Welcher Kalender gilt im All

Das zu früh begangene Jubiläum der Mars Exploration Rover deutet auf weiterhin bestehende kolonialistische Tendenzen in der Raumfahrt

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Mit großer Selbstverständlichkeit feierten die Medien Anfang des Jahres das Dienstjubiläum der US-amerikanischen Marsrover Spirit und Opportunity. Vor fünf Jahren seien die Roboter auf dem roten Planeten gelandet und immer noch aktiv, hieß es in einer Pressemitteilung der Nasa. Die ursprünglich auf drei Monate veranschlagte Einsatzdauer hätten sie damit um das Zwanzigfache übertroffen. Das wurde dann auch in allen Artikeln so wiedergegeben. Niemand schien sich zu wundern, wieso für eine Jubiläumsfeier auf dem Mars der Erdkalender zugrunde gelegt wird.

Rover Spirit zeigt sich in seinem Schatten. Bild: Nasa

Tatsächlich sah das Missionsszenario für die Mars Exploration Rover keine Einsatzdauer von drei Monaten vor, sondern von 90 Marstagen (Sol). Ein Sol ist aber knapp 40 Minuten länger als ein Tag auf der Erde. Nach fünf Erdjahren akkumuliert sich diese kleine Differenz zu mehreren Wochen. Demnach haben die Rover die magische Grenze der zwanzigfachen Einsatzdauer noch gar nicht erreicht. Spirit wird seinen 1800. Sol erst am 21. Februar 2009 irdisch-christlicher Zeitrechnung feiern können, Opportunity drei Erdwochen später am 14. März.

Für die Wissenschaftler, die die Roboter durch den roten Marssand steuern, ist das kein Problem. Auf die Frage, ob sich das Roverteam bei der Planung von Jubiläumsfeiern eher am Mars- oder am Erdkalender orientiert, sagt der Leiter der Roverfahrer Scott Maxwell: „An beiden! Das Feiern von Erdjubiläen und Marsjubiläen gibt uns sprichwörtlich das Beste von beiden Welten.“ In den Anfangstagen der Mission, so Maxwell, hätten die Wissenschaftler ihre Arbeitsschichten ausschließlich nach der Marszeit ausgerichtet. Das habe das Gefühl befördert, selbst auf dem Mars zu arbeiten. Inzwischen folgten sie aber wieder stärker den irdischen Uhren.

Beim heutigen, noch wenig entwickelten Stand der Exploration und Besiedelung des Sonnensystems mögen solche Kalenderfragen als unterhaltsames Kuriosum erscheinen. Doch es steckt mehr dahinter. Bei einer wachsenden dauerhaften Präsenz des Menschen auf anderen Himmelskörpern könnte sich zukünftig daraus ein gefährliches Konfliktpotenzial entwickeln.

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Pressemeldungen das Marsjubiläum am Erdkalender ausrichteten, ist jedenfalls ein Indiz dafür, dass der kolonialistische Ansatz, das Denken vom Machtzentrum her, auch im Weltraum noch immer wirksam ist. Außenposten und Siedlungen im All werden umstandslos als Anhängsel der Erde begriffen. Dabei sollten die blutigen Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte eine dringende Mahnung sein, in Zukunft andere Wege zu beschreiten.

Europa hat sein Weltraumlabor auf der Internationalen Raumstation (ISS) Columbus genannt und es damit zu einem Mahnmal im Orbit gemacht, das an die Entdeckungsreisen europäischer Seefahrer erinnert -- und damit auch an den sich daran anschließenden neuzeitlichen Kolonialismus. Die europäische Expansion hat viel Leid über die Erde gebracht. Wer sich in die Tradition der europäischen Entdecker stellt, tritt damit auch dieses blutige Erbe an und muss Wege benennen, wie solche Entwicklungen in Zukunft vermieden werden können.

In der deutschen Raumfahrtszene stoßen solche Anliegen allerdings auf wenig Begeisterung. Wer auf die Geschichte des europäischen Sklavenhandels verweist oder Wernher von Brauns Verstrickungen mit dem Nazi-Regime thematisiert, steht schnell als Spielverderber da, der der Raumfahrt, insbesondere der bemannten, grundsätzlich das Wasser abgraben will. Doch an der Auseinandersetzung mit unserer unrühmlichen Vergangenheit führt auch im Weltraum kein Weg vorbei. Im Gegenteil, nur klare, deutlich formulierte Positionen in diesen Fragen werden der Raumfahrt auf Dauer die nötige gesellschaftliche Unterstützung sichern können.

So muss bei der Einrichtung von Weltraumsiedlungen deren vollständige Unabhängigkeit von der Erde das vordringliche Ziel sein. Schon allein aus wirtschaftlichen Gründen dürfen sie auf Dauer nicht von Versorgungslieferungen abhängig sein. Das muss durch eine uneingeschränkte politische Souveränität flankiert werden. Natürlich wird es eine Weile dauern, bis eine solche Autarkie technisch machbar ist. Doch wenn die Bewohner einer Siedlung im All zu dem Schluss kommen, nunmehr auf eigenen Füßen stehen zu können, sollten sie ihre Unabhängigkeit mit einer einfachen, formellen Erklärung feststellen können. Mühsame, womöglich kriegerische Loslösungen von der „Schutzmacht“, wie sie die irdische Kolonialgeschichte geprägt haben, darf es im All nicht noch einmal geben.

Noch wichtiger ist der Umgang mit Eingeborenen. Er muss im Weltall erheblich respektvoller erfolgen, als er es in der Vergangenheit auf der Erde war. Wo immer wir daher auf anderen Planeten Leben entdecken, müssen wir es als Besitzer des Planeten ansehen. Das gilt grundsätzlich, selbst wenn es sich bei den Lebewesen nur um winzige Mikroben handeln sollte. Schließlich wurden die Verbrechen gegen die Ureinwohner in Amerika und anderen Kontinenten unter anderem damit gerechtfertigt, dass sie nicht als vollwertige Menschen eingestuft wurden. Außerirdisches Leben muss daher, wie vom britischen Mikrobiologen Charles Cockell gefordert, bis zum Beweis des Gegenteils grundsätzlich als intelligent und leidensfähig angesehen werden. Sofern wir nicht klar und unmissverständlich dazu eingeladen werden, dürfen wir einen von Lebewesen jeglicher Art bewohnten Planeten nicht betreten.

Aufnahme des West Valley vom Mars Exploration Rover Spirit. Bild: Nasa

Der Mars, der unlängst von der „Planetary Society“ als vorrangiges Ziel für bemannte Missionen propagiert wurde, könnte sich daher als ungeeignet für eine Besiedelung durch Menschen erweisen. Falls die Robotersonden, die in den kommenden Jahren zu unserem Nachbarplaneten fliegen sollen, tatsächlich Leben nachweisen sollten, wäre eine Landung von Menschen jedenfalls bis auf weiteres moralisch nicht vertretbar, die Landung weiterer Roboter fraglich. Wir müssten uns zunächst auf die Beobachtung aus dem Marsorbit beschränken.

Es wäre sicherlich nicht leicht, auf den Mars als Ziel bemannter Missionen zu verzichten, bietet er doch aufgrund der dort vorhandenen Ressourcen in unserer kosmischen Nachbarschaft die besten Bedingungen für eine permanente menschliche Präsenz. Die Ansiedlung etwa auf den Marsmonden dürfte dagegen technologisch erheblich schwieriger werden. Aber der einfachste Weg ist nicht immer der beste. Schon der US-Präsident John F. Kennedy begründete das Apollo-Programm 1962 mit den Worten: „Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen (...) nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist; weil uns dieses Ziel dazu dienen wird, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten herauszuholen und sinnvoll einzusetzen.“

Das ist auch für den jetzt bevorstehenden erneuten Aufbruch ins All eine gute Leitlinie. Wobei wir es uns nicht nur in technologischer Hinsicht schwer machen sollten, sondern vor allem in geistig-moralischer. Wir haben im All die Chance, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu beschreiten. Das erfordert größere Anstrengungen als die Fortschreibung des Status Quo, wird aber jede Mühe wert sein.