Französische Pressefreiheit unter Druck

Die aufsehenerregende Verhaftung eines Journalisten sorgt zur Zeit für ziemlichen Wirbel, ist es doch bei weitem nicht der erste Fall, wo die Presse in die Mühlen der hyperaktiven Polizei- und Justizbehörden gerät

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Und die sind nicht gerade zartbesaitet, wie die kürzliche Verhaftung eines Journalisten und ehemaligen diensthabenden Chefs von Libération veranschaulicht: Vittorio de Filippis, so sein Name, wird im sprichwörtlichen Morgengrauen vor seinen Kindern von Polizisten mit den Worten, „Ihr Journalisten seid schlimmer als Gesindel !“, aufs Kommissariat abgeführt, wo man ihm den Anlass des morgendlichen Spektakels erklärt: Eine simple Verleumdungsklage eines Geschäftmannes, ob eines Postings auf einem Liberation-Forum.

Anschließend wird de Filippis mit Handschellen im Rücken zum Tribunal geführt, wo er sich komplett ausziehen und 2 Leibesvisitationen unterziehen muss. Die Richterin, die das Mandat erlassen hat, erklärt, dass der Journalist ansonsten nicht erreichbar gewesen wäre. Obwohl ein Telefonanruf bei Libération weitaus genügt hätte.

Eine wahre Flut von erhitzten öffentlichen Reaktionen auf diese „erniedrigende“ Festnahme, ließ nicht lange auf sich warten: Der Herausgeber von Libération, Laurent Joffrin, vermutet, dass der derzeit grassierende Sicherheitswahn so mancher Politiker, welcher die Freiheiten hintanstellt, etwas mit dieser fragwürdigen Verfahrensweise der Behörden zu tun haben könnte.

Der Kommentator einer Regionalzeitung (Sud-Ouest ) geht noch weiter, und gemahnt daran, dass „Diktaturen, egal ob weich oder hart, politisch oder wirtschaftlich, fast immer mit einer Gleichschaltung der Presse beginnen“. Die Menschenrechtsliga LDH erklärt in einer öffentlichen Stellungnahme, dass derlei Justiz- und Polizeipraktiken ob einer simplen Verleumdungsklage unvereinbar mit einem Rechtsstaat seien. Und Pressegewerkschaften erinnern die Justizministerin Rachida Dati daran, dass „Festnahmen bei Pressedelikten im französischen Recht nicht existieren“.

Am vergangenen Montag meldete sich Staatsoberhaut Sarkozy zu Wort, und erklärte, dass er die Aufregung rund um die Verhaftung des Journalisten verstehe. Was er allerdings weniger verstehe, sei die Art und Weise wie ein Justizmandat anlässlich einer Verleumdungsklage exekutiert wurde. Wenige Stunden zuvor allerdings hatten die Justiz- und die Innenministerin beteuert, dass bei der Festnahme alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Frankreich europäischer Spitzenreiter bei behördlichen Prozeduren gegen Journalisten

Doch meist entfaltet sich die Hyperaktivität der Justiz und der Polizei freilich nicht in Verleumdungsfällen, sondern gilt den journalistischen Quellen, den Informanten, indem versucht wird, die Journalisten dazu zu bringen, diese offen zu legen. Der behördliche Druck auf die Journalisten hat seit 2 Jahren so zugenommen, dass manche befürchten nur noch schwerlich an Informanten zu kommen. Frankreich ist laut „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) europäischer Spitzenreiter bei Justiz- und Polizeiaktionen gegen Journalisten. Was der Grande Nation den nicht gerade ehrenvollen Platz 35 bei den jährlichen Charts der Pressefreiheit 2008 von RSF eingetragen hat. Also noch hinter Namibien, Zypern oder Ghana.

Allein vorletzte Woche wurde eine gerichtliche Untersuchung gegen einen Journalisten eingeleitet und 4 weitere vorgeladen. Im Jahresreport von RSF wird vom Fall Guillaume Dasquié berichtet, einem auf Terror-Netzwerke spezialisierten Journalisten, der in einem Artikel mit Hinweis auf anonyme Quellen berichtet hatte, dass der französische Geheimdienst noch vor dem 11.September Informationen über die Flugzeugentführungen gehabt haben soll.

Im Januar 2007 wurde er vom Inlandsnachrichtendienst DST 48 Stunden lang festgehalten. Motto: „Deine Quellen oder das Gefängnis“. An Frankreichs heiliger Kuh, der Kernkraft, sollte ein Journalist offenbar ebenfalls besser nicht rühren. So wurde der Atomkritiker Stephane Lhomme in Untersuchungshaft genommen, weil er nicht verraten wollte, wer ihm einen vertraulichen Untersuchungsbericht zugespielt hatte, aus dem hervorging, dass der europäische Druckwasserreaktor EPR einem Flugzeugabsturz nicht standhalten könnte.

Präsident Sarkozy hatte zwar während seines Wahlkampfes ein neues Presserecht versprochen, dass einen besseren Quellenschutz gewährleisten sollte, und tönte zudem vollmundig, dass ein Journalist , der diesen Namen verdiene, seine Quellen nicht preisgebe. Der Gesetzesvorschlag wird gerade im Parlament debattiert, sieht aber nicht sehr vielversprechend aus () für die Journalisten, sind doch beim Informantenschutz Ausnahmen vorgesehen. Hausdurchsuchungen bei freien Journalisten sollen zwar damit gesetzlich besser reglementiert werden, doch bei „gewichtigen Angelegenheiten öffentlichen Interesses“ kann nach wie vor eine Prozedur gegen einen Journalisten eingeleitet werden, um ihn dazu zu bringen, seine Quelle offen zu legen.

Sprich bei Themen wie der Staatssicherheit, dem Terrorismus, der organisierten Kriminalität oder der illegalen Immigration z.B. wird der Druck von Amtswegen auf französische Journalisten voraussichtlich auch künftig nicht nachlassen. Laurent Joffrin von Libération erinnert in seinem Herausgeberbrief an die Definition von Demokratie die Winston Churchill der Nachwelt hinterlassen hat: „In dieser Art von Regime können Sie sicher sein, dass wenn es um 6 Uhr in der früh bei Ihnen läutet, es der Milchmann ist“. Im Land der Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit anno 2008 offenbar nicht immer.