Vorratsdaten - aber das ist doch keine Überwachung

Teil 3: Datenspeicherung, Nutzung und Überwachung

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In ihrer fast 120 Seiten umfassenden Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung hat die Bundesregierung sich nur allzu deutlich demaskiert. Es lohnt sich, einigen Aspekten besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

In ihrer Stellungnahme zur VDS hat die Bundesregierung insbesondere die Kritik an der VDS gerügt. In unzulässiger Weise würden die Kritiker, namentlich ist der AK Vorrat erwähnt, den Begriff Überwachung verwenden und suggerieren, diese entstünde durch die VDS. Hierdurch, so die Bundesregierung, sei auch erst der Einschüchterungseffekt entstanden, der laut der durch den AK Vorrat initiierten Forsa-Umfrage entstanden ist.

§113a TKG stellt gegenüber dem vom Grundgesetz unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich ermöglichten, Artikel 10 Abs. 2 S. 1 GG, verschärften Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, der staatlichen Kenntnisnahme von Kommunikationsinhalten, also einen dreifach abgeschwächten Eingriff dar.

Die gespeicherten Daten betreffen keine Kommunikationsinhalte, §113a Abs. 8 TKG, zudem gelangen die fraglichen Daten überhaupt nur durch das Hinzutreten einer weiteren qualifizierten Befugnisnorm in den Kenntnisbereich des Staates, schließlich erfolgt die Speicherung als solche nicht heimlich.

Die Argumentation der Bundesregierung lautet also: Eine Speicherung von Daten führt nicht automatisch zur Überwachung, was soweit richtig ist. Doch dass eine solche Speicherung daher nicht auch zu einem Einschüchterungseffekt führen kann, ist kurzsichtig gedacht. Eine Datenspeicherung kann, sogar wenn sie nur simuliert wird, zu einer Verhaltensänderung führen. Gerade die fehlende Heimlichkeit ist hierbei wichtig. Dies ist letzen Endes das Panoptikum-Prinzip und auch die Logik, die sich hinter Videokameraattrappen verbirgt. Die Speicherung von Daten, zusammen mit dem Gedanken, dass auf diese Daten Zugriff genommen werden kann (was zu Sanktionen führen könnte), führt zu dem bei den Videokameras erwünschten Effekt der Verhaltensänderung.

Die Bundesregierung jedoch ist der Meinung, dass ein solcher Einschüchterungseffekt auch hätte vorher vorhanden sein müssen, da im Zuge privater Vertragsverhältnisse viele Daten gespeichert wurden, für die eine Zugriffsmöglichkeit nach §100g StPO bestand. Auf die Tatsache, dass viele Menschen erst durch die jahrelang andauernde Kampagnen der Bürgerrechtler, wie die des AK Vorrat, ein Bewusstsein für die Gefahren der zunehmenden Datenspeicherung entwickelt haben könnten, geht die Stellungnahme nicht ein. Doch gerade die „Datenskandale“ der letzten Jahre, die zunehmenden Schwierigkeiten, denen auch der Normalbürger durch die Datengier der Regierungen ausgesetzt ist (z.B. durch die stärkeren Kontrollen bei Flugreisen usw.) haben bei vielen Menschen erst dazu geführt, sich mit den Gefahren auseinanderzusetzen, die durch Maßnahmen wie die VDS entstehen könnten.

„Wirkungen, die aus politischen Kampagnen resultieren, sind nicht relevant“ urteilt die Bundesregierung recht lapidar und teilt mit, dass die Betroffenen sich ja jederzeit informieren könnten, welche Daten weshalb gespeichert werden, was die gesamte Regelung vorhersehbar mache. (Anmerkung: interessant hierbei ist, dass oftmals Kritik von der Politik als ein Zeichen dafür angesehen wird, dass man die eigentlichen Tatsachen nicht genug vermittelt hat. Hier setzt man also explizit auf die Wirkung von politischen Kampagnen – siehe EU-Vertrag.)

Angesichts der gesetzlichen Speicherpflicht von sechs Monaten besteht auch keine Gefahr, dass gespeicherte Daten durch die Einführung neuer gesetzlicher Zugriffsregelungen in einer Art und Weise verwendet werden, die für die Kommunikationsteilnehmer nicht voraussehbar ist. Im Regelfall können sich die Kommunikationsteilnehmer vielmehr darauf einrichten, unter welchen Bedingungen eine Datenabfrage rechtlich möglich ist.

Hier widerspricht sich die Bundesregierung letzten Endes selbst, indem sie einerseits feststellt, dass der Begriff „schwere Straftaten“ (den sie gerne zur Beruhigung der Kritiker nutzt) kein technischer Terminus ist und somit der recht freien Gestaltung unterliegt, andererseits aber die weitere Gestaltung quasi als transparent für jeden anpreist.

Ferner lässt man gerade die Verquickung von nationaler, europäischer und internationaler Gesetzgebung außer Acht – als Beispiele seien die Cybercrimeabkommen genannt. Für den Kommunikationsteilnehmer ist es, so er nicht tagtäglich eine Vielzahl von Stunden in die Informationserlangung investiert, kaum möglich, bei all diesen ineinander verflochtenen Regelungen noch die Übersicht zu behalten.

Kein Effekt durch die Speicherung allein?

Auch in der weiteren Argumentation pro VDS stellt man sich auf den Standpunkt, dass eine reine Speicherung noch keinen Effekt entfalten kann, lediglich die weitergehenden Zugriffsregelungen könnten dies. Auch, so die Bundesregierung, stelle die VDS keine Behinderung der Berufsfreiheit dar, da ja lediglich bestimmte Berufsgruppen bestimmten gesetzlichen Regelungen unterworfen werden. Hier wird dann erneut die Logik, dass die Daten ohnehin anfallen, bemüht.

In der nachfolgenden Begründung, in der die Bundesregierung wieder davon spricht, dass die Regelung grundsätzlich die Verhinderung und Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität an die Bedingungen moderner Telekommunikation anpassen soll (wohingegen sie andererseits argumentiert, dass „schwere Straftaten“ kein technischer Terminus ist und daher die Regelung diesbezüglich frei gestaltbar ist), zeigen die Fallbeispiele sehr deutlich, dass es hier nicht mehr um Schwerstkriminalität geht. So heißt es denn auch, dass ohne die Daten der VDS eine Verfolgung von z.B. Stalkingfällen ggf zunichte gemacht worden wäre. Die weiteren Fallbeispiele, die die Notwendigkeit der VDS belegen sollen, sind denn auch eine bunte Melange aus der bekannten „Sauerland-Gruppe“, aus Trickbetrug (Skimming), Diebstahl usw.

Zur Verdeutlichung dafür, dass es hier nicht mehr um „schwere Straftaten“, was auch immer dies sein mag, geht, sondern vielmehr gerade die Fallbeispiele belegen, dass hier Daten für alle Fälle gespeichert werden sollen (was dann auch wieder für einen Einschüchterungseffekt spricht, denn die von der Regierung gepriesene Transparenz bei der Verwendung der Daten zeigt sich hier nicht), seien abschließend nur zwei dieser Fallbeispiele genannt:

  1. In einem Verfahren der StA Stuttgart zu einem Überfall von zwei Tätern auf einen Homosexuellen, erfolgte die Absprache zwischen den Tätern, die sich zuvor an der gemeinsamen Arbeitsstelle grob über den Ablauf verständigt hatten, unmittelbar vor der Tatausführung über ihre Handys.
  2. In einem Verfahren der StA Cleve, das ebenfalls einen Einbruchdiebstahl (§§ 242, 243 StGB) betraf, wurde hochwertiges Golfzubehör entwendet und Einrichtungsgegenstände von erheblichem Wert zerstört. Einer der unbekannten Täter wurde von der Videoanlage gefilmt, wie er während der Tat mit einem Mobiltelefon telefonierte. [...]

Hier wird bereits klar, dass man letzten Endes auf die herkömmliche Ermittlungstätigkeit weniger Wert legt, sondern sich einfach auf die Verwendung von TK-Daten stützt, die (das wird aus diesen Fallbeispielen deutlich) gerade bei Einbruch, Körperverletzung, Diebstahl etc. lediglich dann eine Rolle spielen dürften, wenn sich die Täter allzu ungeschickt anstellen. Doch die Fülle der Anwendungsbeispiele zeigt auch, dass die TK-Daten hier zum Allzweckwerkzeug werden sollen. In ihrer Stellungnahme sieht die Bundesregierung sich als quasi unangreifbar an, demaskiert sich aber letzten Endes selbst.