Demonstrationen, fehlende politische Mandate und Internetsperren

Der Datenschutzrückblick 2008 - Teil 1

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

2008 war, was den Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung angeht, ein bewegtes Jahr. Datenskandale erreichten die Öffentlichkeit und weiteten sich aus, der Bundesinnenminister führte die Tradition der Kritikerschelte fort und das Bundesverfassungsgericht hob ein neues IT-Grundrecht aus der Taufe. Ein kleiner Rückblick über das, was 2008 im Bereich Datenschutz/Überwachung/Privatsphäre/Zensur Schlagzeilen machte.

Januar

Das neue Jahr beginnt mit einer Beschwerde. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hoffte noch am 31.12.2007, durch eine eilig eingebrachte Verfassungsbeschwerde der Vorratsdatenspeicherung Einhalt gebieten zu können. Ein gravierender Eingriff in die Grundwerteordnung des Rechtsstaates sei die VDS, so der Arbeitskreis, der über 30.000 Menschen dazu motivieren konnte, sich der Verfassungsbeschwerde anzuschließen. Und nicht nur das: selbst zu Silvester gehen die Menschen für die Grundrechte auf die Straße, ein Bundessarg geht auf Reisen und eine Handykartenbörse wird kurz nach ihrer Eröffnung wieder ausgesetzt. Die Provider dagegen warten zunehmend einfach ab, welche Ausnahmeregelungen und Urteile es geben wird. Andere setzen auf Guerilla-Aktionen. Und die Richter können sich anfangs nicht entscheiden, wer nun für die VDS zuständig ist. Juli Zeh legt derweil Verfassungsbeschwerde gegen die Aufnahme von biometrischen Daten in Reisepässen ein.

Der Stuttgarter Justizminister Goll lehnt das ab, was in den nächsten Monaten zum politischen Dauerbrenner werden soll: die Onlinedurchsuchung. Die CSU-Landesgruppe dagegen will die umstrittene Maßnahme so schnell wie möglich umgesetzt sehen – die besorgten Augen der Kritiker richten sich derweil auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das über das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz entscheiden soll, welches auch die Onlinedurchsuchung möglicht macht. Zu der beliebten Terror-Begründung für die OD gesellt sich nun das Kinderpornoargument.

Die Grünen sowie das Netzwerk Recherche warnen vor dem Überwachungsstaat und die EU-Kommission legt ein neues Topthema auf den Tisch der fragwürdigen Ideen: Netzsperren bei illegalen Downloads. AT & T erläutert denn auch gleich hilfreich, wie eine Filterung von Netzinhalten aussehen könnte, die den illegalen Downloads den Garaus machen soll. Zeitgleich wird auch die Netzfilterung im Kampf gegen Kinderpornographie propagiert.

Auch ein anderes „running topic“ wird bereits im Januar aktuell: die Wahlcomputer. Der CCC will sie in Hessen verbieten lassen, das Innenministerium zweifelt nicht an der Sicherheit der Computer.

"Es ist ein schmerzlich irrer Glaube, dass Zivilcourage nur im Zusammenhang mit welterschütternden Ereignissen bewiesen werden kann. Im Gegenteil, die größten Anstrengungen kostet sie oft in jenen kleinen Situationen, in den die Herausforderung darin besteht, die Ängste zu überwinden, die uns überkommen, wenn wir über unser berufliches Weiterkommen beunruhigt sind, über unser Verhältnis zu jenen, die in unseren Augen Macht über uns haben, über alles, was den ruhigen Verlauf unseres irdisches Leben stören könnte."

Josef Weizenbaum wird 85 Jahre alt und seine weisen Worte sind in Zeiten des Wegsehens und der Existenzsorgen einmal öfter wichtig für alle. Und was, wenn unser Weiterkommen u.a. durch das „Hinweis- und Informationssystem“ der Versicherungen gefährdet wird? Davor warnt der Bund der Versicherten.

Niedersachsens Innenminister Schünemann, der im weiteren Jahr noch öfter mit populistisch klingenden Forderungen von sich Reden machen wird, fordert eine Intensivtäterdatei für jugendliche Serienstraftäter in allen 16 Bundesländern.

Mit der geplanten Novelle des BKA-Gesetzes entsteht die nächste datenschutzrechtliche Großbaustelle, vom Bundesinnenminister wie immer vehement verteidigt. In bester Innenministertradition schimpft Schäuble denn auch gegen den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, da dieser sich zum neuen Luftsicherheitsgesetz äußert und nach Ansicht des Innenministers doch für solche „Ratschläge bezüglich der Ausgestaltung von Gesetzen nicht demokratisch legitimiert sei“. Immerhin nennt er Herrn Papier nicht Hansel.

Februar

Der Februar bringt eine Umfrage zur Vorratsdatenspeicherung, die darauf hinweist, dass sich durch die VDS Kommunikationsstörungen ergeben, da sich die Menschen beobachtet und abgehört fühlen. Und wie praktisch andere Überwachungsmaßnahmen sind, stellt eine Bank unter Beweis, die die zu Sicherheitszwecken eingeführte Videoüberwachung nutzt, um festzustellen, wer hinter der Kotverunreinigung im Geldautomatenbereich steckt.

In Bayern träumt man nicht nur vom Bayerntrojaner, sondern auch von einem Chefermittler zum internationalen Schutz des "geistigen Eigentums" und im Bundesinnenministerium von einem zentralen Melderegister.

Und auch die Gewaltspiele mausern sich wieder zum Topthema - das neue Verbot geht weit über das hinaus, was bisher galt. Doch besser zuviel als zuwenig, so sagte man sich auch bei der „Operation Himmel“, die sich nach und nach als mehr Flop als top darstellt.

Deutschland im Fadenkreuz der Terroristen – diese Meldung wird ab Februar zum Dauerbrenner der Strafverfolger und des Innenministeriums. Das „hatten wir das nicht gestern erst?“-Gefühl wird sich auch beim Thema Filter gegen Kinderpornos in den nächsten Monaten einstellen, das Jahr 2008 wird insbesondere hier das Jahr der Wiederholungen.

Der AK Vorrat kämpft gegen die der Fluggastdatenweitergabe und Patrick Breyer legt sich mit der Bundesjustizministerin an.

Auch die Elektronische Gesundheitskarte steht im Zentrum der Kritik, während die Bundesregierung bei den Gefahren, die durch den Einsatz von RFID-Chips entstehen könnten, lässig abwinkt. Überwachungsszenarien, so heißt es, seien sehr weit hergeholt und nicht angebracht. Dafür sind Überwachungsträume durchaus real, wie der Innenstaatssekretär und frühere BND-Chef Hanning beweist.

Die Träume des nordrhein-westfälischen Innenministers vom schönen neuen Verfassungsschutzgesetz - inklusive Onlinedurchsuchung - erfahren jedoch einen schweren Dämpfer. Das Bundesverfassungsgericht erteilt dem Gesetz sowie seinem geistigen Vater eine schallende Ohrfeige und begründet in seiner Grundsatzentscheidung das neue IT-Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Das Urteil ist somit der Startschuss für Interpretationen und die bis zum Ende des Jahres andauernden Versuche, die Onlinedurchsuchung trotzdem in trockene Tüchter zu bekommen.

März

Auch im März gehen die Menschen auf die Straße, um gegen die ausufernde Überwachung zu protestieren und das BVerfG sorgt durch seine einstweilige Anordnung in Bezug auf die VDS für Konfusion.

Das 10jährige Jubiläum der Informationsfreiheit in Deutschland gibt wenig Anlass zum Jubeln, denn durch die vielen Ausnahmen ist die Informationsfreiheit letztendlich zur Alibiveranstaltung geworden, wie ernüchtert konstatiert wird.

Der CCC schickt Schäubles Fingerabdruck in die Öffentlichkeit hinaus und der Discounter LIDL zeigt sich als höchst besorgter Arbeitgeber, der sogar darauf achtet, wer mit wem ein Liebesverhältnis hat, wer wann auf Toilette geht etc.

In Teil 2: April, Mai, Juni