Wie teuer ist der "Finanzmarkt-Tsunami" für die Umwelt?

Mathematische Modelle zur Risikoanalyse der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen

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Wie ein immer wieder kehrender Tsunami fegt die Finanzkrise durch die globalisierte Welt. Sie degradiert die reale Wirtschaft zum Statisten, zum Boomerang von spielerisch eingesetzten Börsenhebeln. Wie viel ist ein Unternehmen heute noch wert? Diese Bewertung kann sich im derzeitigen Vabanque - ein Spiel, sinngemäß übersetzt mit "es gilt die Bank" - schon binnen von Minuten oder Sekunden wieder drehen. Opfern wir die Bemühungen um eine Eindämmung der Folgen des Klimawandels auf dem Scheiterhaufen, den die Finanzmarktindustrie hinterlassen hat?

Vom Plus ins Minus und umgekehrt, wer mag die Schubrichtung noch bestimmen. Zuallererst aber ist die derzeitige Krise eine der Eliten. Die Patentrezepte aus dem 20. Jahrhundert taugen nicht mehr für die Zukunft. Was ein krisenfestes Geschäftsmodell noch ausmacht, darüber lässt sich kaum mehr verlässlich spekulieren.

Dabei bietet der Machtverfall von politischen und wirtschaftlichen Eliten auch große Chancen für neue und flexibel aufgestellte globale Spieler, die jedoch in der Lage sein müssen, die Herausforderungen eines um nachhaltige Elemente nicht nur vordergründig "aufgemotzten" Risikomanagements zu bewältigen.

Bevor diese Neudefinition von anerkannten und vermeintlich unabänderlichen Spielregeln "Mehr Wachstum gleich mehr Rendite" jedoch eintritt, gilt es erst einmal, den großen Scherbenhaufen zusammen zu kehren. Wie teuer kommt uns der Finanz-Tsunami zu stehen? Vom allzu blinden Vertrauen in die theoretische Modellierung eines unternehmensweiten Risikomanagement-Systems wissen derzeit vor allem die Akteure aus der Finanzwirtschaft ein Lied zu singen.

Aber auch mathematische Modelle sind dabei in die Schusslinie geraten. Insgesamt rechnen die Experten von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young nach derzeitiger Lage nämlich mit einem Schadensvolumen von mindestens 2.000 000 000 000 – zwei Billionen – US-Dollar. Das ist immerhin eine Zahl mit zwölf Nullen. Doch ist dies erst der Anfang. Ob dieser astronomischen Zahl noch eine weitere Null angehängt werden kann, lässt sich derzeit kaum überblicken (siehe: Grafiken von Ernst & Young).

Leider sind auch die Wirtschaftsprüfer nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung, denn sie haben über Jahre vieles von dem in der Rechnungslegung testiert, womit wir uns jetzt in verschärfter Form konfrontiert sehen. Gerade im "Wissenschaftsjahr der Mathematik" besteht die große Herausforderung darin, robuste Modelle zu entwickeln, und dabei beim Austarieren der Modellambivalenz sowie den quasi inhärenten Modellrisiken möglichst genau ins Schwarze zu treffen.

Man muss die Gesetzte und Methoden der Finanzarithmetik nur richtig anwenden wollen. Dabei stellt sich die Frage, ob und auf welcher Datenbasis die Wissenschaft ein Maß für das extreme Risiko bereit stellen kann. Ein allzu simpel gestricktes Risiko-Management nach dem in der Finanzindustrie gängigen Bewertungsmaßstab "Value-at-Risk" hat endgültig ausgedient, weil es zentrale Fehlentwicklungen wie das Verschieben von Risikopositionen in undurchschaubare Finanzderivate (Leveraging) nicht unterbinden konnte.

Zu groß wurde am Ende die Gier der Akteure am Finanzmarkt, die den Blick für realwirtschaftliche Dimensionen verloren hatten. Die Mathematik kann nur dazu beitragen, Risiken konkret zu ermitteln und zu messen, nicht aber den Akteuren die Aufgabe abnehmen, negative Entwicklungen zu verhindern.

Aus buchungstechnischer Sicht ist diese Fehlentwicklung eingetreten, weil der Markt es erlaubt hat, langfristige Wertpapiere zu kaufen, diese aber mit kurzfristigen Anleihen zu (re)finanzieren. Die Kritik an diesem reichlich seltsamen Paarungsverhalten haben kritischen Warnrufern wie der Münchner Professorin und Finanzmathematikerin Claudia Klüppelberg das moralinsaure Image eingebracht, sich als "Kassandra der Finanzmathematik" etikettieren lassen zu müssen.

Ein recht simples "Risikomaß": Wer das Spiel an allen erdenklichen Zockerhebeln nicht mitspielt, gilt eben als Spielverderber. Angesichts einer derart gravierenden schiefen Ebene bleibt der Mathematik letztlich aber nicht viel mehr als die eher unangenehme Aufgabe, quasi "post mortem" eine nachträgliche Analyse für das derzeitige Krisenszenario zu beschreiben. Andererseits reicht die akademische Diskussion bis weit in die Praxis hinein.

Eine Lektion bestünde etwa darin, Kreditrisiken bei einer Bank mindestens rund fünf Mal höher zu gewichten als die Marktrisiken, die sich ohnehin nur schwer anhand von wissenschaftlichen Methoden genau fixieren lassen. Neben den Kredit- und Marktrisiken stellt die dritte Säule im Konstrukt eines nachhaltigen Risikomanagements (Basel II) die Erfassung von operationalen Risiken dar. Gerade mit Blick auf die bei Banken deutlich ausgeprägte IT-Infrastruktur kritisieren Branchenkenner die oftmals fehlende solide Datenbasis dazu.

Ein nur statisch verfolgter Value-at-Risk-Ansatz führt jedenfalls nicht dazu, das gesamte vorhandene Risiko bei einer Bank bestimmen zu können. Und was die Banken nur allzu gerne bei der Kreditvergabe von ihren Kunden verlangen, sollten sie natürlich auch auf sich selbst anwenden. Sprich: Statt erhöhte Konditionen und Risiken jetzt nur mit Aufschlägen an die Kunden weiter zu reichen, wäre es besser, endlich angemessene Kontrollprozesse zu implementieren. Jedoch dürfe das freie Spiel der Märkte dadurch natürlich nicht tangiert sein, so das Credo aus der Finanzindustrie.

Hat das Marktbewertungsmodell "Value at Risk" ausgedient?

Mit dem Begriff "Wert im Risiko" oder englisch Value at Risk (VaR) bezeichnet die der realen Industrie quasi vor gelagerte Finanzindustrie auf breiter Front das angewendete gültige Risikomaß. Es gibt an, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Risikoposition - z. B. eines Portfolios von Wertpapieren - mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit und in einem gegebenen Zeithorizont nicht überschreiten darf.

Das von Investmentbanken wie J.P. Morgan maßgeblich beeinflusste "Value at Risk" gilt auch nach der Krise an den internationalen Kapitalmärkten noch als das Standardrisikomaß im Finanzsektor. Mehr noch: Längst setzen auch Unternehmen aus Industrie- und Handel diese Methode bei der Quantifizierung von bestimmten meist finanzwirtschaftlichen Risiken ein. Experten kritisieren an dem Value-at-Risk-Ansatz, dass dieser per se nicht geeignet sei, den (extremen) "Maximalverlust" zu bestimmen.

Brancheninsider aus der Finanzindustrie halten dem entgegen, dass das Ziel der Risikomessung gar nicht darauf ausgelegt sein kann, den "theoretisch möglichen Maximalverlust" zu bestimmen. Diese Aufgabe verbleibe letztlich bei jedem einzelnen Unternehmen. Schon einmal in der Geschichte musste Sisyphos ganz alleine einen Stein den Berg hinauf rollen, der diesen bekanntlich auch erschlagen kann.

Eine vollkommene planbare Sicherheit könne es somit also überhaupt nicht geben. Ein rentables Unternehmen trage quasi in Eigenregie das "Mindestmaß an Risiko". In der Praxis hat sich deshalb bei den meisten Unternehmen eine Art individueller Methodenmix durchgesetzt, meist im Rahmen einer Szenarioorientieren Wahrscheinlichkeitsbetrachtung.

Gibt es alte und eine "New Risk Reality"?

Bis heute ist die Methodenlandschaft zur Risikoaggregation zwar stetig verbessert und weiterentwickelt worden. Sie ist zumindest in der grauen Theorie zu einem entscheidenden Eckpfeiler bei der Entscheidungsfindung im kapitalistischen Wirtschaftssystem herangereift. Die gängigen Ansätze klammern jedoch Fragen der ökologischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Wertschöpfung weitgehend aus - oder belassen diese bei vagen Annahmen.

Vor allem haben sie einen wirklich kritischen Pferdefuß. Sie erfassen keine direkten, indirekten oder extremen "Folgekosten" eines nicht auf langfristige und nachhaltig orientierte Parameter ausgelegten Chancen- und Risikomanagements. Um der Frage nach einer zukünftigen Balance von Risiken und Chancen in einem nachhaltig gestalteten wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Wertschöpfungsprozess auf die Spur zu kommen, lohnt sich ein weiterer Exkurs in die Geschichte.

Was ist überhaupt ein "Risiko"?

Die Etymologie des Begriffs ‚Risiko’ reicht weit in die antike Geschichte zurück. Er kann bis zum altgriechischen ‚Rhiza’ zurückverfolgt werden, was ‚Wurzel, Stein, aus festem Land gehauen' bedeutet.

Später ging dieser Begriff ins Lateinische als Synonym für ‚Klippe’ über, im Vulgärlatein auch als resicum, risicum, riscus bezeichnet. Klippe, cliff, récif verweist wiederum auf den Ursprung des spanischen riesgo, des französischen risque und des italienischen risico, risco, rischio.

Das deutsche ‚Risiko' ist aus eben jenen italienischen Wurzeln abgleitet. So stellte ,Rysigo’ im Mittelhochdeutschen ein Fachbegriff aus der Handelssprache dar – "ein Wagnis eingehen, ein Unternehmen gründen und auf wirtschaftlichen Erfolg aus sein". Die zahlreichen Formen der heutigen systematischen Verwendung von Risikoanalyse und Risikomanagement-Strategien lassen sich seit den späten fünfziger Jahren erkennen.

Der alltägliche Gebrauch verbreitete sich größtenteils aufgrund gesetzlicher Regelungen zu Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltrisiken. Alles das, womit wir uns heute konfrontiert sehen, war also schon einmal da. Nur hat es eben nicht in ausreichender Form den Eingang in die "systemische" – also von Menschen gemachte - Betrachtung im betrieblichen und gesellschaftlichen Risiko-Management gefunden. Und damit wären wir wieder beim Finanz-Tsunami, der allerdings nur vordergründig eine Schnittmenge mit bislang gängigen "Naturkatastrophen" darstellt.

Auch hier lohnt ein kleiner historischer Exkurs: Mit Ausbreitung der Geldwirtschaft wird das Geld auch wissenschaftlich interessant. In den geldtheoretischen Untersuchungen des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegt allerdings eine kulturpessimistische Sicht, die dem Geld zerstörerische Wirkung zuschreibt. Geld fördere die ‚kühle’, emotionslose Berechnung, zersetze persönliche Bindungen durch instrumentelles und rationales Kalkül und korrumpiere kulturelle Werte durch materielle Interessen. Im postsozialistischen Zeitalter hingegen gilt jeder, der die Bedeutung von Geld kritisiert, als klarer Fall für die Psychiatrie.

Geld: "Superadditum" ist das verlockende Heilsversprechen nach absolutem Reichtum

Als einer der wenigen Autoren sieht Georg Simmel in der Geldwirtschaft auch befreiende Aspekte. Durch das Geld wird die für moderne Gesellschaften typische Arbeitsteilung erst möglich und das Individuum in die Lage versetzt, seine Bedürfnisse mit Produkten zu befriedigen, die andere hergestellt haben. Die geldbedingten und arbeitsteilig organisierten Verhältnisse ermöglichen es dem Individuum, sich aus der lokalen Gemeinschaft, der Verwandtschaft und Familie zu lösen, sich zu individualisieren und schließlich zu sich selbst zu finden. Allerdings kommt Geld auch bei Simmel nicht nur emanzipatorische Bedeutung zu.

Der durch das Geld in Gang gesetzte Modernisierungsprozess bedeutet auch einen Verlust an sozialer Sicherheit, Vertrautheit und Stabilität und ist dadurch laut Georg Simmel eng mit Phänomenen von Unsicherheit, Vereinzelung und Anomie verbunden. Zudem ist Geld Machtmittel par excellence. Denn Geldbeträge, die keinem bestimmten Zweck - etwa der Existenzsicherung - mehr dienen, sind reinste Mittel, die den Reichen mit einer Potentialität an Handlungsmöglichkeiten, einem "Wertplus" bzw. "Superadditum" ausstatten, das die Grundlage von sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist.

Social Engineering: Menschen nehmen "falsche" Risiken als Bedrohung wahr

So stellt sich immer wieder aufs Neue die Frage, ob Menschen überhaupt in der Lage sind, die Wahrnehmung von Chancen und Risiken überhaupt nach ihrer objektiven Relevanz zu bewerten, etwa den sozialen und umweltpolitischen Sprengstoff, der sich in der extrem ungleichen Verteilung des Machtmittels Gelds wider spiegelt.

Man kann diese Zusammenhänge aber auch, statt einen ausufernden akademischen Diskurs über Geldtheorien zu führen, was die Welt im Innersten trennt oder zusammen hält, weit banaler beschreiben: Aus dem Krisenmanagement gibt es ein aktuelles Beispiel: Wer etwa zum Urlaub in die USA reist, denkt wohl zunächst eher an das potentielle Risiko eines Terroranschlags als an eine zusätzliche Auslandskrankenversicherung.

Eine Art allgemeine menschliche Betriebsblindheit zeichnet uns aus. Das Problem: Während innerhalb der Europäischen Union auch im Ausland die Kosten etwa bei einem Krankenhausaufenthalt übernommen werden, sieht es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten etwas anders aus. Ein mehrtägiger Aufenthalt kann bereits Kosten in Höhe von mehreren zehntausend Dollar verursachen.

In den USA, in einem Land also ohne ein ausgeprägtes, staatlich gesteuertes soziales Auffangnetz, ist Gesundheit nur teuer zu erkaufen. Wer denkt schon an diese verborgenen "systemischen" Risiken, die letztlich nur von Menschenhand gestaltete Konstrukte darstellen, wenn der Reisende sich irgendwo zwanglos im Urlaub bewegen möchte?

Deutlich mehr Menschen sterben auch im Haushalt als auf der Straße oder in einem brennenden Flugzeug. Ein schräges Bild der Risikowahrnehmung entsteht, das die Medien durch eine selektive Berichterstattung und "proprietäre", sprich zielgeleitete Kommunikationskanälen noch weiter verzerren oder zumindest in die eine oder andere Richtung verstärken.

Rückversicherer kalkulieren Jahrhundertrisiken

Wir nehmen also die subjektiv "falschen" Risiken wahr. Banale Risiken, wie ein defektes Kabel im Computernetzwerk, das immense Schäden verursachen kann, werden unterschätzt, und Risiken, die permanent im Fokus der Öffentlichkeit stehen, sind vielleicht deutlich überbewertet. Wie komplex die Risikomodellierung in der Praxis für die Spezialisten tatsächlich ausfallen kann, lässt sich am Beispiel einer Rückversicherung sichtbar machen.

Die Rückversicherer sind dazu da, Jahrhundertrisiken zu bewerten. Meist tun sie dies von der Öffentlichkeit ziemlich unbemerkt. Sie haben auch das World Trade Center in New York gegen Erdbeben versichert, wohl kaum aber die Gefahr eines Terroranschlags voraussehen können, wie er sich am 11. September 2001 ereignet hat.

Aber auch der "Finanz-Tsunami" hat weniger etwas mit der Gewalt einer sich in einem halbwegs regelmäßigen Zyklus ereignenden Naturkatastrophe gemein. Der wahrscheinliche Eintritt eines Erdbebens oder Wirbelsturms lässt sich noch halbwegs prognostizieren, nicht aber eine singuläre Finanzkrise, die sich kaum mit jener von 1931 oder 1987 oder 2001 vergleichen lässt (siehe: Grafiken der Hannover Rückversicherung).

Finanz-Tsunami: Lernen von der Natur

Den Rückversicherern fällt die Aufgabe zu, mit theoretischen Modellen die Wahrscheinlichkeit einer Naturkatastrophe möglichst präzise vorauszuberechnen. Denn die entsprechenden Versicherungspolicen setzen genau auf jenen mathematischen Berechnungsgrundlagen auf, die auch die Basis für die Ermittlung der individuellen Risikoprämien bilden.

Jedoch lassen sich auch hier – ähnlich zum Finanz-Tsunami - die Effekte nur eingeschränkt abbilden, beziehungsweise in einem konsistenten Simulationsszenario voraus berechnen. So hat der Hurrican Katrina im Jahr 2005 in den USA zwar mit 50 Mrd. Euro durchaus ein vorhersehbares Schadensvolumen ergeben. Jedoch sahen sich die Rückversicherer damit konfrontiert, zusätzliche Schäden an den Ölplattformen in Höhe von weiteren mehr als zehn Mrd. US-Dollar als Mehrbelastung verkraften zu müssen. Das ist trotzdem nur ein kleines "Restrisiko", ähnlich wie bei einem Baum, der das Dach eines privaten Einfamilienhauses beschädigt hat. Denn der Folgeschaden infolge der Turbulenzen an den Finanzmärkten bewegt sich im Vergleich dazu in einer ganz anderen, nämlich Schwindel erregenden Dimension.

Mit den Worten eines Buchhalters kann man es so ausdrücken: Ein historischer Wirbelsturm oder Erdbeben verursacht höchstens ein Achtel bis ein Viertel der Schadenssumme, die uns voraussichtlich der Tsunami am Finanzmarkt bescheren wird. Von einer wesentlichen Lektion nach dem Wirbelsturm Katrina an der US-Küste kann die Finanzwirtschaft deshalb zweifellos schon heute lernen.

Die gängigen mathematischen Modelle zur Risikomodellierung unterschätzen sowohl die Reparatur- als auch die Wiederbeschaffungskosten. Die reine Zufallswahrscheinlichkeit von Naturereignissen stellt - selbst beim Klimawandel – keine entscheidende Hürde dar. Man könnte sie ja theoretisch voraus berechnen bzw. als Risikoprämie in die Versicherungspolice "ein preisen".

Hingegen bringt die im Fachjargon der Rückversicherer relativ harmlos als "Demand Service" bezeichnete volks- und betriebswirtschaftliche Beseitigungsarbeit nach gewaltigen Katastrophen die Forscher vor neue und bislang ungeahnte Herausforderungen - gerade mit Blick auf den Transfer von Modellen aus der Natur in die Finanz- oder Realwirtschaft. Sprich: Wie erstellt man ein Risikomodell für etwas, was es, wie die Erde, leider nur einmal auf der Welt gibt?

Natürlich könnte man selbst die Folgekosten eines Umzugs der Erdbevölkerung auf andere Planeten in einem Rechenmodell erfassen. Jedoch führten derartige "Black-Box-Modelle" definitiv in die Irre, denn nicht jeder Erdbürger wird sich diesen Umzug finanziell leisten können, so wie Milliardäre sich heute durchaus mal rasch einen kleinen Flug in den Orbit gönnen.

Deshalb gilt vielmehr die alte Bauernregel: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Als entscheidendes Kriterium bei der Modellierung von realen Risiken mit Blick auf die Folgen des Klimawandels ist ein eher simples Hilfskonstrukt anzusehen, nämlich vor allem die vorhandene Datenqualität beim Anwender. Denn allein eine Mischung aus klassischer Differentiallehre, Stochastik und Statistik steht auf tönernen Füßen.

Man kann es auch mit einer besonderen Variante der mathematischen Spieltheorie prägnant so ausdrücken: Ebenso wie bei der Errechnung einer mathematischen Zufallsauswahl in der Online-Heiratsvermittlung oder bei der Versteigerung einer UMTS-Lizenz kommt es am Ende nicht unbedingt auf die wissenschaftliche Methode an, sondern eher auf den gesunden Menschenverstand - jenseits aller gängigen Methodenlehre.

Im Klartext: Die Realität verläuft analog zu einer Ehe oder auch bei den in Deutschland oder Großbritannien versteigerten UMTS-Lizenzen etwas anders, als es ein prognostiziertes Chancen-Risiko-Modell voraussehen kann. Letzten Endes ist jede Methode "per se falsch oder unzureichend" - und somit lediglich als theoretisches Hilfskonstrukt zu verstehen.

Im übertragenen Sinne sind somit auch Ansätze wie Value-at-Risk oder Basel II nur als Annäherung an eine jeweils mehr oder minder transparent definierte Realität gedacht. Oder, um auf die historischen Wurzeln des Begriffs "Risiko" zurück zu kommen, man muss die Methoden - wie beim Untergang der Titanic - konsequent auf die Gefahren unterhalb der Wasseroberfläche anwenden. Auch dort überlebten überwiegend die gehobenen Schichten, während die Armen in den unteren Decks untergingen.

Was den Finanz-Tsunami mit Naturkatastrophen verbindet

Nach dem Eisberg-Prinzip, nach der nur die oberste Spitze der Gefahren im Risikomanagement wirklich sichtbar sind, errechnet man analog zu den Rechenmodellen der Rückversicherer alle Folgeschäden im "Beseitigungsdienst" (Demand Service) - welch ein schöner Fachterminus - nach dem Finanz-Tsunami "hoch". Somit ergeben sich weit höhere Beträge als die eingangs erwähnten zwei Billionen US-Dollar plus die Kosten für die damit verbundenen "Rettungsfallschirme".

Durchaus ernsthaft kalkulieren auch die Vertreter aus der so genannten "Realwirtschaft" die Folgen des Finanz-Tsumamis. Denn diese sind von dem schleichenden Zug förmlich überrollt worden. Professor Harald Unkelbach etwa ist Mitglied der Konzernführung bei der Würth-Gruppe, einem globalen Händler von Befestigungs- und Montagematerial. Das Unternehmen stellt also genau das her, was die Welt derzeit in ihrer angereicherten Orientierungslosigkeit benötigt.

Und die Würth-Gruppe ist seit Jahren erfolgreich, mit weltweit immerhin rund 70.000 Mitarbeitern. Aber auch der studierte Mathematiker Harald Unkelbach beobachtet die derzeitige Entwicklung mit einer gewissen Skepsis. Er kalkuliert, dass die unmittelbaren Folgeschäden der Finanzkrise frühestens in zehn bis fünfzehn Jahren beseitigt sein werden. Eine kleine Wachstumsschwäche oder Rezession sieht eben anders aus. Vieles, was jetzt in einer dramatisch kurzen Zeitspanne zerstört worden sei, müsse erst wieder mühselig neu aufgebaut werden, sagt Unkelbach.

"Demand Service" für den Klimaschutz?

Was aber passiert, wenn die Finanzkrise tatsächlich dazu führt, bei den Bemühungen um den Klimaschutz so richtig auf die Bremse zu treten, lässt sich nur vage erahnen. Denn einen "Aufräumdienst" für etwas auf die Beine zu stellen, was schließlich nur einmal in Form des Planeten Erde existiert, daran wagt sich noch kein Experte in der Wahrscheinlichkeitsrechnung heran. Insofern schließt sich hier der Kreis zwischen dem finanziellen Tsunami und der mittelfristig möglicher weise real drohenden Naturkatastrophe nach dem Eisberg-Prinzip.

Es stellt sich somit "nur" die brennende Frage, ob die Akteure bzw. Eliten dazu bereit sind, die richtigen Lehren aus dem finanziellen Wirbelsturm zu ziehen. Allzu rasch dürfte das Umdenken nicht einsetzen. Dazu wird es wohl erst kommen, wenn ein neues funktionales und logisches "Geschäftsmodell" vorliegt, nach dem sich alle ausrichten. Darin wären alle Aktivitäten gegen die neuen Spielregeln eines nachhaltigen Risiko-Managements auch geschäftlich kontraproduktiv.

Eine schöne neue Welt, der vor allem die Vertreter einer nachhaltigen Spieltheorie etwas abgewinnen könnte. Mathematisch ist sie jedoch kaum plan- und beherrschbar. Eine "gesunde" Rendite und ein vitales Wirtschaftswachstum wären nur noch dann zu erzielen, wenn die Spieler dem kritischen Umweltpfad folgten - und nicht nur die Schäden im "Demand Service" für den ausgefallenen oder minimalistischen Klimaschutz nach der nächsten "kleinen Katastrophe" einfach eine Generation weiter hindurch reichten.

Allerdings ist es derzeit mehr als fraglich, ob aufstrebende Nationen wie Brasilien, Indien oder China sich zu einem einseitigen, umweltpolitisch und –ökonomisch motivierten Bremsvorgang auf ihr jeweiliges nationales Wirtschaftswachstum durchringen. Die Vorbilder aus der westlichen Welt machen dazu schließlich kaum Mut.

Schließlich überließen die Eliten in den fort geschrittenen Ökonomien den renditeorientierten Spielern nur zu bereitwillig das Feld. Die Staats- und Wirtschaftslenker sind jedenfalls (noch) nicht dazu bereit, sich an nachhaltige Spielregeln zu halten oder gar neue aufzustellen. Vielleicht braucht es dazu noch einen weiteren "Finanz-Tsunami". Dann jedoch könnte es zu spät sein, wenn der "wahrscheinliche" Fall eintritt, dass sich dann niemand mehr einen "Demand Service" für die Schadensbeseitigung eines einzigartigen und nicht reproduzierbaren Gutes leisten kann, unseres Planeten Erde.