Die Rückkehr des Ehud Barak

Der israelische Militäreinsatz war von langer Hand geplant - und könnte der Arbeiterpartei des angeschlagenen Verteidigungsministers Ehud Barak ein politisches Comeback bescheren

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"Shock and Awe", heißt die Strategie, die Israels Militär über das Wochenende im Gazastreifen anwandte, und die auch schon im Libanon-Krieg 2006 zum Einsatz kam: Innerhalb kürzester Zeit greift ein Militär an möglichst vielen Fronten gleichzeitig an, um dem Gegner ein Gefühl der Unterlegenheit zu vermitteln. Während der Libanon-Krieg eine Spontanreaktion auf die Entführung zweier Soldaten durch die Hisbollah war, und ohne klar definiertes Ziel oder eine sogenannte "Exit Strategy" begonnen wurde, ist die Operation (Zündeln im Sturm) im Gazastreifen wohl von langer Hand vorbereitet gewesen - jedenfalls überraschte Verteidigungsminister Ehud Barak die Medien, die bislang angenommen hatten, der Einsatz sei eine Reaktion auf das Ende des Waffenstillstandes, mit dieser Information.

Daher stellen sich die Hintergründe heute ganz anders dar, als noch vor ein paar Tagen: Barak scheint bereits seit dem Beginn der Waffenruhe (Genug ist genug) darauf hingearbeitet zu haben, die Hamas irgendwann so weit in Knie zu zwingen, dass sie keine Lust mehr hat, gegen Israel zu kämpfen. Er werde ihr "den Kopf abschlagen", sagte er am Sonntag einmal mehr, aber Israel müsse sich auf einen möglicherweise langen und verlustreichen Kampf einstellen.

Dass Hamas tatsächlich, trotz der mittlerweile mehr als 300 Opfer auf ihrer Seite, auf dem Weg zur Niederlage ist, dafür gibt es bislang allerdings noch keine Anzeichen: Seit der Nacht zum Montag gingen im Süden Israels mehr als 40 Raketen nieder; ein Mensch wurde getötet. Die Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen gingen derweil weiter, während an der Grenze auf einen Beginn einer Bodenoffensive warten. Die Operation, so die Hoffnung zumindest bei den Mitarbeitern Baraks, könnte auch Auswirkungen auf den Wahlkampf haben: Hatte es noch vor wenigen Tagen so ausgesehen, als stünde Israel eine Rechts- oder Mitte-Rechts-Regierung bevor, sagen die Blitzumfragen vom Montag eine Mitte-Links-Regierung unter Führung der Sozialdemokraten, allerdings ohne Beteiligung wirklich linker Parteien vorher. Denn die fühlen sich von der hohen Zahl an Todesopfern abgestoßen und haben sich von Barak abgewendet.

Montag, 16:00 Uhr Ortszeit, Jerusalem. Es wurde gebrüllt, ganz viel, im israelischen Parlament in Jerusalem. Arabische Abgeordnete beschimpften die Regierung als Massenmörder; rechtskonservative Parlamentarier nannten Raleb Majadele, den einzigen arabischen Minister im Kabinett einen Verräter, weil der nicht nur nicht für den Gaza-Einsatz gestimmt hatte, sondern als einziger Minister gar nicht zur Kabinettssitzung am Sonntag gekommen war, in der die Operation nachträglich abgesegnet wurde, während die Ultrarechte die Ausweisung aller arabischen Abgeordneten nach Gaza forderte, Sprecher der linksliberalen Meretz-Partei laut rufend fragten, ob Israel denn nun alle Moral verloren habe, und einfach so den Tod von Hunderten in Kauf nehme, die Rentnerpartei leise aber mit der Erhabenheit des Alters ihren Vorsitzenden Rafi Eitan, ein ehemaliger Mossad-Agent, erklären ließ, man sei ja grundsätzlich für den Militäreinsatz, weil es nun mal so nicht weiter gehen könne, das mit den Raketen, aber irgendwo müsse man eine Grenze ziehen, irgend jemand dazwischen rief: "Aus welchem Altersheim seid Ihr denn?" und Knesseth-Sprecherin Dalia Itzik bereits nach einer Stunde ob der Vielzahl an Ordnungsrufen leichte Anzeichen von Heiserkeit erkennen ließ.

Und mittendrin, in dieser leicht surrealen, an Jerry Springer erinnernden Szenerie, in der die Ordner auch mal den einen oder anderen Faustkampf unter Politikern verhinderten, saß Verteidigungsminister Ehud Barak, neben ihm Außenministerin Zippi Livni und der politisch am Ende stehende Premierminister Ehud Olmert, schaute von Zeit zu Zeit auf Benjamin Netanjahu, den Vorsitzenden des rechtskonservativen Likud-Blocks, der meist betreten auf den Tisch vor ihm blickte, wohl weil Barak nun genau das tut, was Netanjahu im Wahlkampf fordert, und ihm damit die Butter vom Brot nimmt.

Der neue starke Mann Israel heißt nun: Ehud Barak. Wieder einmal. Denn Ähnliches hatte sich bereits Ende der 90er Jahre zugetragen, als Netanjahu nach nur 18 Monaten im Amt den Präsidenten um Neuwahlen hatte bitten müssen - um dann erdrutschartig gegen Barak, einem ehemaligen Generalstabschef, zu verlieren. Wann immer Barak zu ihm hinüber blickte, dann lächelte er aufmunternd-mitleidig. Und nickte dankend mit dem Kopf, als ihm Netanjahu leicht stockend während seiner Redezeit dankte: Er sei des Amtes des Verteidigungsminister würdig, habe Kompetenz und Entschlossenheit gezeigt, man sollte nun zusammen arbeiten. Es klang, als sei es ein Angebot an Barak, gemeinsam mit seiner Arbeiterpartei nach den nächsten Wahlen in einer Regierung Netanjahu weiterhin als Verteidigungsminister zu dienen. Jedenfalls schüttelt Barak leicht den Kopf: Er will Netanjahu, dessen wirtschafts- und finanzpolitische Ansichten er ebenso wenig mag, wie sein kategorisches Nein zur Räumung von Siedlungen im Westjordanland, noch einmal demütigen - was Mitarbeiter Baraks natürlich etwas umformuliert haben möchten:

Es ist der Wunsch unseres Spitzenkandidaten, sich erneut gegen den Kandidaten des Likud durch zu setzen, um für eine gerechtere Sozialpolitik und einen gerechten Frieden mit den Palästinensern zu haben. Auch wenn die Operation, die im Moment im Gazastreifen stattfindet, hart und für die Hamas verlustreich ist, liegt Ehud Barak dennoch der Schutz der Zivilbevölkerung am Herzen. Der Verteidigungsminister hat Anweisung gegeben, zivile Opfer soweit wie möglich zu verhindern, und außerdem persönlich die sofortige Öffnung der Übergänge für 100 Transporte mit Hilfsgütern für die Bevölkerung im Gazastreifen angeordnet. Es werden weitere folgen.

Es ist Wahlkampf

Es scheint, als benutze Barak derzeit das Militär als seine Wahlkampfmaschine. Israelische Wähler lieben starke Politiker, Leute die hart kämpfen, und die danach viel aufgeben, aus einer Position der Stärke heraus - das hatte Ariel Scharon, einen den umstrittensten Politiker der israelischen Geschichte, so populär gemacht.

Und so ist Siegesgewissheit zu zeigen, eines der obersten Einsatzziele des israelischen Militärs. Siegesgewiss tanzten und sangen, Victory-Zeichen inklusive, Panzer-Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen am Sonntag abend vor laufenden Kameras, während im Vordergrund ernst drein blickende Korrespondenten die Lage analysierten, und darüber rätselten, ob und wann der Einsatz der Panzer, unterstützt von 6500 Reservisten kommen wird, die an der Nordgrenze zum Gazastreifen aufgefahren und aufmarschiert sind.

Siegesgewiss gibt sich auch Verteidigungsminister Ehud Barak. Mit einem selbstbewussten Lächeln auf den Lippen bestätigte er am Sonntagabend live im israelischen Fernsehen, die Operation sei keinesfalls eine Spontanaktion wie der Libanon-Krieg gewesen, sondern in der Tat von langer Hand vorbereitet worden - er sprach von bis zu sechs Monaten, also seit dem Beginn des Waffenstillstandes. Direkt darauf entschuldigte sich der Chef der Sozialdemokraten mit verschmitzt-verlegener Miene bei den Medien dafür, dass die Spin-Doktoren und Kontaktleute in der Verwaltung des Verteidigungsministeriums und im Büro des Premierministers die Journalisten im Laufe der vergangenen Monate nach Strich und Faden belogen hatten - selbst ein für Sonntag angesetztes Treffen des Kabinetts, bei dem angeblich über einen Angriff hatte entschieden werden sollen, war erfunden gewesen.

Militäraktion als Wahlwerbung

Tatsächlich hatten Barak, Außenministerin Zippi Livni und Premierminister Ehud Olmert den Zeitpunkt des Beginns der Operation bereits während eines Geheimtreffens am Freitag morgen fest gesetzt - ein Informationshappen, mit dem Barak Livni, seiner Gegenspielerin um das Amt des Premierministers, einen Teil des Ruhms zuschusterte, der Barak nun von einem großen Teil der Öffentlichkeit gezollt wird: In Blitzumfragen schossen die Sozialdemokraten am Montag auf bis zu 30 von 120 Sitzen; der Likud, bisher größter Advokat von militärischen Maßnahmen gegen die Hamas, sank hingegen auf um die 20 Sitze. Die Kadima-Partei von Zippi Livni bleibt bei an die 30 Sitzen. Sollte sich das im Laufe der kommenden Monate so einfahren, was allerdings unwahrscheinlich ist, weil die Geschicke der Armee sehr leicht kippen können, wäre Israel zum ersten mal seit den 80er Jahren eine wirklich stabile Koalition sicher. Nur ist unwahrscheinlich, dass es eine Mitte-Links-Regierung werden würde.

Denn die Gaza-Operation hat die Linke nicht mehr nur auf eine Art und Weise gespalten, wie das bei voran gegangenen Militäreinsätzen der Fall gewesen war, sondern sie hat die einzelnen Parteien einander entfremdet: So erklärte der Vorsitzende der linksreligiösen Partei Meimad, Rabbi Michael Melchior, die bislang stets im Block mit den Sozialdemokraten angetreten war, man werde sich nun einen anderen Partner suchen. Und die linksliberale Meretz-Partei erklärte, man werde sich im Angesicht der hohen Zahl an Todesopfern in Gaza, mehr als 300 bisher, genau überlegen. ob ein Eintritt in eine Koalition mit der Arbeiterpartei noch möglich sein wird.

"Die Gaza-Operation hat die Wählermeinungen jedenfalls für den Moment völlig verändert," sagt der Demoskop Ascher Arian: "Barak, der nach seiner erfolglosen Phase als Premierminister Ende der 90er Jahre und einer verheerenden Niederlage gegen Ariel Scharon eher als tragische Gestalt der israelischen Politik gesehen wurde, ist wieder der starke Mann mit sozialem Gewissen, die ihm 1997 einen ebenso erdrutschartigen Sieg gegen Benjamin Netanjahu bescherte."

Auch die meisten Medien werten die Operation nun als "Wahlbewerbung" (MaAriv) Baraks, in der er "beweise, was er drauf habe" (Armee-Radio), indem er zum einen hart, überraschend gegen die Hamas vorgehen ließ, und das bisher auch noch mit nur wenigen eigenen Verlusten, aber gleichzeitig am Sonntag die Grenzen zum Gazastreifen für Hilfsgüter öffnete - nachdem er die Forderung der Hamas nach Verhandlungen über einen Waffenstillstand am Sonntag siegesbewusst abgelehnt hatte. "Barak will Schluss mit der Hamas machen und eine Wahl gewinnen", kommentierte die Zeitung HaAretz: "Und dafür geht er über viele Leichen."

Beobachter gehen nun davon aus, dass es Israels Regierungsspitze niemals an einer Fortsetzung des Waffenstillstandes über die ursprünglich vereinbarten sechs Monate hinaus gelegen war. Stattdessen scheint man von vorne herein auf eine groß angelegte Operation gegen die Hamas hingearbeitet zu haben, auch wenn das Verteidigungsministerium zur Zeit das Aus für die Hamas-Regierung in Gaza als Operationsziel noch bestreitet, und ließ es außerdem auf einen neuen Raketenbeschuss durch Kämpfer der Hamas nach dem Ende der Waffenruhe ankommen. Immerhin gab dies die Legitimation für einen Militäreinsatz.

Aber auch dies formulieren die Mitarbeiter Baraks lieber anders:

Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Waffenstillstand so oder so irgendwann enden würde, und unsere Buerger im Süden wieder einem Raketenbeschuss, möglicherweise, wie wir auch jetzt gesehen haben, durch bessere und weit reichendere Raketen, ausgesetzt sein würden. Wir mussten also handeln und uns vorbereiten, damit wir nicht wieder in der gleichen Situation landen, wie zu Beginn des Zweiten Libanonkrieges, als uns die Eskalation nahezu unvorbereitet und mit dem bekannten Ergebnis traf.