Darwin und der Koran

Wie lässt sich Moslems die Evolutionstheorie nahe bringen? Mit Hilfe ihrer praktischen Auswirkungen, sagt ein US-Forscher

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Wenn vom wachsenden Einfluss des Kreationismus die Rede ist, fällt der Blick oft in Richtung USA. Etwa vier von zehn Amerikanern sind der Meinung, dass Darwin sich geirrt hat - dass zumindest der Mensch nicht Produkt der natürlichen Selektion, sondern eines göttlichen Schöpfungsaktes ist. Die Theorie kommt nicht immer so klar daher, gern verkleidet sie sich mit dem Gewand des Intelligent Design (siehe Evolutionstheorie contra Schöpfungsmythos): Das bejaht die Veränderung der Arten, sieht aber einen göttlichen Masterplan dahinter.

Dass ausgerechnet Amerikaner so anfällig für diese Ideen sind, begründen Forscher unter anderem mit der weiten Verbreitung religiösen Fundamentalismus im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wenn dem so ist, sollte das Phänomen aber nicht auf christlichen Fundamentalismus beschränkt sein. Und tatsächlich liegt die Akzeptanz der Evolutionstheorie unter den etwa 1,3 Milliarden Islam-Gläubigen der Welt noch ein Stück niedriger. In der Türkei etwa hält nur etwa ein Viertel der Bevölkerung Darwins Thesen für sicher oder wahrscheinlich wahr, in Pakistan sind es etwa 15 Prozent und in Ägypten unter zehn Prozent.

Ist die Situation mit derjenigen in den USA vergleichbar - und wie könnte man die islamische Welt von der Evolutionstheorie überzeugen? In einem Aufsatz im Wissenschaftsmagazin Science beschäftigt sich der Wissenschaftstheoretiker und Astronom Salman Hameed mit eben diesen Fragen. Die gute Nachricht, so Hameed: Darwin ist im Nahen Osten und in den moslemischen Communities im Westen noch gar nicht richtig angekommen. Die Evolutionstheorie ist für den Islam insgesamt noch ein junges Gebiet. Die interne Diskussion darüber, ob sie kompatibel mit der eigenen Religion ist, steht noch aus. Sie wird aber, da ist der Forscher sicher, in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren unvermeidbar sein - deshalb dürfte sich das Kampfgebiet zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie in die moslemische Welt verlagern.

So wenig, wie der Islam eine monolithische Religion ist, gibt es auch noch keine fest gefügte Meinung der Religionsgelehrten über die Evolution. Konkrete Vorgaben macht der Koran zur Evolution jedenfalls nicht. Es ist zwar durchaus von einem sechstägigen Schöpfungszyklus die Rede. Doch wie lang diese Tage tatsächlich gewesen sind, darüber ist sich das heilige Buch uneins - die Angaben schwanken zwischen „1 Tag = 1000 Jahre“ und „1 Tag = 50.000 Jahre“.

Deshalb ist die extreme Form des christlichen Kreationismus, die die Erde als sehr jungen Planeten betrachtet, unter Moslems gar nicht verbreitet. Dass das Universum Milliarden Jahre alt ist, scheint ihnen durchaus akzeptabel. Auch an den Schulen etwa in Pakistan, dem Iran, Indonesien und Ägypten wird die Evolutionstheorie gelehrt - und in den Schulbüchern als wissenschaftliche Tatsache dargestellt. Nur die Evolution des Menschen lässt das Curriculum weg.

Stärkere Ablehnung erfährt die Evolutionstheorie jedoch, weil sie eng mit Atheismus und Materialismus verbunden und damit inhärent antireligiös scheint. Bei der Beschäftigung mit ihr komme es deshalb sehr darauf an, meint Hameed, ihre praktischen Anwendungen als Grundlage moderner Biologie zu betonen. Dabei könne man immerhin darauf bauen, dass der Islam ein sehr positives Bild von Wissenschaft hat. Seriöse Forschung und Religion halten Moslems für absolut vereinbar. Bekannte Wissenschaftler, insbesondere Biologen, sollten deshalb in Magazin- und Zeitungsartikeln für die Evolutionstheorie sprechen - und dabei auf die technischen Aspekte und den praktischen Nutzen der Theorie fokussieren. Eine friedliche Koexistenz mit den religiösen Ideen der Menschen hält Hameed dann für durchaus möglich.