"Oui, nous pouvons"

Sarkozy, die Rechten und der Rassismus

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"Yes, we can" hört sich auf jeden Fall "griffiger" an als die französische Übersetzung: "Oui, nous pouvons". Dennoch scheint der Slogan inzwischen auch in seiner französischen Variante zum durchsetzungsfähigen politischen Schlagwort geworden zu sein. "Oui, nous pouvons" war etwa das "Manifest für reale Gleichheit" überschrieben, das am 9. November in der französischen Sonntagszeitung JDD erschien und von einer Reihe von Prominenten unterzeichnet worden ist. Ihnen geht es um die "Förderung der Diversität", also darum, mehr farbige Franzosen und mehr Franzosen mit Migrationshintergrund auch an einflussreiche oder sichtbare Positionen gelangen zu lassen. Präsident Sarkozy hatte anschließend das Anliegen der Unterzeichner aufgegriffen: Kurz vor der Weihnachtspause verkündete Sarkozy in seiner letzten größeren Programmrede im vergangenen Jahr ein Maßnahmenbündel "zur Förderung der realen Chancengleichheit", ebenfalls im Namen der "Diversität". Surft die französische Politik nun "farbenfroh" auf der Obama-Welle? Hat sich das ganze Land zum Antirassismus bekehrt? Und ist der Rassismus, der in den letzten 20 Jahren – lange verkörpert durch Jean-Marie Le Pen – eine feste Größe in Frankreichs politischer Landschaft war, überwunden?

"Er ist jung, schön und immer dunkel (sonnen)gebrannt": Es klingt vielleicht auf den ersten Blick wie ein Kompliment. Aber spätestens auf den zweiten Blick handelt es sich um einen rassistischen "Witz". Nun ist man von dem, der ihn riss, ja einiges in Sachen "Herrenwitze" und anderer geschmackloser Sprüche gewöhnt. Denn der ihn aussprach, ist der amtierende italienische Premierminister Silvio Berlusconi - und der solchermaßen "Beglückte" ist der frisch gewählte, seit Dienstag vergangener Woche amtierende US-Präsident Barack Obama.

Die französische Präsidentengattin Carla Bruni-Sarkozy, die selbst italienischer Herkunft ist, wollte den Ausspruch des Premierministers ihres früheren Landes so nicht auf sich sitzen lassen. Sie erwiderte öffentlich auf den Schenkelklopfer Berlusconis, sie sei "vor allem glücklich, nunmehr Französin zu sein". Das bedeutete so viel wie, sie sei sich’s ganz zufrieden damit, nicht länger italienische Staatsbürgerin zu sein, da sie Französin geworden ist.

Der italienische frühere Staatspräsident Francesco Cossiga, der für seine ausgesprochen rechtslastigen Auffassungen bekannt ist, kofferte seinerseits unverzüglich zurück: "Wir sind auch froh, dass Frau Bruni nicht mehr Italienerin ist. Aber bei ihrem bewegten Leben weiß man nicht, ob sie nicht froh sein wird, eines Tages ihre italienische Staatsbürgerschaft zurück zu (v)erlangen."

Im Hintergrund steht, dass Carla Bruni sich - im Zuge der aktuellen Euphorie innerhalb der "ethnischen Minderheiten" über die erste Wahl eines "schwarzen" US-Präsidenten - für bessere Antidiskriminierungsregeln in der französischen Politik ausspricht. In einem Interview, das am 9. November in der französischen Sonntagszeitung JDD erschien, sprach sie sich entsprechend für das "Manifest für reale Gleichheit" aus, das von etablierten Persönlichkeiten auf der politischen Linken (Arnaud Montebourg) wie auf der bürgerlichen Rechten (Jean-François Copé, Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei UMP) unterzeichnet worden ist. Initiiert worden war das Manifest von Yazid Sabeg, einem Franzosen aus einer algerischen berberstämmigen Familie, der als Dienstleistungsunternehmer aktiv ist und zunächst dem früheren Präsident Jacques Chirac nahe stand. Just ihn hat Sarkozy Mitte Dezember zum "nationalen Beauftragten für die Förderung der Diversität" ernannt.

Das Manifest spricht sich dafür aus, die Wahl Obamas zum Anlass zu nehmen, endlich auch eine bessere - oder selbstverständlichere - politische Repräsentation so genannt "farbiger" und anderer Menschen in Frankreich zu fordern. Ihr Status als Präsidentengattin verbiete ihr, so Carla Bruni-Sarkozy, das Manifest zu unterzeichnen. Aber sie unterstütze es voll und ganz.

Offenkundig möchte auch Carla Bruni-Sarkozy mit auf der aktuellen Obama-Welle surfen. Dies mag durchaus auch ihren persönlichen Überzeugungen entsprechen, denn vor ihrer Heirat mit Nicolas Sarkozy stand die Sängerin Carla Bruni eher der (moderaten) Linken nahe und sprach sich gegen die Einführung von Gentests - als Voraussetzung für die Familienzusammenführung - im französischen Ausländerrecht im Herbst 2007 aus.

Allerdings steht dahinter sicherlich auch eine Kommunikationsstrategie ihres Präsidenten-Ehemanns. Sarkozy beweist nämlich nicht nur nach rechts hin Integrationskraft. Etwa durch die mehrfache Verschärfung der Ausländergesetze, und dadurch, dass er im vergangenen Jahr rund eine Million früherer Wähler/innen Jean-Marie Le Pens anzuziehen und, erstmals, dessen Stimmenanteil abzusenken vermochte.

Integrationskraft nach rechts

In der Vergangenheit war Nicolas Sarkozy nicht zimperlich, wenn es darum ging, ein rechtes bis rechtsextremes Wählerpotenzial anzusprechen und dessen autoritären, respektive rassistischen Gefühlslagen zu schmeicheln.

Am 22. April 2006 – auf den Tag genau ein Jahr vor der letzten französischen Präsidentschaftswahl, bzw. ihrem ersten Durchgang - machte der damalige Innenminister und sich warm laufende Kandidat Sarkozy mit einem "vorbelasteten" Spruch öffentlich Furor. Vor neu beigetreten Mitgliedern der Regierungspartei UMP - deren Vorsitz er damals inne hatte - in Paris rief er aus: "Wenn bestimmte Leute Frankreich nicht lieben, dann sollen sie sich nicht davon abhalten lassen, es zu verlassen." Ein Slogan, den zuvor rechtsradikale Politiker, aber griffiger formuliert, benutzt hatten.

In den 80er Jahren hatte zunächst Le Pen einen während der Reagan-Ära - ursprünglich seit dem Vietnamkrieg - durch die US-amerikanische konservative Rechte benutzten Slogan (America, love it oder leave it!) übernommen und auf französische Verhältnisse adaptiert. Das Ergebnis der "Übersetzung" lautete dann: Le France, aime-la ou quitte-la!" Aber während der US-amerikanische Slogan weniger der Propagierung des Rassismus als vielmehr der Einschüchterung der innenpolitischen Opposition während des Vietnamkriegs diente (nach dem Motto: "Geht doch rüber"), hatte die vom rechtsextremen Politiker Le Pen übernommene Parole von Anfang an eine klar rassistische Komponente. Sie sollte die Einwanderer und ihre Nachfahren darauf hinweisen, dass sie nicht ihren Platz in Frankreich hätten, falls sie dort nicht ruhig und angepasst blieben und gar eigene Forderungen stellten.

Sarkozys Antidiskriminierungspläne: Zweischneidiges Schwert

Aber ein erfolgreicher Politiker darf eben nicht nur nach einer Seite hin Integrationskraft beweisen. Nicolas Sarkozy stellte eine solche schon frühzeitig auch gegenüber Einwandererkindern, vor allem den sozial Bessergestellten und Höhergebildeten unter ihnen, unter Beweis.

Tatsächlich förderte Sarkozy in seiner Partei (UMP) und dann bei der Regierungsbildung 2007 auch Persönlichkeiten mit Migrationshintergrund. Erstmals erhielten solche Politikerinnen und Politiker so genannte Schlüsselministerien, beispielsweise wurde das Justizministerium mit Rachida Dati besetzt. Zwar hatte die französische Sozialdemokratie in den 80er Jahren mehr von der "Integration" von Einwandererkindern gesprochen als die Rechte (in ihrer bürgerlichen wie, natürlich, ihrer extremen Spielart). Aber in der damaligen Ära Mitterrand konnte ein schwarzer Franzose es bestenfalls – einem klassischen Cliché entsprechend, wonach Menschen mit schwarzer Hautfarbe Fähigkeiten in Sport und Musik, aber nicht im intellektuellen Bereich zugestanden werden – zum Sportminister bringen wie seinerzeit Roger Bambuck. Aber Justiz- oder Innenminister? Gott bewahre! Das würden die Wähler uns doch nicht verzeihen... "Die Sozialdemokratie hat vielleicht davon geträumt, Sarkozy hat es getan", um einen französischen Ausdruck abzuwandeln. Dass es dem rechten Politiker Sarkozy heute leichter fällt, Einwanderersöhne und –töchter in aussichtsreiche politische Positionen zu befördern, als die Sozialdemokraten es damals vermochten, hat freilich seine Gründe. Denn bei den Linksparteien (der Sozialistischen und der, zur Zeit Mitterrands noch einflussreichen, Kommunistischen Partei) schwang bei der Forderung nach Gleichberechtigung von Einwanderern immer auch die "soziale Frage" mit. Denn Zuwanderer wurden, vor allem während der Jahre des Wirtschaftsbooms – den in Frankreich so genannten "Trente Glorieuses" oder "Glorreichen 30 Jahren" nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur ersten Ölkrise 1973/74 -, vor allem auf den unteren Rängen in die gesellschaftliche Arbeitsteilung eingegliedert. Sie verrichteten (manuelle) Arbeiten, die den Franzosen nicht mehr zuzumuten waren, und erlaubten so auch manchen französischen Arbeiterkindern den Aufstieg in Facharbeiterpositionen oder den Weg an die Hochschule. Daraus resultierte eine soziale Position, aufgrund derer Einwanderer - wenn sie ihre Benachteiligung thematisierten – in aller Regel auch soziale Forderungen erhoben.

Nicht so jedoch bei der politischen Rechten. Denn dort wird die Integration von Einwandererkindern als Frucht individueller Leistungen, als Lob für besonders "verdienstvolle" Individuen aufgefasst. Das typische Beispiel für Sarkozys "Integrations-" und "Diversitätspolitik" in den vergangenen Jahren ist sein Spiel mit der Ernennung von Präfekten – hohen Beamten, die jeweils den Zentralstaat in einem französischen Département (Verwaltungsbezirk) vertreten – aus jeweils einer bestimmten Minderheit. Im Jahr 2004 tobte die Debatte um das Kopftuchverbot für moslemische Schülerinnen in öffentlichen Lernanstalten? Sarkozy (der die Verbotsdebatte nicht angestoßen hatte, sondern Chiracs Verbotsinitiative eher kritisch bis reserviert gegenüberstand) machte "der moslemischen Community" ein Angebot, indem er im März 2004 einen von ihm so genannten "moslemischen Präfekten" ernannte, bzw. als Innenminister seine Ernennung dem damaligen Präsidenten Chirac vorschlug.

Es handelte sich um Aïssa Dermouche, einen Sohn kabylischer – also berberisch-algerischer – Einwanderer, der bis dahin eine höhere Handelsschule in Nantes leitete und nun von Sarkozy zum Präfekten im französischen Jura ernannte wurde. Der Mann war freilich nicht aufgrund seiner unterstellten Religionszugehörigkeit, die er selbst nie in den Vordergrund rückte, für die höhere Beamtenlaufbahn ernannt worden. Sondern schlicht, weil er die Fähigkeiten dazu aufwies. Nach der von Sarkozy ausgelösten Debatte über den "moslemischen Präfekten" musste Dermouche im Frühjahr 2004 drei mutmaßlich rassistisch motivierte Brandanschläge auf sein Wohnhaus über sich ergehen lassen.

Der schwarze Präfekt

In jüngster Zeit nun hat Sarkozy sein Spiel wiederholt: Kaum war Barack Obama am 5. November von der US-Stimmbevölkerung ins Amt gewählt worden, kündigte Sarkozy – nun als Präsident – die Ernennung seines ersten "schwarzen Präfekten" an: Er setzte den kamerunischstämmigen Franzosen Pierre N’Gahane als Präfekten in den Hochalpen ein. Ihm folgte nun, im Dezember, die Ernennung des ersten Präfekten "mit Migrationshintergrund" im Département Seine-Saint-Denis – das ist dort, wo ein Gutteil der nord- und schwarzafrikanischen Einwanderer des Großraums Paris "unter proletarischen Verhältnissen" lebt. Neuer Präfekt in der Bezirkshauptstadt Bobigny wurde Anfang Dezember, der aus einer algerischen Immigrantenfamilie stammende Nacer Meddah .

Die große Frage ist nun freilich, ob eine solche Ernennung an der Lebenssituation der – überwiegend den sozialen Unterklassen angehörenden – Einwandererfamilien und sonstigen Bewohner in dem Trabantenstadtbezirk sehr viel ändern wird. Man darf es bezweifeln. Denn dass das konservative Lager ohne sichtbaren Widerwillen Sarkozys "farbenfrohe" Ernennungspolitik hinnimmt, hängt auch damit zusammen, dass selbige vom Aufwerfen der "sozialen Frage" weitgehend entkoppelt ist.

Lange Zeit ging diese Strategie bei Sarkozy mit einem Pläodyer für die Einführung "ethnischer Statistiken" einher. Dies bedeutet, dass man mit den Mitteln der Statistik messen soll, wie viele Schwarze, wie viele Arabischstämmige, wie viele "Asiaten" in welchen Sektoren der französischen Gesellschaft arbeiten oder auf Posten rekrutiert werden. Bislang verbietet das französische Recht, das auf dem Anspruch der universalistischen Geltung der "Werte der Republik" – ohne Unterscheidung nach Herkunft – beruht, solche spezifischen Erfassungen.

"Ethnische Statistiken"

Zwar ist dieser "republikanische Universalismus" tatsächlich in der Realität zur Heuchelei geworden - da er vorhandene Ungleichheiten und Diskriminierungen mit dem Anspruch, dass doch alle vor dem Gesetz gleich seien, überdeckt. Allerdings ist auch das Instrument der "ethnischen Statistiken", das angeboten wird, um Abhilfe zu schaffen, mindestens ein ausgesprochen zweischneidiges Schwert. Denn die Erfassung herkunftsbezogener oder gar "rassischer" Merkmale durch die amtlichen oder von Unternehmen erstellten Statistiken kann – je nach Fragestellung, die an die statistischen Messinstrumente oder die von ihnen gelieferten Daten gerichtet wird – sehr unterschiedlichen Zwecken dienen.

Auch Lobbyorganisationen einzelner Bevölkerungsgruppen, etwa die Schwarzenorganisation CRAN, erheben die Forderung nach solchen herkunftsbezogenen statistischen Erfassungen. Denn dem CRAN geht es darum, die Herausbildung einer schwarzen Elite zu fördern, und zeigt sich daher darum besorgt, zu wissen, wie viele Menschen schwarzer Hautfarbe sich unter den Psychiatern, den Direktoren von Unternehmen oder den leitenden Angestellten eines Medienunternehmens befinden. Aber wie brisant das Vorhaben unter anderen Aspekten ist, wird dadurch deutlich, dass Sarkozy sich im Februar 2006 dafür ausgesprochen hat, eine Erfassung "nach ethnischer Herkunft" auch unter Strafgefangenen in französischen Haftanstalten zu erheben. Würde dies erfolgen, so bestünden nur geringe Zweifel daran, dass ein überproportional hoher Anteil an Insassen aus Einwanderungsfamilien festgestellt würde.

Nur stellt sich die Frage, woran dies liegt – ob es mit einer stärkeren "natürlichen Kriminalitätsneigung" bestimmter Gruppen zusammenhängt oder aber mit der sozialen Situation dieser Gruppen, der Position vieler ihrer Mitglieder am unteren Rand der französischen Gesellschaft, respektive einem "strukturell angespannten" Verhältnis zur französischen Polizei. Die "ethnische Statistik" vermag nur eine Momentaufnahme "in Farbe" zu liefern, also die nach "ethnischer Zugehörigkeit" aufgeschlüsselte Verteilung von Positionen zu beschreiben.

Aber sie vermag keine Erklärung für gesellschaftlich bedingte Ungleichheiten zu liefern. Insofern droht sie unter Umständen sogar eher noch, bestehende Clichés zu befördern, statt zu helfen, sie aufzubrechen. Aus diesen Gründen sind antirassistische Organisationen ausgesprochen skeptisch gegenüber dem Instrument, das Nicolas Sarkozy seit Jahren zu fördern bestrebtist.

Das französische Verfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung vom 15. November 2007 die Durchführung "ethnisch" ausgerichteter Erfassung, als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der französischen Verfassung, verboten. Was freilich das Problem, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit eher von Ungleichheiten geprägt ist, auch noch nicht löst. Nicolas Sarkozy seinerseits hat erklärt, er wolle sich nicht an dieses Verbot halten, im Namen einer Politik "aktiver positiver Diskriminierung" zugunsten von Minderheiten. Auch wenn Letztere weitaus eher den Versuch beinhaltet, innerhalb jeder herkunftsbezogenen "Minderheit" eine eigene Elite herauszukristallisieren, die dann ihre je eigene Lobby bilden soll – und die "soziale Frage" tunlichst dahinter verschwinden zu lassen.

Im April 2008 hatte Sarkozy eine Kommission unter dem Vorsitz der früheren Gesundheitsministerin Simone Veil – einer großen alten Dame des französischen Liberalismus, die selbst dereinst im Alter von 17 Jahren nach Auschwitz deportiert war – eingesetzt. Diese sollte ihm konkrete Vorschläge für die Umsetzung der "positiven Diskriminierung" erarbeiten. Kurz vor der Programmrede des Präsidenten vom 17. Dezember zur "Diversitätspolitik", die Sarkozy in der Elitehochschule Ecole Polytechnique hielt, wurde ihm nun der Abschlussbericht der Kommission vorgelegt.

Dieser entspricht, stellte die Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Nummer vom 17. Dezember fest, nicht völlig den Erwartungen des Präsidenten. Denn die Kommission war darum bemüht, die Tür für eine spezifische Politik für einzelne "ethnische Gruppe" – die völlig von sozialen Faktoren losgelöst bliebe und sich vor allem auf herkunftsbezogene Elemente stützen würde – zu schließen, und nicht zu öffnen. So wird zwar der Herausbildung einer Bildungselite innerhalb bislang benachteiligter Bevölkerungsgruppen deutlich das Wort gesprochen. Allerdings nicht im Sinne einer Privilegierung eines einzelnen, auf Herkunft ("schwarzer Präfekt") oder gar religiöser Konfessionszugehörigkeit ("moslemischer Präfekt") beruhenden Kriteriums.

Die Besten aus den Problemzonen

Vielmehr sollen soziale und wohnortbezogene Kriterien eine Rolle spielen. Es soll also eine Abhilfe für die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur Bevölkerung einer besonders stark sozial benachteiligten und von Bildungsmöglichkeiten abgeschnittene Zone – etwa in bestimmten Banlieues französischer Ballungszentren – geschaffen werden. "Davon", so Le Monde, "würde nicht nur Hakim und Rachida profitieren", sondern "auch Eric und Isabelle würden nicht vergessen", also die Angehörigen und die Kinder der weißen Unterschicht. Diese lebt tatsächlich in den Banlieues mit den Einwandererkindern sehr vermischt, da es in Frankreich keine reinen "ethnischen" Wohnviertel – wie in den "Ghettos" US-amerikanischer Großstädte – gibt.

Um eine Elitebildung zu fördern, spricht der Kommissionsbericht – und Sarkozy in seiner Rede an der Ecole Polytechnique – sich für eine Erhöhung des Anteils von Schülerinnen und Schulen mit Stipendien in den "Vorbereitungsklassen", die nach dem Abitur für Elitehochschulen wie Polytechnique und ENA qualifizieren, aus. Dadurch, dass künftig mindestens 30 Prozent der Absolventen dieser qualifizierenden "Classes préparatoires" mit Stipendien ausgestattet sein sollen, soll auch den Sprösslingen von finanziell weniger begüterten Elternhäusern die Tür aufgehalten werden. Und spezielle "Förderinternate" sollen es Schülern von weit vom Stadtzentrum entfernten Banlieues ermöglichen, in den Kernstädten über eine Unterkunft zu verfügen und an den dortigen Bildungseinrichtungen zu studieren.

Es ist im positiven Sinne bemerkenswert, dass das zuvor dominierende "ethnische" Kriterium nun zugunsten einer Berücksichtigung der sozialen Benachteiligung – die Kinder aus Einwandererfamilien, aber auch aus französischen Unterklassenfamilien in den Banlieues trifft – aufgebrochen worden ist. Dennoch ist auch der Prozess, der dadurch angefacht würden, nicht ohne Risiken. Der Politologe Patrick Weil etwa ist der Auffassung, auch wenn das Vorhaben grundsätzlich begrüßenswert sei, so bestünde doch die Gefahr, dass durch die geplante Entfernung der "besten schulischen Elemente" aus den Banlieues die dort vorhandenen Bildungseinrichtungen mit ihren verbleibenden Schülern erst recht abgeschrieben würden. Auf Dauer wird es sicherlich keine wirksame Diskriminierungsbekämpfung geben, wenn die "soziale Frage" überhaupt nicht aufgeworfen werden soll.