Wandel oder Werbung?

Die CSU wirbt mit einer Befürwortung "fakultativer" Volksentscheide zu "grundsätzlichen" Europafragen. Wie viel solche Referenden nach einer Ratifizierung des Lissabon-Vertrages noch wert wären, ist allerdings offen

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In der CSU geht die Angst um, dass die Regionalpartei nach den Wahlen am 7. Juni nicht mehr im Europaparlament vertreten sein könnte. Eine Ursache für diese Befürchtungen liegt im seit mehreren Jahren zurückgehenden Stimmenanteil der Partei, die bei der Landtagswahl im Herbst auf nur mehr 43,4 Prozent kam.

Bei den Europawahlen 2004 hatten die CSU 57,4 Prozent der Stimmen im Freistaat auf acht Prozent bundesweit gebracht. Welches Ergebnis 2009 für ein Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde und den damit verbundenen Einzug ins Europaparlament reicht, das hängt auch von der Wahlbeteiligung in den anderen Bundesländern ab. Und weil am 7. Juni zwar in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland Kommunalwahlen stattfinden, aber in Bayern nicht, wird davon ausgegangen, dass die Wahlbeteiligung im Freistaat deutlich niedriger sein könnte als dort – was den für einen Einzug notwendigen Stimmanteil in dem einzigen Bundesland heraufsetzen würde, in dem die CSU antritt.

Der Effekt, dass Stammwähler ihre Unzufriedenheit mit der EU und dem Lissabon-Vertrag durch ein Fernbleiben ausdrücken, könnte zwar bundesweit und bei allen großen Parteien auftreten, aber für die CSU hätte er potentiell die stärksten Konsequenzen. Genährt wird diese Unzufriedenheit möglicherweise auch durch die Liste für die Europawahl: Dort soll die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, die vor einigen Jahren nach einer Reihe von Affären aus dem Kabinett flog, den Bezirk Oberfranken vertreten, was nicht nur für ethnische Spannungen sorgte.

Auch die Hoffnung, dass die gut 10 Prozent der Stimmen, welche die Freien Wähler bei den Landtagswahlen und in Umfragen danach erreichten, bei der Europawahl zu einem großen Teil an die CSU fallen, könnte sich als trügerisch erweisen: Zum einen sieht es derzeit danach aus, dass sich die Bundesversammlung dieser Gruppierung im Februar für eine Wahlteilnahme entscheiden wird, zum anderen gibt es am 7. Juni voraussichtlich zusätzliche Konkurrenz von der lagerübergreifenden Plattform Libertas, die europaweit antreten will.

Die vom irischen Lissabon-Gegner Declan Ganley ins Leben gerufene Initiative fordert Volksabstimmungen in allen Ländern und ein Eindampfen des Vertrages auf höchstens 25 allgemeinverständlich formulierte Seiten. Ihr Wahlslogan lautet: "For those who weren’t given a vote on the Lisbon Treaty, this will be their referendum”.

In Osterreich wird möglicherweise der parteifreie EU-Parlamentarier Hans-Peter Martin für Libertas antreten, der 2004 mit seiner Liste zwei der insgesamt 18 Landessitze errang. Mittlerweile mehren sich auch die Gerüchte, dass CSU-Politiker für Libertas kandidieren könnten. Mit Abstand prominentester der dabei genannten Namen ist der von Peter Gauweiler, der nicht nur die Verfassungsklage gegen den Vertrag von Lissabon anführt, sondern auch als einer von 11 Abgeordneten der Koalitionsparteien gegen die Vorratsdatenspeicherung stimmte. Allerdings gab das Berliner Büro Gauweilers Telepolis die Auskunft, das man dort zwar ebenfalls gehört habe, dass Libertas plane, bezüglich einer Kandidatur zur Europawahl an den Abgeordneten heranzutreten – allerdings wisse man nichts von konkreten Kontakten und glaube zudem, dass Gauweiler in der CSU bleiben wird, weil er entsprechende Angebote "in der Vergangenheit auch immer abgelehnt hat."

Offenbar auch angesichts solcher Konkurrenzerwartung erklärte der neue CSU-Parteichef Horst Seehofer in Kreuth, es sei "zeitgemäß" die Bevölkerung an "grundsätzlichen" Entscheidungen zur EU zu beteiligen". Eine einheitliche Position dazu gebe es zwar noch nicht, man wolle sich aber bis Ende Februar auf eine solche verständigen. Möglich seien Befragungen in Bayern zum Verhalten der Vertreter der Landesregierung im Bundesrat sowie bundesweite und europaweite Abstimmungen. Letztere, bei denen die Einzelergebnisse der Mitgliedsländer keine Bedeutung haben sollen, werden vor allem von den Europapolitikern der Partei bevorzugt.

Allerdings ist aus mehrerlei Gründen fraglich, ob ein Beschluss zur Befürwortung von Volksabstimmungen zu "grundsätzlichen" EU-Fragen wirklich in relevanten Mitspracheerweiterungen enden wird: Zum einen ist bisher nur von "fakultativen" – also rein optionalen - Volksentscheiden die Rede. Initiativmöglichkeiten fehlen in der parteiinternen Debatte bisher ebenso wie verpflichtende Kriterien. Auf dieser Grundlage würde es letztlich im Ermessen der Regierung stehen, wann sie eine Volksabstimmung zulässt und wann nicht. Auch die Kriterien dafür, was "grundsätzliche" EU-Entscheidungen sind und was nicht, sind im Bedarfsfall extrem dehnbar. CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg ließ bereits durchblicken, dass die Aufnahme neuer Mitgliedsländer nicht darunter fallen könnte.

Darüber hinaus würden solche Volksentscheide nach einer Ratifizierung des Lissabon-Vertrages, zu der sich die Partei auch in ihrem neuen Positionspapier "Bürgerliche Politik für Deutschland" ausdrücklich bekennt, möglicherweise zu spät kommen, weil EU-Organe dann praktisch nach Belieben Kompetenzen an sich ziehen und Regeln verändern können. Und durch den weitgehenden Verzicht auf die Einstimmigkeitsvoraussetzung in der umbenannten EU-Verfassung hätten Referenden möglicherweise auch dann keine Auswirkung, wenn sie die deutschen Vertreter in den EU-Gremien binden würden.

Nicht zuletzt dürfte auch die klare Ablehnung solcher Pläne durch die möglichen Koalitionspartner im Bund dafür sorgen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine reine Wahlwerbemaßnahme bleiben. Sowohl SPD als auch CDU lehnen Volksentscheide zu EU-Themen kategorisch ab. In der Schwesterpartei machten dies nach Seehofers Äußerung nicht nur Peter Hintze, Hans-Gert Pöttering und Norbert Lammert, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel deutlich, die dazu das Bild eines Volksentscheides über die Milchquote heranzog. Selbst wenn die Forderung in eine Willenserklärung der beiden anderen Parteien mit aufgenommen werden würde, deutet viel darauf hin, das dies in absehbarer Zeit nicht zu Resultaten führt: Bereits der Koalitionsvertrag von 2005 sprach von einer "Prüfung" der Einführung bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide, ohne dass bis jetzt etwas in dieser Richtung geschehen wäre.