Bolivien neu gegründet

Neue Verfassung für das südamerikanische Land wurde am Sonntag angenommen, Großgrundbesitz wurde eingeschränkt

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Gut 60 Prozent der bolivianischen Bevölkerung haben am Sonntag einer neuen Verfassung für das südamerikanische Land zugestimmt. Das geht aus privaten Nachwahlbefragungen hervor. Deren Resultate decken sich mit den Wahlprognosen. Drei Jahre nach ihrem Amtsantritt hat sich die linksgerichtete Regierung von Präsident Evo Morales damit durchgesetzt. Mit dem neuen Grundgesetz werde die bolivianische Nation "neu gegründet", sagte der indigene Staatschef am Wahlabend vor tausenden Anhängern im Zentrum von La Paz, dem Regierungssitz des Landes.

"Heute entsteht ein neues Bolivien mit Chancengleichheit für alle Bolivianer", sagte Morales auf dem zentralen Murillo-Platz vor dem Präsidentenpalast in La Paz. Der "Kolonialstaat" gehöre damit der Geschichte an. Seinen Anhängern dankte er für die Unterstützung.

Der bolivianische Präsident Morales feiert seinen Erfolg: Bild: ABI

Das neue Grundgesetz wurde von einer verfassunggebenden Versammlung zwischen 2006 und 2008 ausgearbeitet. Es soll einen besseren sozialen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen garantieren. Vorrangiges Ziel ist es, die indigene Bevölkerungsmehrheit von den natürlichen Ressourcen des Landes - vor allem Erdgas - profitieren zu lassen.

Politisch werden die 36 indigenen Volksgruppen des Landes als unabhängige "Nationen" anerkannt. Auch die traditionellen Rechtsprinzipien der indigenen Gemeinden werden offiziell anerkannt. Die Richter des Obersten Gerichtshofes werden in Bolivien künftig gewählt und nicht, wie bisher, vom Präsidenten ernannt. Zudem wird sich Morales nach Ende seiner Amtszeit erneut um das höchste Staatsamt bewerben können. Bislang waren zwei aufeinander folgende Amtszeiten nicht erlaubt.

Gut 3,8 Millionen Bolivianer waren am Sonntag zur Abstimmung über eine neue Verfassung aufgerufen. Das Referendum fand nach einem jahrelangen Streit statt. Während die linksgerichtete Staatsführung unter Präsident Evo Morales für eine grundlegende Staatsreform zugunsten der indigenen Bevölkerungsmehrheit eintrat, versuchten oppositionelle Gruppierungen bis zuletzt, die Volksabstimmung zu verhindern.

Abstimmung in El Alto. Bild: ABI

Weiter Widerstand gegen den Reformkurs erwartet

Die Gegner der neuen Verfassung werden sich wohl auch nach ihrer Niederlage bei dem Referendum nicht zufrieden geben. In vier der insgesamt neun "Departamentos" (Provinzen) des Landes stimmten die Bewohner nach bisherigen Erkenntnissen gegen den Text des neuen Grundgesetzes. Einen Spitzenwert erreichte die Ablehnung in Santa Cruz, wo die Opposition gegen die linksgerichtete Morales-Regierung besonders aktiv ist. In diesem Landesteil sprachen sich Agenturberichten zufolge 72 Prozent gegen die Verfassungsreform aus. Ähnliche Ergebnisse werden auch aus den übrigen oppositionellen Provinzen im Osten des Landes vermeldet: In Tarija hätten 66 Prozent mit Nein gestimmt, in Pando 65 Prozent und in Beni 63 Prozent.

Schon vor der Abstimmung hatte Evo Morales darauf hingewiesen, dass die neue Konstitution bei einem für seine Regierung positiven Ergebnis für das gesamte Staatsterritorium gelte. Vertreter der Opposition hatten zuvor angekündigt, die Reformverfassung in den von ihnen kontrollierten Landesteilen nicht anzuerkennen, wenn sie dort (erwartungsgemäß) abgelehnt werde.

Der Konflikt ist nicht neu: Seit Morales` Amtsantritt vor drei Jahren opponieren vor allem die östlichen Provinzführungen gegen seine Staatsführung. Die auf den ersten Blick geografische Teilung des Landes ist tatsächlich sozial und ethnisch bedingt: Während die Nachkommen europäischer Einwanderer - mit 20 Prozent der Gesamtbevölkerung klar in der Minderheit - im Tiefland im Osten wohnen, lebt die indigene Bevölkerungsmehrheit in den Hochlandregionen im Westen. Der Kampf beider Landesteile ist zugleich ein Kampf um die Kontrolle der Wirtschaft. Im oppositionell beherrschten Osten sind die meisten Ressourcen, vor allem Erdgasquellen, zu finden. Deswegen erwirtschaftet die Provinz Santa Cruz nach Angaben des Nationalen Statistischen Instituts (INE) auch knapp ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes des Landes. Diesen Reichtum wollen die "Cruceños" nicht mit den Nachkommen der Ureinwohner aus dem Hochland teilen.

Konflikt mit der Presse

Unterstützt wurden und werden die wohlhabenden Widersacher der Regierung von privaten Medienkonzernen. Unmittelbar vor dem Referendum kritisierte Staatschef Morales vor Vertretern ausländischer Medien die offensichtlich politisch motivierte Negativberichterstattung zahlreicher Zeitungen und Fernsehsender. Zu einem heftigen Wortwechsel kam es noch am Samstag auf der Pressekonferenz mit einer Korrespondentin des US-Nachrichtensenders CNN. Morales hatte dieser Redaktion vorgeworfen, eine Kampagne gegen ihn zu führen. CNN habe sein Land und den Iran als Teil eines "Netzwerks des Drogenhandels" diffamiert, beschwerte sich der linke Staatschef.

Am Wahltag selbst prognostizierte das Umfrageinstitut ABI, das dem spanischen Medienkonzern PRISA nahesteht, mit 58,7 Prozent die niedrigste Unterstützungsquote für die Verfassungsreform. Die Medien der PRISA-Gruppe, vor allem die spanische Tageszeitung El País, waren in der Vergangenheit durch eine äußerst kritische Haltung zu den links regierten Staaten Südamerikas aufgefallen.

Fragwürdig Tendenzen waren aber auch in der deutschen Berichterstattung zu beobachten. So charakterisierte der deutsche Dienst der Nachrichtenagentur dpa das Referendum trotz der deutlichen Zustimmung als "höchst umstritten". Ein Attribut, auf das im Falle knapperer Wahlausgänge in anderen Regionen verzichtet wird.

Klares Votum gegen Großgrundbesitzer

Während etwa 60 Prozent der Bolivianer für die neue Verfassung votierten, sprach sich eine deutlichere Mehrheit für die Einschränkung des Großgrundbesitzes aus. Laut Nachwahlumfragen stimmten 78 Prozent für eine Beschränkung der Latifundien auf 5000 Hektar - alternativ zu einer Obergrenze von 10.000 Hektar. Die zusätzliche Abstimmung war nötig, weil in der verfassunggebenden Versammlung keine notwendige Zweidrittelmehrheit zustande gekommen war, um eine entsprechende Regelung zu verabschieden.