Supermann gegen Hitler

Die Ratten, das sinkende Schiff und das heilige Deutschland - Tom Cruise spielt Graf Stauffenberg

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"God promised Abraham that he would not destroy Sodom unless he could find ten righteous men... I have a feeling that for Germany it may come down to one." Der Ton ist hoch, die Ostfont weit in "Operation Walküre. Das Stauffenberg Attentat" (im Orginal "Valkyrie") Hollywoods Aneignung des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944. Meist ist die Leinwand düster, die Farben entsättigt bis zu jenem blaugrauen Grundton, mit dem nicht nur im deutschen Fernsehen gern die schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte farblich markiert werden, auch wenn Wehrmachtsuniformen eine geringere Rolle spielen als hier. Der größte Vorteil dieses Films ist: Man hat viel Schlimmeres befürchtet. Und an all dem gemessen ist "Valkyrie" eine positive Überraschung: Denn, ja, der Film ist weitaus weniger peinlich, als man erwarten musste. Er ist das trotz Tom Cruise in der Stauffenberg-Rolle. Daher die erleichterten Reaktionen aus den USA und in ersten deutschen Kritiken. Ist "Valkyrie" deswegen ein guter Film? Nein. Nicht wirklich.

Alle Bilder: Fox

Aber zunächst mal hier für jene Filmfreunde, die sich die Spannung nicht nehmen lassen möchten, eine Spoilerwarnung. Wer jetzt weiterliest, erfährt wichtige Details des Plots, also: Bitte nur auf eigene Gefahr! Wir müssen nämlich verraten, dass Hitler das Attentat überlebt. Und Stauffenberg wird am Schluß hingerichtet. So ein Mist, selbst der gefühlt zehnte Leinwand-Stauffenberg hat versagt, selbst ein Tom Cruise hat es nicht geschafft, Hitler zur Strecke zu bringen. Dabei hat Cruise doch schon so lange geübt. Quasi seit dem Sandkasten, und immerhin ist er jetzt 46. Bereits im Alter von sechs Jahren, so ließ Cruise schon vor Monaten eine erschütterte Welt via Boulevardpresse wissen, habe er auf das Attentat gegen den Führer hingearbeitet.

"Ich wollte Hitler töten" - diesen Satz, vor Monaten bereits Schlagzeile, wiederholte Cruise auch jetzt bei der Europapremiere des Films gebetsmühlenartig wieder. Und berichtete von Tagträumen als Kind, in denen er sich bereits vorgestellt habe, gegen das Böse namens Hitler zu kämpfen. "Ich wollte Hitler töten" - wenn ein Kind so etwas tatsächlich sagt, mag das ein Beispiel von infantilem Wahnsinn sein und ein Fall für den Kindertherapeuten. Aber jetzt ist er ja irgendwie schon erwachsen. Zu spät.

Noch zwei, drei Versuche, dann wird's schon klappen

Andererseits: Schon schade, dass Tom Cruise 1944 oder gar 1933 noch nicht am Leben war, er hätte es bestimmt geschafft. Denn an ihm liegt es wirklich nicht, dass es wieder schief geht. Es ist wie bei einem Videogame, wo man immer wieder an der gleichen Stelle scheitert. Noch zwei, drei Versuche und es wird irgendwann schon klappen. Auch an Stauffenberg hat's nicht gelegen, dass macht Bryan Singers Film klar: "Findet sich da drüben im Führerhauptquartier kein Offizier, der das Schwein mit der Pistole umlegt?" Als er dann selbst vor Ort war, hatte er nur noch drei Finger, die anderen liegen irgendwo im Wüstensand von Tunesien.

Denn so geht es los: Am Anfang kracht und scheppert es erstmal, wie man es von einem anständigen Nazifilm, zumal aus Amerika gewohnt ist. Diesmal nicht leidende Deutsche im Bombenkeller, sondern Fliegerangriff beim Afrikakorps. Gerade wollte Stauffenberg noch wieder mal kess über den Führer schimpfen, da kommen die nervigen Engländer und unterbinden jeden Widerstand schon im Ansatz. Bomben, MG-Salven, umherfliegende Autos, Feuer und am Ende sieht der eben noch ganze Tom Cruise aus wie Lord Nelson, beziehungsweise Stauffenberg - und die Attentatsplanung kann beginnen.

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Dieser Auftakt mag Hollywoods erprobter Actionlogik folgen, hat jedoch zumindest den großen Nachteil, dass er seinen Helden gleich zu Anfang schwächt, indem er jene zumindest einseitigen Interpretationen unterstützt, nach denen der historische Stauffenberg ein folgsamer Nazi war, der erst durch seine Verwundung zum Widerständler mutierte.

Graf Dracula lässt grüßen

Jetzt sieht man ihn in Deutschland, vorzugsweise mit brütendem Gesichtsausdruck mit gekräuselter Stirn, wie ihn Cruise immer hat, wenn er ernst gucken will; sieht ihn noch im Krankenbett zum Äußersten entschlossen. Aber da dies ein Film von Bryan Singer ist, der ja schon zwei gute und eine schlechte Comic-Verfilmung verantwortet, darf man, ohne dem Herrn zu nahe zu treten, auch für einen Augenblick an Comic-Superhelden denken.

"Ich bin die Sache genau wie 'X-Men' angegangen." sagt Singer selbst. Zum Standardtopos des Superhelden (wie des Superschurken) gehört nämlich das Motiv der physischen Veränderung: Batman oder Spider-Man verschmelzen sogar mit avancierter Technik. Wenn Stauffenberg/Cruise hier sein funkelndes Glasauge bedeutungsschwer zwischen den Fingern rollt, es später gar in ein Whiskeyglass tunkt - ist das nicht ein Motiv aus einem anderen Genre? Vielleicht sogar eines aus mehreren. Denn es ist auch einfach gruselig, ein Motiv aus dem Horrorkino. Ein mythisches Bild, wenn sich der Held selbst ins Auge blickt. Stauffenberg als Phantom?

Das passt auch zur übrigen Bildsprache: Düstere Szenerien, entsättigte Farben, ununterbrochen pathetische Orchestermusik, die von Suspense, Heldentum und Opfermut kündet, und gelegentlicher Gewitterdonner, der schicksalsschwer in die Bilder hineinschlägt - fast schon wie in einem alten B-Horrorfilm. Graf Dracula lässt grüßen.

Hackenschlagen und gewichste Stiefel, aber keine Erregungsschauer

Doch der lange Film über das Töten handelt ja nicht von untoten Vampiren, sondern von der noch höchst lebendigen deutschen Geschichte. In seiner Inszenierung und Bildsprache ist der Film zumindest viel besser als "Der Untergang". Die Stereotypen der Nazi-Ästhetik werden vermieden, es gibt zwar viel Hackenschlagen und gewichste Stiefel, aber keine Erregungsschauer beim Nachäffen von Riefenstahl-Bildern. Dazu ist Singer zu nahe am Comic, dazu ist er sich der eigenen Bildsprache zu sicher.

Brav und in den reinen Fakten ziemlich präzis, erzählt der Film die Ereignisse vom 20.7.44 nach. Brav und präzis heißt aber noch lange nicht gut. Im Berliner "Tagesspiegel" erklärten die Historiker und Widerstands-Experten Peter Steinbach und Johannes Tuchel am, Dienstag, den 20. Januar 2009, der Film liefere "ein flaches und falsches Bild" der Ereignisse und sei "ein Rückfall in längst überwundene Geschichtsbilder". "Historische Realität erschöpft sich nicht in korrekt sitzenden Uniformen und in der Nutzung historischer Schauplätze. Im Gegenteil: Der Film vernachlässigt die Motive, Dimensionen, Vielfalt, Dynamik und auch Widersprüchlichkeit des Widerstands in gradueller Steigerung und zeitlicher Entwicklung - eine dramatische Geschichte wird im Ergebnis fast bis zur Unkenntlichkeit reduziert."

Natürlich ist "Valkyrie" keine historische Dokumentation, sondern ein Spielfilm. Und natürlich hat jeder Film das Recht, seine eigene Geschichte zu erzählen, ein historisches Ereignis zu vereinfachen. Nichts, aber auch gar nichts ist daher zu sagen gegen das Reich der Fiktion, und wenn dabei ein guter Film rauskommt, sollen sie meinetwegen Hitler auch umbringen dürfen. Aber das Missverständnis der sogenannten Filmer "reiner Unterhaltung" besteht immer wieder darin, dass sie in den historischen Fakten nur Material und beliebig verschiebbare Kulissen sehen, nicht erkennen, dass diese selbst ein dramatisches Material enthalten, und es deren Kunst wäre, dieses auszuschöpfen - so sind Shakespeares Stücke in vielen Einzelheiten auch keineswegs korrekt. Aber sie stimmen im Ganzen, und sind überdies richtig gut erzählt.

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Und wenn man jetzt am liebsten schon mal ausführlich schreiben möchte, dass da im Ergebnis vieles schief ist an dem Bild, das "Valkyrie" von diesem Abschnitt deutscher Geschichte zeigt, dann geht es gar nicht, wie der verehrte Claudius Seidl in der FAS schrieb, darum, "dem Drehbuch den einen oder anderen angeblichen Fehler im historischen Detail nachzuweisen", sondern es geht darum, denjenigen zu widersprechen, die jetzt eben behaupten, der Film zeige ein authentisches Bild des tatsächlichen Geschehens und habe ganz und gar keine Fehler im historischen Detail. Auch Leopold von Ranke war ein guter Erzähler und trotzdem ein guter Historiker. Bryan Singer möchte Letzteres gar nicht sein, ihm genügt es, als guter Erzähler durchzugehen, und zwar weniger als Thomas Mann, eher als Bram Stoker, der ja auch ein Fall für die Literaturgeschichte ist, aber eben dann vielleicht doch nicht für den Nobelpreis.

Eichhörnchen mit Augenklappe

"Valkyrie" nun funktioniert weder als Thriller, dafür gibt es zuwenig Suspense - und Gedröhne ist nicht dasselbe -, und man weiß von Anfang an, wie es ausgeht, noch wird er der Komplexität der historischen Ereignisse gerecht. Beides hat nichts damit zu tun, dass hier ein Haufen Nazi-Offiziere als Hollywoodhelden gezeigt werden, und vielleicht ist es auch nicht so schlimm, dass man das Ergebnis kennt - auch "Der Schakal" hat einen Terroristen zum Held, und man weiß, dass De Gaulle nicht durch ein Attentat ums Leben kam.

Verschenkt wird nicht zuletzt die Heldenfigur: Der Film zeigt Stauffenberg als einen nie an seiner Mission - der Rettung Deutschlands und Europas - zweifelnden Überzeugungstäter. Der Stauffenberg, der zur Zeit des Kriegsbeginns noch an Hitlers Endsieg glaubt, wird nicht gezeigt, ebensowenig der Aristokrat und George-Kreis-Anhänger, der polnische Gefangene in seinen Briefen einst als "willige und geeignete Arbeitskräfte für Deutschland" bezeichnet hatte. Hat es eine Figur wie Stauffenberg denn überhaupt nötig, dass man sie einseitig heroisiert und wichtige Abschnitte ihrer Biographie unter den Tisch fallen lässt. Wird hier der Hitler Attentäter nicht eher beschädigt, wenn man ihn seiner Komplexität beraubt? Und was richtet ein solches Bild auf Dauer in den Köpfen der Zuschauer an?

Stauffenberg müsste nicht das Zentrum des Film sein, soll es aber. Ein Superheld gegen Hitler. Um so schwerer wiegt, dass Cruise dieses Zentrum als Mann ohne Eigenschaften spielt und so zur leeren Mitte werden lässt. Es sind ein bisschen zu abgestandene Bühnenrequisiten, auch wenn Stauffenbergs Augenklappe ja historisch ist. Cruise vor dem Spiegel, das ist dann doch nicht Stauffenberg, sondern ein Eichhörnchen mit einer Augenklappe.

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Der Fall Tom Cruise ist ja besonders speziell: Er war selbst zu seinen erfolgreichsten Zeiten nie der Allerbeliebteste, konnte den populärsten Massenstars wie Bruce Willis oder Robert de Niro nicht das Wasser reichen. Sein Verhältnis zu den Medien war auch selten unproblematisch - wer hätte nicht noch das peinliche Sesselhupfen bei Oprah Winfrey vor Augen? -, und in Deutschland ist sein Image im Gegensatz zu den Staaten noch zusätzlich stark durch seine Scientology-Mitgliedschaft belastet. Zuletzt kamen die Misserfolge seiner Filmprojekte hinzu. Mit anderen Worten: Cruise hat gute Presse und gute Kasse dringend nötig, und was eignete sich dafür besser als "Valkyrie" von "Superman"-Regisseur Bryan Singer - als die Rolle eines Widerständlers, der die Welt per Attentat vom Erzschurken Hitler befreien wollte, der zum Märtyrer des besseren Deutschland wurde und nebenbei den radical Chic eines blaublütigen Wehrmachtsoffiziers ausstrahlt?

Diese Instrumentalisierung ist ein wenig zu sehr zu spüren. Und auch wenn Cruise nicht unbedingt etwas dafür kann, dass merkwürdige Leute wie der bizarre Florian Henckel von Donnersmarck Elogen auf ihn schreiben, müsste er sich seiner Wirkung etwas bewusster sein.

Der 20. Juli als Werk nur eines Mannes - das ist historisch falsch und funktioniert auf der Leinwand doppelt und dreifach nicht. Wenn schon, dann hätte Singer seinem Stauffenberg mehr von Magneto geben müssen, mehr Dopelbödigkeit, mehr Ahnung von dem Teufelspakt, den auch er längst eingegangen war. Und im Gegensatz zu seinem Mutanten-Comic "X-Men" zeigt Singer hier nun kein Bild der Konzentrationslager, motiviert er das Verhalten seiner Figuren nicht durch den Kontext, der zum Widerstand gehört.

Nur die Ratten, die das sinkende Schiff verlassen?

Noch schwerer wiegt, dass dieses Bild in "Valkyrie" fast in eine Art neuer Dolchstoßlegende mündet: Im Felde unbesiegt sind die preußisch-aristokratischen Militärs auch in diesem Film. Wenn man da nicht blöderweise die ausweichenden, unentschlossenen, feigen, zaudernden Bürgerlichen, Politiker und Zivilisten gebraucht, dann, ja dann… Die militärische Opposition von der zivilen zu trennen, ist politisch wie moralisch frech, und es ist rechte Propaganda. Es lenkt auch davon ab, dass der größte Teil der deutschen hohen Generalität treu zu Hitlers Fahne stand.

Der Film zeigt die Zerrissenheit zumindest innerhalb der Generäle dann übrigens doch ganz gut, in einigen seiner Figuren. Brillant ist der Auftritt von Tom Wilkinson in der Rolle des eingeweihten, aber unbeteiligten General Friedrich Fromm. Er spielt einen Menschen, an dessen Gesicht man ablesen kann, wie er fortwährend seine Chancen kalkuliert.

Im Film fällt einmal der Satz: "Ihr seid doch nur die Ratten, die das sinkende Schiff verlassen." Da ist etwas dran, und es spricht für den Film, dass er diesen Satz enthält. Das sinkende Schiff ist ein Schiff namens "heiliges Deutschland". Was "die Männer des 20.Juli" - hatten sie keine Frauen? - interessant macht, ist gerade, dass sie zu Verrätern wurden. An ihrem Eid, ihren eigenen Idealen. Da haben Stauffenberg und die Anderen mit der RAF tatsächlich mehr gemeinsam, als beiden und vielen Beobachtern lieb ist.

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Der Film zeigt, dass es gute Verräter geben kann. Kann. Er zeigt, dass Individuen interessanter sind, nicht nur für das Kino, als Stereotypen. Und dass die Abgründe von Individuen nie ganz auszuleuchten sind - nicht von Psychologen und von Historikern schon gar nicht, die sich selbst darüber streiten, und in gewissem Sinn natürlich zu Recht, ob Stauffenberg am Ende nun das "heilige" oder das "geheime" Deutschland gerufen habe.

Am Ende zählt die Tat

Das alles wäre gar nicht nötig. Man muss sich auf manche Debatten gar nicht einlassen. So kompliziert wie es manche machen, liegen die Dinge beim 20. Juli nämlich gar nicht. Egal, wie sympathisch einem Stauffenberg und manche andere der Verschwörer sind, egal, wie nationalkonservativ ihre Gesinnung, egal wie spät sie sich zur Tat entschlossen, egal, wie sehr es sich hier aus historischer Sicht möglicherweise nur um einen "innersystemischen" Putsch handelte - sie hatten im Gegensatz zu vielen anderen die Möglichkeit, sie haben es im Gegensatz zu vielen anderen gemacht. Am Ende zählt nur die Tat. Und da ist der 20.Juli tatsächlich nahe an Hollywood: Die Tat macht den Helden.