Absichtlich zugefügte Schmerzen werden als stärker empfunden

Psychologen haben in einer Studie festgestellt, dass es ganz auf die Bedeutung der Ursache von Schmerzen anzukommen scheint, wie wir diese erleben

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Oft kommt es für das Erleben darauf an, wie und in welchem Kontext etwas wahrgenommen wird. Das ist auch bei Schmerzen so, wie Wissenschaftler der Harvard University eindrucksvoll bestätigt haben. Sie konnten in ihrer Studie zeigen, dass es keinen objektiven Schmerz gibt, sondern dass Menschen Schmerzen sehr unterschiedlich erleben, je nachdem, ob er ihnen absichtlich zugefügt wird oder sie ihn (aus ihren Augen) zufällig erleiden.

An der in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlichten Studie "The Sting of Intentional Pain" nahmen 43 Versuchspersonen teil, die jeweils in Zweiergruppen aufgeteilt wurden. Einer der Versuchspersonen konnte entweder einen hörbaren Ton oder einen Elektroschock auslösen. Einmal wurde der Elektroschock absichtlich ausgelöst, wenn der Partner dies auch macht, das andere Mal löste dieser den Ton aus, allerdings gab es dann auch wieder – unabsichtlich - einen Stromstoß. Auf Computerbildschirmen konnten beide Versuchspersonen die Entscheidung beobachten, es konnte auch gesehen werden, dass es gleich einen Elektroschock geben würde, damit der Elektroschock, wenn er unabsichtlich ausgelöst wurde, nicht überraschender erlebt wird.

Obgleich die Stärke des Stromstoßes in beiden Fällen je nach Individuum zwischen 40 und 75 Volt identisch war, erlebten die Versuchspersonen die Schocks schmerzvoller, wenn sie ihnen absichtlich zugefügt wurden. Die Versuchspersonen, die Stromschläge unabsichtlich erhielten, gewöhnten sich andererseits an den Schmerz und beschrieben ihn zunehmend geringer. Wenn der Elektroschock absichtlich zugefügt wurde, blieb er immer genau so schmerzhaft. Vor dem interpersonellen Versuch wurde die Stärke der Stromstöße getestet und an die Person angepasst. Zudem wurde jede Versuchsperson zwei Runden mit Elektroschocks von einem Computerprogramm unterzogen.

Kurt Gray, einer der beiden Autoren, vermutet, dass die unterschiedlichen Schmerzempfindungen auch eine evolutionäre Bedeutung haben könnten. Wenn etwas zufällig oder unabsichtlich Schmerzen zufügt, könnte es sich um etwas Einmaliges handeln, wenn Schmerzen absichtlich von einem Mitmenschen verursacht werden, könnte es besser sein, das Verhalten zu stoppen, weswegen der Schmerz größer zu sein scheint. Das erklärt freilich nicht, warum Menschen sich offensichtlich bei Wiederholung an den einen Schmerz gewöhnen, an den anderen aber nicht. Zudem sind die im Versuch verursachten Schmerzen natürlich relativ harmlos. Für die Psychologen erklären ihre Versuchsergebnisse aber, warum Folter so schmerzhaft ist: nicht nur wegen der zugefügten Schmerzen, sondern auch wegen der Demütigung, die sie noch verstärken.