"Weil wir ja alle Terroristen sind.."

Vergangenen Freitag verlor der palästinensische Arzt Izzeldin Abuelaish drei seiner Töchter und eine seiner Nichten bei einem israelischen Panzerangriff. Eine offizielle Begründung der israelischen Armee für den Angriff liegt nicht vor

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Sie haben Namen: Nour, 17 Jahre alt. Aya, 14 Jahre alt. Mayer, 15 Jahre alt. Bisan, 20 Jahre alt. Kurz vor dem von Israel angekündigten Waffenstillstand kamen sie im Gaza ums Leben. Israelische Panzergranaten trafen das Haus, in dem sie wohnten. Aya, Mayer und Bisan, waren die Töchter, Nour die Nichte von Izzeldin Abuelaish. Den Israelis ist der Palästinenser wohl bekannt: als Friedensaktivist – und als Arzt am Tel Aviver Krankenhaus Tel Ha-Shomer, an dem er israelische Patienten versorgt hat. Ein Telefongespräch mit dem 55-jährigen Familienvater.

Dr. Abuelaish, bitte beschreiben Sie uns die Lage Ihres Hauses.

Izzeldin Abuelaish: Es ist in der Stadt Jebalia, im Norden des Gaza-Streifens. Es ist außerhalb des Flüchtlingslagers, an der Salah el Din-Straße, das ist die Hauptstraße. Es ist eine neues, fünf Stockwerke hohes Haus. Alle kennen es… (Schluchzen)

Es ist also keine dicht besiedelte Gegend, in der man versehentlich Zivilisten treffen kann?

Izzeldin Abuelaish: Nein. Absolut nicht. Es sind nur ein paar Neubauten, nichts ist verwinkelt. Jeder, wirklich absolut jeder kennt mein Haus. Auch die Israelis wissen genau, welches das Haus des palästinensischen Doktors ist. Und sie wussten, als sie uns angriffen, dass wir alle zuhause sind.

Mehrere zerstörte Häuser in Gaza. Bildquelle: Al-Jazeera, Video. Rechte: Al Jazeera Creative Commons Repository

Warum haben die Israelis Sie angegriffen?

Izzeldin Abuelaish: (Schreit) Fragen Sie die das. Warum haben sie das gemacht? Warum? … Alle Soldaten wussten, wer wir sind und dass wir zuhause sind.

Dem israelischen Fernsehen zufolge, soll ein Heckenschütze geschossen haben – entweder von Ihrem Haus aus oder aus der Nachbarschaft.

Izzeldin Abuelaish: Wer soll das gewesen sein? Eine meiner jetzt toten Töchter? Die israelische Aggression ist nur noch blind und hasserfüllt. Sie richtet sich gegen das gesamte palästinensische Volk, nicht gegen die Hamas. Sie richten ihre Waffen auf uns, sie richten ihre Waffen auf UN-Flüchtlingsschulen… Was haben Ihnen meine wunderschönen Töchter getan?

Sie haben also von offizieller israelischer Seite keine Begründung für den Angriff erhalten?

Izzeldin Abuelaish: (Lacht) Eine offizielle Erklärung?

Wer war alles in dem Haus?

Izzeldin Abuelaish: Es besteht aus fünf Stockwerken, in denen meine Brüder und ich Wohnungen haben. Wir waren 18 Menschen in dem Haus. Meine Wohnung liegt im zweiten Stock.

Eine meiner sechs Töchter ging ihre Tante besuchen, meine beiden Söhne waren in einem Raum, in einem anderen Raum waren vier meiner Töchter und zwei Nichten, die uns besuchen kamen. Die Mädchen waren gerne untereinander, um zu quatschen und.. wie Mädchen eben so sind… Wir haben Pläne gemacht. Wir wollten nach Kanada auswandern. Deshalb haben sie alle fleißig gelernt. Sie wollten als Beste abschneiden.. für ihre Zukunft.

Ich ging für eine Sekunde hinaus, um meine Jüngste zu Bett zu bringen – meine Frau ist vor kurzem an Krebs verstorben… Es war nur eine Sekunde, plötzlich (Schluchzen)

gab es eine gewaltige Explosion. Ich stürzte zurück und der ganze Raum war voller Körperteile. Überall Körperteile…

Möge das diese Kriegsverbrecher, diesen Olmert bis ans Ende ihrer Tage verfolgen! (Pause)

Mein Bruder stürzte aus dem ersten Stock herauf. Meine zweite Nichte, Ghaida, sie ist 12 Jahre alt, ist schwer verletzt. Sie wurde am Kopf, am Nacken und am Gehirn verletzt und liegt auf der Intensivstation. Meine vierte Tochter, Shada auch… sie hat immer bei Kerzenlicht gelernt… Mein Bruder ist verletzt und schwer traumatisiert.

Gaza: Erst ausgehungert, jetzt zerbombt

Ihre verletzten Angehörigen wurden von den Israelis in das Tel Aviver Krankenhaus transportiert, in dem Sie praktiziert haben. Das ist ungewöhnlich, nur wenige Palästinenser erhalten eine solche Behandlung.

Izzeldin Abuelaish: Denken Sie, das war eine humanitäre Geste von denen? Ich habe jeden, der sich meiner Familie nähern wollte, angeschrieen: Rührt sie nicht an! Keiner fasst sie an!!.. Ich habe geschrieen und darauf bestanden, dass sie in das Krankenhaus in Tel Aviv gebracht werden, wo ich weiß, dass sie versorgt werden. Die Zustände an den palästinensischen Krankenhäusern sind ein Albtraum, zum Teil gibt es seit Tagen keine adäquaten OP-Instrumente mehr. Fast alle Fensterscheiben sind zersplittert und draußen sind es fünf Grad.

Gaza. Bildquelle: Al-Jazeera, Video. Rechte: Al Jazeera Creative Commons Repository

Sie standen während des gesamten Krieges einem israelischen Privatsender als Interviewpartner zur Verfügung, um über die humanitäre Situation zu berichten. Wie ist diese?

Izzeldin Abuelaish: Gaza war schon vor dem Krieg tot. Keine Elektrizität, kein Wasser, kein Gas, kein Telefon. Meine Töchter lernten bei Kerzenschein. Bisan hätte in wenigen Monaten ihren Abschluss an der Universität machen sollen.

Was im Gaza los ist? Schon in der Früh warten Hunderte vor den Bäckereien auf etwas Brot. Dabei leiden die meisten schon seit langem unter Blutarmut, weil sie zu wenig Fleisch, Milch und Gemüse bekommen. Obendrein verweigert Israel den Schwerkranken die Ausreise aus dem Gaza. Aus „Sicherheitsgründen“. Weil wir ja alle Terroristen sind, vor allem unsere Alten und Frauen und kleinen Kinder. Außerdem verbietet Israel seit Juni 2007 die Einfuhr bestimmter Materialien wie Zement und Geräte. Deshalb können auch die Krankenhäuser, die zwar Medizin erhalten, ihre Geräte oder Bausubstanzen nicht reparieren oder sanieren. Dann noch die Benzinknappheit – Ambulanzen können nicht mehr fahren, Dialysemaschinen fallen reihenweise aus.

Gehen Sie und sehen Sie es sich an… Im Gaza gibt es kein Leben mehr. Meine Mädchen haben nur ein Minimum an Wasser getrunken.