch eine Tasche sichergestellt worden sei, in welcher sich einmal die für den Anschlag verwendeten 300 Gramm TNT befunden hätten. Der Staatsanwalt Feti Tunuzliu raunte allgemein von "Beweisstücken", die beim Abhören der Männer und der Durchsuchung gefunden worden seien. Die Süddeutsche Zeitung wollte gar von einem Video wissen, auf dem die Tat angeblich aufgezeichnet, die Täter aber nicht klar erkennbar wären.

Am Donnerstagvormittag wurde bekannt, dass sich eine "Armee der Republik Kosovo" in einer E-Mail an mehrere albanischsprachige Medien zu dem Anschlag bekennt. Die Gruppe wollte damit angeblich den "bewaffneten Kampf" gegen die gestern vom UN-Sicherheitsrat genehmigte EU-Mission EULEX beginnen, in deren Rahmen insgesamt 2.000 Polizisten, Richter und Verwaltungsfachleute aus verschiedenen europäischen Ländern in den Kosovo entsandt werden sollen. Wer sich hinter der "Armee der Republik Kosovo" verbirgt, ist nicht klar. Der Name wurde bislang noch nicht im Kontakt mit internationalen Medien verwendet, so dass alle Möglichkeiten offen scheinen.

Zu dem Bekennerschreiben hinzu kam die Meldung, dass Untersuchungen eines türkischen Labors angeblich keine Beweise für eine Tatbeteiligung der drei Deutschen erbracht hätten. Während es am Donnerstagnachmittag noch geheißen hatte, dass angesichts dieser Entwicklung eine Freilassung der drei BND-Mitarbeiter unmittelbar bevorstehen würde, teilte Gerichtspräsident Anton Nokaj später am Tag mit, dass der im Kosovo eingesetzte UN-Richter Vinot Bolello darüber entscheiden solle. Deutschen Medienberichten zufolge könnten die drei nun Freitagabend freigelassen und ausgeflogen werden.

Ebenfalls gestern bestätigte BND-Chef Ernst Uhrlau dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG), dass die Drei tatsächlich Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes sind. Allerdings hatte daran seit der Information, dass sie für die als Tarnfirma bekannte "Logistics Coordination Assessment Services" arbeiteten, nur mehr wenig Zweifel bestanden. Nach der Informationssitzung äußerten sich Angehörige des PKG hinsichtlich einer möglichen Tatbegehung der drei Deutschen relativ zurückhaltend. Stattdessen war die Rede davon, dass in der unlängst als selbständiger Staat anerkannten, ehemals serbischen Provinz "jegliche Rechtsstaatlichkeit" fehlen würde. Der FDP-Politiker Max Stadler meinte, dass die Aufklärungsarbeit des BND im Kosovo der Sicherheit diene und der Dienst in Gegenden wie dieser "sogar die gesetzliche Verpflichtung [habe], der Bundesregierung Informationen über das politische Geschehen zu geben."

Es ist durchaus möglich, dass das plötzlich aufgetauchte Schreiben nur ein konstruierter Vorwand ist, mit dem die drei Männer aus der Untersuchungshaft entlassen werden können. Relativ unwahrscheinlich ist allerdings, dass die drei den Anschlag tatsächlich selbst durchführten – auch wenn die Aussage des stellvertretenden Regierungssprechers Thomas Steg in Berlin, es sei "absurd und abwegig anzunehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland in terroristische Anschläge im Ausland verwickelt sein könnte", keine unbedingt überzeugende Erklärung war.

Zum einen wäre bei einer Täterschaft eine spätere Begehung des Tatorts, die nur der Kitschkriminalroman als zwingend voraussetzt, weder sinnvoll noch notwendig, dafür aber ausgesprochen dumm gewesen. Zum anderen bietet sich eine sehr viel nahe liegendere Erklärung: Während man bei der Suche nach einem Motiv des BND für die Durchführung des Anschlags schon sehr tief in Verschwörungstheorien einsteigen müsste, ergibt sich für eine Rufschädigung des Dienstes durch Politiker und Behörden des Kosovo ein sehr viel einfacheres Motiv: Möglicherweise fielen die BND-Mitarbeiter einer Strafaktion zum Opfer, die ihrer Ursache in einem vor drei Jahren erschienenen Papier hat.

Mögliches Motiv: Das BND-Dossier vom 22. Februar 2005

Helmut Schmidt soll gesagt haben, in den Dossiers des BND würde er ohnehin nur das finden, was auch in den Zeitungen zu lesen sei. Das mag zu manchen Themen auch heute noch der Fall sein, aber dieser Einschätzung zum Trotz vermochte der deutsche Auslandsgeheimdienst zumindest in diesem Jahrtausend durchaus auch Informationen zu liefern, die nicht in den Zeitungen standen – unabhängig davon, ob dies an einer Verschlechterung der Information in den Zeitungen oder an einer Verbesserung der Arbeit des BND lag. Auch in einem von Jürgen Roth ausgewerteten Bericht des Bundesnachrichtendienstes über die Situation im Kosovo vom 22. Februar 2005 ergab sich ein Bild, dass sich deutlich von dem in den Mainstream-Medien unterschied.

In der 67 Seiten umfassenden "amtlich geheim gehalten[en]" Verschlusssache kamen die BND-Mitarbeiter zu dem Schluss, dass sich im Kosovo Politik und Organisierte Kriminalität (im BND-Jargon "OK") ausgesprochen nahe stehen. Wörtlich heißt es dort: "Über die Key-Player (wie z. B. Haliti, Thaci, Haradinaj) bestehen engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen […]." Deshalb, so die BND-Fachleute, strebten "maßgebliche Akteure der OK auf dem Balkan entweder in hohe Regierungs- oder Parteiämter und/oder pflegen gute Beziehungen zu diesen Kreisen." Der derzeitige Regierungschef Thaci gilt dem BND diesem Papier zufolge "als Auftraggeber des Profikillers Afrimi". Dem wiederum wurden schon damals mindestens elf Auftragsmorde zugeschrieben. Über den Führer einer anderen großen Partei befand der Auslandsgeheimdienst:

Die im Raum Decani auf Familienclan basierende Struktur um Ramush Haradinaj befasst sich mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren. Außerdem kontrolliert sie kommunale Regierungsorgane.

Hintergrund des bemerkenswerten Papiers waren möglicherweise die Vorwürfe, die sich der BND drei Jahre vorher hatte anhören müssen, weil er trotz einer angeblichen Überwachung albanischer Extremisten das Pogrom vom März 2004 nicht antizipiert hatte. Das wollte sich der Geheimdienst möglicherweise nicht ein zweites Mal nachsagen lassen – und lieferte vielleicht auch deshalb ein knappes Jahr später ungewöhnlich interessante Informationen.

Dafür, dass das BND-Papier eine bewusste Desinformation wäre, spricht verhältnismäßig wenig: Zum einen fehlt ein halbwegs realistisches Motiv dafür, zum anderen bestätigt sich das darin gezeichnete Bild, je mehr man sich weg vom ZDF und hin zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen über den Kosovo begibt. Auch ein geheimer Bericht des Nachrichtendienstes der Uno, der Central Intelligence Unit (CIU), vom 29. Dezember 2003, eine für die der Kfor gefertigte geheime Analyse vom 10. März 2004 und ein von der Bundeswehr in Auftrag gegebenes Dossier des Berliner Institut für Europäische Politik vom 9. Januar 2007 kamen zu sehr ähnlichen Ergebnissen.

Dass die BND-Mitarbeiter, wie die Kosovo-Behörden angaben, seit eineinhalb Jahren überwacht wurden, ist wahrscheinlich sogar richtig, spricht aber nicht unbedingt für eine Durchführung der Tat. Die Kosovo-Eliten dürfte durchaus interessiert haben, was der BND über die Aktivitäten des Organisierten Verbrechens ans Licht bringen konnte. Denn auch wenn die deutsche Regierung die Erkenntnisse aus dem BND-Papier von 2005 vollständig ignorierte, so erlangte es in den Jahren darauf doch eine gewisse Bekanntheit, welche die öffentliche Meinung nicht ganz unverändert ließ.