1-Euro-Jobs: Nicht auf die Stundenzahl kommt es an

Das Urteil des Bundessozialgerichtes in Kassel lässt viele Fragen zum 1-Euro-Job unbeantwortet, dafür erleichtert es den Ausbau des 3. Arbeitsmarktes

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Anfangs hörte sich die Idee des 1-Euro-“Jobs“ (1EJ) ja noch entfernt vernünftig an. Zusätzliche, gemeinnützige und öffentliche Arbeiten sollten von ALGII-Empfängern erledigt werden, wenn diverse Anforderungen erfüllt wären. Insbesondere sollten keine regulären Arbeitsplätze verdrängt und eine wöchentliche Höchststundenzahl nicht überschritten werden. Zudem sollte die Annahme dieser „Jobs“ freiwillig sein.

Die Bezeichnung „Job“ allein ist schon irreführend, denn der in einem solchen „Job“ arbeitende ALGII-Empfänger darf zwar oftmals die reguläre Arbeit eines zuvor entlassenen Menschen verrichten, dafür fehlt es ihm aber an dessen Arbeitnehmerrechten. Kündigungsschutz, Mitbestimmung und auch arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen sind Dinge, von denen ALGII-Empfänger in den „Jobs“ des 3. Arbeitsmarktes oft nur träumen können.

Die Kritik an dieser Zuverdienstmöglichkeit und die Befürchtung, dass sich daraus ein Lohndumping sowie eine Verdrängung regulärer Arbeitsplätze ergeben würden, wurde von den Befürwortern der 1EJs auf zweierlei Weise verdängt. Zum einen verwies man auf die alte Maxime, dass nur derjenige, der arbeitet, auch essen solle; zum anderen verließ man sich blindlings darauf, dass eine gesetzliche Bestimmung per se schon einen Missbrauch verhindern würde. Als seien nicht auch Vor- und Nachkontrollen wichtig, wurde stets zitiert, dass der 1EJ keinen Arbeitsplatz verdrängen dürfe.

Bereits 2005 wurde der 1EJ vom freiwilligen Zuverdienst zum Zwangsjob, eine Ablehnung eines solchen 1EJ führte zu Leistungskürzungen. Auch Attribute wie „zusätzlich, gemeinnützig, öffentlich“ erwiesen sich als leere Worthülsen, da „zusätzlich“ weithin durch „notwendig, aber wir haben kein Geld dafür“ ersetzt wurde. Bereits 2006 ergab ein Bericht des Bundesrechnungshofes, dass 25% der untersuchten Fälle nicht den gesetzlichen Kriterien entsprachen, bei weiteren 50% konnte dies nicht geprüft werden, da nicht einmal wirklich ersichtlich war, was die in den „Jobs“ beschäftigten Mitarbeiter überhaupt taten.Die Politik hielt unbeirrt am Erfolg der Maßnahmen fest und sah auch schon die Vermittlung in ein vierwöchiges unbezahltes Praktikum bei einem Lebensmitteldiscounter (ohne weitere Beschäftigung im Anschluss) als Vermittlungserfolg.

Das derzeitige Urteil des Bundessozialgerichtes Kassel weitet die Möglichkeiten des 1EJ aus. Waren bisher lediglich 20 Stunden pro Woche möglich, so hat das BSG entschieden, dass auch 30 Wochenstunden zumutbar seien, eine Ablehnung somit ein Leistungskürzungsgrund wäre. Der Kläger hatte in dem 30stündigen 1EJ (er wickelte Bäume in Wildschutzfolie ein) eine irreguläre Verdrängung eines Arbeitsplatzes gesehen und wies zudem darauf hin, dass ihm durch die erhöhte Wochenarbeitszeit immer weniger Gelegenheit für die Erfüllung seiner Bewerbungspflicht gegeben würde.

Das BSG wies die Klage ab, ging jedoch auf die Frage der Bewerbungszeit nicht ein. Es beurteilte vielmehr die Frage der Wochenarbeitszeit und deren Auswirkung auf reguläre Arbeitsverhältnisse. Das Gesetz, so die Richter, biete keine Formulierung, die es möglich mache, eine Arbeitsplatzverdrängung allein durch die Wochenarbeitszeit zu sehen. Vielmehr ginge es um die reine Arbeitsplatzbeschreibung/die Art der Tätigkeit. Außerdem, so das BSG weiter, ginge es bei den 1EJ ja nicht um eine tatsächliche Entlohnung, sondern lediglich um einen Anreiz – immerhin erhielte der ALGII-Empfänger ja weiter seine Sozialleistungen. Zur weiteren Beurteilung der Tätigkeit wurde der Fall an das Bayerische Sozialgericht zurück verwiesen, wo er nun weiter behandelt wird. Der Kläger war beim Sozialgericht erfolglos, in der zweiten Instanz jedoch erfolgreich gewesen.

So das Gesetz tatsächlich die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze nicht auch hinsichtlich der Wochenarbeitszeit bewertet (wie das BSG feststellte), ist dieses Urteil der Freifahrtschein für weitere 1EJs in Vollzeit. Warum die Gemeinde, die den Kläger zum Baumummanteln als 1EJ-Beschäftigten „einstellte“, bei einem solch hohen Arbeitsaufkommen nicht reguläre Arbeitskräfte beschäftigt, bewertete das BSG nicht. Es ist anzunehmen, dass dies dann erneut die so genannte „Zusätzlichkeit“ bedeutet – ein Arbeitsplatz, den die Kommune entweder nicht bezahlen kann oder will und somit denjenigen auferlegt, die sich nicht dagegen wehren können, dass sie dem Lohndumping weiter Vorschub leisten. In Zeiten der zunehmend klammen Kassen ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Müllentsorgung und dergleichen mehr von 1EJ-Kräften erledigt werden müssen. Zyniker fragen sich, warum 1EJ-Kräfte nicht auch zur Verteidigung der Freiheit am Hindukusch eingesetzt werden – aber vielleicht wäre es doch nicht ratsam, den „Überflüssigen“ auch noch Waffen zu geben.