Verpilcherung

"Buddenbrooks" und die niedrigen Ansprüche an anspruchsvolles Kino in Deutschland

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Es ist keinswegs so, wie Wald- und Wiesen-Motzer gerne glauben, dass es in Deutschland keine fähigen Kräfte für gute Filme gibt. „Die können das sowieso nicht.“ quatscht es aus vielen Leuten, „Wir haben in Deutschland eben nicht die Schauspieler.“ Et cetera. Dabei gibt es viele, gute Leute in allen Abteilungen – Kostüm, Drehbuch, Ausstattung, Schauspiel, Buch; Menschen, die ihr Handwerk verstehen, sorgfältig arbeiten und mitunter inspiriert sind. Und sicherlich gab es die auch bei der Produktion „Buddenbrooks“, der 16-Millionen-schweren Thomas-Mann-Adaption. Dennoch: „Die Zutaten waren bestimmt alle sehr gut.“ dürfte in keinem Restaurant als besonderes Lob aufgefasst werden.

Alle Bilder: Warner

Wenn deutsche Produzenten großes Kino machen möchten, dann erliegen sie gern einem Vollständigkeitswahn. Beim „Untergang“ muss die komplette Nazi-Führungsriege auftreten, möglichst besetzt mit der kompletten deutschen Schauspiel-Prominenz. Im „Baader-Meinhof-Komplex“ wird die Gesamthistorie der RAF durchgehechelt, ebenfalls mit Starbesetzung, egal ob's passt oder nicht. Und die etwa 800 Seiten von Thomas Manns „Buddenbrooks“ wurden nun unter allen Umständen in einen einzigen Film gepackt. Statt auf Geschichten setzt man auf Themen, auf Marken, auf Namen und immer mehr auf den Einsatz wirklich aller verfügbaren Mittel. So entsteht – meist unter Mitwirkung von Bernd Eichinger – bloßes Aufwandskino, möglichst für den internationalen Markt. Von „Unendliche Geschichte“ bis „Krabat“, von heimatlosen Produktionen wie „Das Geisterhaus“ bis eben hin zu „Buddenbrooks“. Kein Mensch dürfte sich je mit Versonnenheit an einen dieser Filme erinnern.

Um mal beim Beispiel zu bleiben: Dass man Motive streichen musste, um den Mann-Roman wenigstens einigermaßen zu bewältigen, ist verständlich. Wenn man aber in der Handlung herumholzt, als handele es sich um ein läppisches TV-Serien-Konzept, dann geht es wohl letzlich nur um's Irgendwie-Fertigwerden. Das Ziel ist nur scheinbare Vollständigkeit, die Details werden für die längere Fernsehfassung versprochen. Da streicht man schon den Zweittitel „Verfall einer Familie“, um die Zuschauer nicht zu überfordern, reduziert die Familien-Saga auf das Allernötigste und peppt das Lübecker Patrizier-Leben im 19. Jahrhundert ansonsten auf, wo es nur geht. Weil man etwa Jessica Schwarz, eine moderne, junge Frau, für die Anthonie Buddenbrook besetzt hat, wird diese im Roman so naive, tragikomische Figur eben in eine tapfere, kluge Schmachterin mit ein bisschen Schicksal verwandelt. Aus dem schamhaften Bussi am Strand wird indessen eine Leidenschaft mit virtuellem Sturmgebraus. Die reine Verpilcherung.

Regisseur Heinrich Breloer, laut Reinhard Jellen sowas wie „der Guido Knopp der Germanistik“, galt wohl nach seiner Dokumentation „Die Manns“ als prädestiniert für die Verfilmung. Er dürfte nicht mit dem Druck gerechnet haben, der ihm bei dem hohen Budget widerfuhr, vielleicht hat er auch seine Fähigkeiten zur Schauspielerführung überschätzt. Die Produktion ließ ein für Buddenbrookschen Geschmack sehr luxuriöses Haus zimmern und sehr blumige Kostüme schneidern, und man hielt es womöglich auch für eine Hilfe, Breloer den aktionistischen Kameramann Gernot Roll beiseite zu stellen. Und damit war es dann endgültig aus mit allem Feinsinn.

Es ist für den Betrachter kaum möglich, in diese Saga einzutauchen. Alles wird - im Glauben, man könne sich durch Bewegung allein dem Niveau Scorseses nähern – verschwenkt, verschnitten, verschmarrt. Andauernd ergeht sich die Kamera in unsinnigsten Fahrten; wenn der Senator Buddenbrook schwankt, dann schwankt sie mit ihm, und beständig wird das edle Treppenhaus in den Bildmittelpunkt gepflanzt (Jetzt ham wir's schon gebaut, dann sollen's die Leut auch sehen!). Fatal überdies der Fehler, ausgerechnet bei einer Handlung, die Jahrzehnte umspannt, also gewisse Alterungserscheinungen der Personen zeigen sollte, unaufhörlich Nahaufnahmen einzusetzen und damit die ewige Jugend der Darsteller zu markieren. Man kommt denn Figuren damit so wenig näher wie mit ein paar hinzudelirierten Erläuterungssätzen, mit denen August Diehl als Christian Buddenbrock dem toten Bruder seine Gefühle aufsagt.

Deutsches Renommierkino hat die gleiche Wirkung wie eine „Faust“-Inszenierung in einem Kleinstadt-Theater. Keiner hat Lust drauf, weder Künstler noch Zuschauer. Aber es ist halt mal wieder fällig, einerseits für die Zuschauerzahlen, andererseits als bildungsbürgerliche Pflicht. Und wenn nun die beteiligten TV-Sender ihr großes Projekt bewerben, die Mitwirkenden ernste Interview geben und ratlose Deutschlehrer ihre Schüler ins Kino schicken, dann werden wieder alle, wahrscheinlich sogar die Produzenten, glauben, sie haben es mit anspruchsvollem Kino zu tun. Dann lieber „Madagaskar 2“.