Griechische Regierung in Nöten

Während die Proteste in Griechenlands Großstädten Athen und Thessaloniki auch am neunten Tag weiter gehen, haben sich die gewalttätigen Ausschreitungen stark vermindert

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Die letzte von größeren Krawallen begleitete Demonstration fand am Samstagabend statt (Der Segen der Selbständigkeit). Sechzig Prozent der Griechen sehen in den Ausschreitungen mittlerweile eine Protestbewegung gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Ausgehend von der Erschießung des Schülers Alexis hat sich Athen zu einem Koordinationszentrum einer neuen Jugendbewegung entwickelt.

Polizisten sichern Straßen in Athen mit Barrikaden ab. Bild: W. Aswestopoulos

Besonnene Kräfte innerhalb der demonstrierenden Gruppen sind bemüht, gewalttätige Randalierer aus ihren Reihen zu entfernen. Zu tief sitzt die Angst, dass staatliche oder rechtsradikale Provokateure die Proteste ad absurdum führen könnten (Patrouillierte griechische Polizei mit Neonazi-Milizen?). Das Ausbleiben von Molotowcocktails hat die griechische Hauptstadt aus dem Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gezogen.

Diese schrittweise Deeskalation wurde von mehreren Faktoren beeinflusst. Die hiesigen Kommentatoren sehen allerdings in diesem Zusammenhang keinen Verdienst besonnener Politik seitens der Parteien. Doch auch die Medien spielten Experten zufolge eine Rolle in der Zuspitzung der Ereignisse.

Nachdem offensichtlich auch auf höheren Druck die Live-Übertragungen von brennenden Geschäften eingestellt wurden, sind innerhalb von 24 Stunden zumindest die von Gewaltübergriffen begleiteten Plünderungen gestoppt worden. Die Rolle des Fernsehens als Livemedium wird mehr und mehr von Internetmagazinen übernommen.

Yellow Press per Blog

Auf diese Art der Reportage hat sich besonders die Gruppe um den Journalisten Triantafyllopoulos konzentriert. Triantafyllopoulos, der sich vom einst investigativen Journalisten zu einer Ikone der Yellow Press wandelte, hat seine Webseite mit Webkameras verlinkt, die es jedem gestatten zentrale Punkte der Athener City zu beobachten.

Diese Praxis führt allerdings zu einem Konflikt mit autonomen Gruppen, die jede Art von Überwachung ablehnen. Neben Polizisten gelten daher auch Journalisten, sofern diese mit einer Kameraausrüstung als solche erkennbar sind, als beliebte „Jagdobjekte“.

Auch heute kam es wieder zu Protesten in Athen. Bild: Zougl@-News

Die griechische Medienwelt ist sehr auf Werbegelder sowohl von öffentlichen Unternehmen, Banken und, aufgrund der Konzentration des Wirtschaftslebens auf wenige Großstädte, auch des Einzelhandels angewiesen. Ein Drohung mit einer Verringerung von Werbebudgets oder gar einem Entzug der Gunst kann also Wunder wirken.

Nach Vertretern des Einzelhandels ist der Umsatz in Athen um 70% im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Das Athener Stadtzentrum ist nach den mittlerweile zur Gewohnheit gewordenen Ausschreitungen im Rahmen von Demonstrationen eine international bekannte „no go“ Zone. Die traditionelle Computereinkaufstraße Stournari ist vollständig zerstört. Wie viele der ausgebrannten und geplünderten Geschäfte wieder öffnen werden, ist noch unbekannt.

Verbranntes Sportgeschaeft Leoforos Patision gegenüber der Kunsthochschule. Bild: W. Aswestopoulos

Ein Bürgermeister als Bürgeranwalt

Athens Bürgermeister Kaklamanis gibt in Rundfunkinterviews mehr als 520 teilweise oder völlig zerstörte Einzelhandelsgeschäfte an. Der bisher eher farblose Bürgermeister ist einer der wenigen Politiker, die in der Krise an Ansehen gewinnen konnten. Kaklamanis hat sowohl an die Demonstranten als auch an die Polizeikräfte appelliert, Ruhe zu bewahren. Er trat dabei nicht als parteipolitisch gesteuerter Politiker, sondern als Anwalt seiner Stadt auf.

Die Einzelhändler beklagen sich, dass der Durchschnittsathener statt des Cityshoppings lieber die in Außenbezirken befindlichen Großkaufhäuser aufsucht. Verständlich, dass die Einzelhändler über weitere abschreckende Berichterstattungen nicht erfreut sind. Niemand, der dieser Tage durch die Innenstadt fuhr, konnte wirklich sicher sein, dass er ohne Schaden wieder aus ihr heraus kam.

Die Polizei war aufgrund der Erschießung des Schülers dazu angehalten, Konflikten weitgehend aus dem Weg zu gehen. Weitere Todesfälle sollten unter allen Umständen vermieden werden. Das Ergebnis ist bekannt. Geschäfte wurden ohne Polizeischutz geplündert, während die mehr und mehr frustrierten Beamten hin und wieder ihre Nerven verloren und dabei auch noch gefilmt wurden.

Gleichzeitig beklagen Vertreter der griechischen Tourismusagentur Hatta nach telefonischer Anfrage alarmierende Stornierungsraten und ausbleibende Buchungen. Die Regierung wird um Hilfe angefleht.

Die Regierung von Ministerpräsident Karamanlis wiederum hat außer den Krawallen auch weitere, ebenso ernste Probleme.

Karamanlis hat viele Probleme – für viele ist er das Problem

Außer den revolutionsartigen Szenen in den griechischen Großstädten hat Karamanlis auch mit streikenden Bauern zu kämpfen. Die Bauern beklagen sich seit Jahren über stetig sinkende Erntepreise, während sie wortwörtlich sehen, dass die Früchte ihrer Arbeit im Einzelhandel immer teuerer verkauft werden. Seit einigen Jahren haben die Bauern deshalb als Druckmittel gegen die jeweilige Regierungspolitik und die unkontrollierte freie Marktwirtschaft, Autobahnen und Landstraßen gesperrt. In der Woche vor den Todesschüssen des 6. Dezember fanden die ersten Warnsperrungen statt. Am 13.12 wurde mit weiteren, diesmal länger andauernden Sperrungen begonnen. Sollten die Bauern in der Weihnachtsreisezeit die griechischen Fernstraßen sperren, so könnte dadurch die Wirtschaft vollkommen zum Erliegen kommen.

Aufgrund der politisch instabilen Situation muss Griechenland bereits jetzt 2,17 % höhere Zinsen als Deutschland für Staatsanleihen zahlen. Griechische Staatsanleihen sind seit September 2008 kaum verkäuflich. Ab Januar 2009 sind Zahlungen in Höhe von etwa 45 Milliarden Euro fällig. Ein längerer Streik in einer solchen Situation hätte demnach fatale Folgen.

Der Grundstücksskandal

Darüber hinaus hat die Untersuchungskommission zur Klärung der skandalösen Immobiliengeschenke der Regierung an die Mönche des Klosters Valtopedi die politische Verantwortung mehrerer Minister festgestellt. Selbst die regierende Nea Dimokratia musste dies eingestehen. Allerdings hat Karamanlis noch nicht geäußert, welche seiner Minister die Verantwortung übernehmen sollen.

Die Oppositionsparteien lassen derweil verlautbaren, dass sie auf den Untersuchungsausschuss einen parlamentarischen Strafbarkeitsüberprüfungsausschuss anstreben. Ein vor Monaten eingebrachter Antrag zum gleichen Thema scheiterte daran, dass die Nea Dimokratia sich geschlossen aus dem Parlament zurückzog. Eine Abstimmung war somit nicht möglich. Diese Taktik sollte eventuelle Abweichler aus den Reihen der Nea Dimokratia daran hindern, gegen die eigene Regierung zu stimmen. Diese Option steht Karamanlis zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht offen, denn damit würde er der Feststellung, dass Griechenland derzeit ohne Regierung ist, weiter Gewicht verleihen.

Als wäre das noch nicht genug, muss die Regierung Karamanlis in der laufenden Woche die Diskussion und Abstimmung über den Staatshaushalt 2009 durch das Parlament bringen. Die Zustimmung zum Staatsetat stellt jedes Jahr traditionell die jeweilige Regierung vor die Vertrauensfrage. Wie jedes Jahr sind auch dieses Jahr zentrale Demonstrationen von Gewerkschaften und oppositionellen Linken gegen die Finanzpolitik der Regierung geplant. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht neben den Planungen für das Krisenjahr 2009 die Rechtfertigung von Finanzminister Alogoskoufis für das bereits 2007 erschreckend gewachsene Staatsdefizit. Alogoskoufis zählt allerdings auch zu den Ministern, die in den Valtopedi Skandal verwickelt sind.

Kougias, der Todesschütze, und Verteidigungsstrategien

Das Thema der Todesschüsse, die als Zündfunke das griechische Pulverfass verfehlter Politik zur Explosion brachten, stellt immer noch eine Gefahr für weitere Eskalationen dar. Nachdem der ballistische Bericht die Deutung einer durch einen harten Gegenstand abgelenkten Kugel zulässt, hat der Rechtsanwalt des Todesschützen eine Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragt. Rechtsanwalt Kougias (Ein Rechtsanwalt sieht rot – oder rosa?) beruft sich dabei auf das unbescholtene Leben seines Mandanten und auf fehlende Fluchtgefahr sowie den Ausschluss der Wiederholung einer ähnlichen Straftat. Die auf Konfrontation abzielende Verteidigungsstrategie Kougias stellt Augenzeugenberichte, die von gezielten Schüssen sprachen, als Lügen dar. Ein Großteil der Griechen kann sich dieser Betrachtungsweise nicht anschließen und äußert sich entsetzt und erbost über die anwaltlichen Bemühungen.

Ungeachtet aller widrigen Umstände hat die Athener Stadtverwaltung beschlossen, den im Rahmen der Krawalle verbrannten Weihnachtsbaum, erneut aufzustellen und heute anzuzünden. Hoffentlich leuchtet er diesmal ohne Molotowcocktails.