Rassismus und Krise in Russland

Wirtschaftlicher Verfall und Zunahme rassistischer Ressentiments gehen derzeit in Russland Hand in Hand

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Seitdem die globale Finanzkrise Russland erfasst hat, müssen die Psychiater und Psychologen des Landes Überstunden einlegen. Der alltägliche Irrsinn der scheinbar "rationellen" Marktwirtschaft schlägt sich im zunehmenden Maße auch in der Psyche der im allgemeinen Konkurrenz- und Überlebenskampf verfangenen "Marktsubjekte" nieder. Neuesten Erhebungen des Moskauer Serbski-Zentrum für Psychiatrie zufolge verzeichnen Russlands Psychiater seit Oktober einen Anstieg der Patientenzahl um 10 %, die russischen Psychotherapeuten können sich sogar über einen um 20 % gestiegenen Besucherandrang freuen. Die Direktorin des Serbski-Zentrums, Tatjana Dmitrijewa, warnte vor einer weiteren "Neurotisierung" der Menschen durch die - angeblich natürliche und dem menschlichen Wesen entsprechende - Marktwirtschaft, sollten sich diese weiterhin "alleingelassen" fühlen. Eine vom Serbski-Zentrum betriebene Telefon-Hotline verzeichnete laut Dmitrijewa ebenfalls seit Krisenausbruch ein reges Interesse, wobei besonders von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen diese kostenlose psychologische Betreuung in Anspruch nehmen würden.

Zumindest der russischen Telefonseelsorge wird so schnell die Arbeit nicht ausgehen, da allein zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 neuesten Zahlen zufolge die Arbeitslosigkeit in der Russischen Föderation um 20 % angestiegen ist. Offiziell sind derzeit 1,5 Millionen russische Staatsbürger arbeitslos, doch selbst Präsident Dimitri Medwedew musste jüngst eingestehen, dass die offiziellen Zahlen nur einen Teil der realen Arbeitslosigkeit erfassen, da bei weitem nicht alle Beschäftigungslosen sich auch bei den Arbeitsämtern melden würden.

Die weiteren Prognosen sind ebenfalls düster. Nach den Angaben des russischen Sozialministeriums sollen russlandweit an die 350.000 Menschen bald ihre Anstellung verlieren. Um diese Welle an Massenentlassungen zu begrenzen, gehen auch Russlands Unternehmen dazu über, ihre Beschäftigten Kurzarbeit vernichten zu lassen, oder diese in den Urlaub zu schicken. Von diesen Maßnahmen sind inzwischen 450.000 russische Lohnabhängige betroffen.

Noch im Sommer 2008 sahen Russlands Spitzenpolitiker ihr Land weitgehend immun gegen die Verwerfungen der Finanzkrise, doch inzwischen ist absehbar, dass gerade Russland besonders schwer getroffen wird. Der russische Aktienmarkt ist innerhalb eines halben Jahres de facto zusammengebrochen. Befand sich der russische Aktienindex RTS im Mai 2008 bei 2400 Zählern, so dümpelt dieser Leitindex jetzt knapp über 500 Punkten. Dieser Zusammenbruch wurde durch den massiven Abzug ausländischen, westlichen Kapitals aus dem russischen Finanzmarkt beschleunigt, das aufgrund der Krise Zuflucht im sicheren Heimathafen suchte. Bislang wurden 74 Milliarden ausländischen Kapitals aus dem russischen Finanzmärkten abgezogen. Mehrmals mussten die Zentralbank und das Finanzministerium intervenieren, um angeschlagene Banken zu stützen, Aktien in Schieflage geratener Unternehmen aufzukaufen oder eine Entwertung des Rubel zu verhindern. Auch Russlands Oligarchie musste in den letzten Monaten herbe Verluste hinnehmen. Vermögenswerte im Nennwert von mindestens 230 Milliarden US-Dollar haben bereits die russischen Superreichen eingebüßt, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete:

So hat der bisher reichste Russe, Aluminiummagnat Deripaska, mehr als 16 Mrd. Dollar eingebüßt. In der vergangenen Woche gab er Anteile an dem Baukonzern Hochtief AG und dem Autozulieferer Magna International Inc. wieder ab. Noch größer sind die Verluste für den Fußballclubbesitzer Abramowitsch, dessen Geld vor allem in dem Stahlkonzern Evraz Group SA steckt. Der 41jährige hat - ohne Berücksichtigung von Immobilienbesitz und liquiden Mitteln - 20 Mrd. Dollar verloren.

Das russische Energieimperium schwankt

Der freie Fall der Rohstoffpreise brachte unverzüglich den Rohstoffsektor in Bedrängnis, der eigentlich als zentrale Stütze der russischen Volkswirtschaft fungierte und eine zentrale Rolle bei der von Putin konzipierten, geopolitischen Strategie des russischen "Energieimperiums" spielte. Befördert wurden diese Tendenzen durch einen – gelinde gesagt - "gewinnorientierten" Wirtschaftskurs etlicher Rohstoffkonzerne. Viele dieser Unternehmen bildeten keine Rücklagen, sondern schütteten ihre Gewinne als Dividenden an die Aktionäre aus. Am 10. Oktober ließ beispielsweise TNK-BP sein gesamten Einnahmen des ersten Halbjahres von zwei Milliarden US-Dollar ausschütten. Schon am 24. September schrieben vier Ölunternehmen einen Bettelbrief an Putin, in dem sie zinsgünstige Anleihen zur Wieterführung ihrer Investitionstätigkeiten forderten. Der Gesamtwert der russischen Ölunternehmen beträgt nun gerade mal 128 Milliarden US-Dollar, so daß die brasilianische Ölfirma Petrobas mit 135 Milliarden US-Dollar inzwischen höher bewertet wird! www.laender-analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen171.pdf

Die beständig fallenden Rohstoffpreise lassen nun die wichtigste Einnahmequelle des Kreml wegbrechen, der in den vergangenen Jahren üppige Deviseneinnahmen aus dem Export von Energieträgern verzeichnen konnte. In diversen Reservefonds hat der Russlands Führung die sich auf Hunderte Milliarden Dollar laufenden Überschüsse der letzten Jahre gehortet. Die milliardenschweren Interventionen zur – bereits aufgegebenen - Stützung des Rubel, die diversen Stützungsaktionen für russische Banken oder Energiekonzerne und die fallenden Steuereinnahmen mitsamt der steigenden Sozialausgaben lassen nun diese Reserven abschmelzen.

Der russische Staatshaushalt, der in der letzten Dekade immer ein Überschuss aufgewiesen hat, dürfte in den kommenden Jahren wieder ein dickes Minus verzeichnen. Russlands Premier Wladimir Putin verfügte bereits eine Anpassung des Haushaltsplans für 2009, da die Prognosen für die Einkünfte aus dem Energieträgerexport längst von der Realität unterboten wurden. Das russische Ölministerium, dass 40 % der Einkünfte zum russischen Haushalt beisteuert, ging ursprünglich von einem Ölpreis von 95 US-Dollar aus, der aber längst unter 40 US-Dollar gefallen ist. In diesem Jahr könnte folglich das russische Haushaltsdefizit zwischen fünf und 7 % des Bruttosozialprodukts des Landes liegen.

Im Endeffekt bildeten die Deviseneinnahmen aus dem Export von Rohstoffen und Energieträgern den wichtigsten Treibsatz der russischen Konjunktur in den letzten Jahren. Derzeit bricht auch die russische Immobilienblase zusammen, die als ein weiterer – durch die Deviseneinnahmen befeuerter - Konjunkturmotor fungierte. Die Immobilienpreise sind real bereits um 30 Prozent gefallen, weswegen das Baugewerbe einen starken Auftragseinbruch verzeichnet Ein staatliches Hilfsprogramm sieht den Aufkauf von 40.000 Wohnungen vor, um den freien Fall der Imobilienpriese zu bremsen. Ähnlich dramatisch ist die Lage auf den einstmals boomenden, zweistellige Zuwachsraten verzeichnenden, russischen Fahrzeugmarkt. NachPrognosen könnte der Verkauf von Neufahrzeuge in diesem Jahr um bis zu 50 % einbrechen. Bereits Ende Dezember musste Russlands stellvertretender Wirtschaftsminister Andrei Klepach einräumen, dass die russische Föderation sich in einer Rezession befinde, und dass dieser Abschwung auch längere Zeit anhalten werde: "Ich befürchte, es wird in den nächsten zwei Quartalen nicht zu Ende sein", so Klepach.

Soziale Spannungen und wachsende Gewalt von Rechtsextremen

Diese Rezession trifft eine zutiefst sozial gespaltene Gesellschaft, da der Abgrund zwischen der neureichen Elite aus Oligarchie und hoher Staatsbeamtenschaft auf der einen, und der Bevölkerungsmehrheit auf der anderen Seite in den letzten Jahren stark angewachsen ist. Die Einkünfte des reichsten Zehntels der russischen Gesellschaft überstiegen die des ärmsten Zehntels in 2000 um das 14-Fache; 2008 betrug diese Differenz bereits das 17-Fache.

Die Vermögensexplosion der privaten und staatlichen Oligarchie Russlands verzerrt auch die Statistik bezüglich der scheinbar rasch steigenden Löhne, wie RIA-Novosti in einer Analyse ausführte: Den durchschnittlichen Lohn (2007: 12 500 Rubel beziehungsweise 500 Dollar) bekomme in Russland keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung, "weil er sich aus den Supereinkünften einer dünnen Schicht der Top-Beamten und den niedrigen Löhnen und Gehältern des überwiegenden Teils der arbeitsfähigen Bevölkerung zusammensetzt". Schließlich beruhen die "Erfolge" des Kreml bei der Armutsbekämpfung größtenteils auf statistischer Kosmetik.

Es lebten weit mehr als die offiziell gezählten 15 Prozent der Russen unterhalb des Existenzminimums, führte kürzlich der Chef des russischen Föderationsrats, Sergej Mironow, aus: "Die offizielle Statistik senkt den Maßstab der Armut innerhalb der russischen Bevölkerung erheblich. Real ist nicht weniger als ein Drittel der Russen arm." Der Kreml scheint selber seinen eigenen Statistiken nicht so recht zu trauen. Am 10. November gab Medwedew den Polizeikräften des Landes den Ukas, rücksichtslos gegen soziale Unruhen vorzugehen: "Wenn jemand versucht, die Konsequenzen der Finanzkrise auszunutzen, müssen die Einsatzkräfte intervenieren und Anklage erheben", da es ansonsten keine "Ordnung" mehr gebe.

Inzwischen ist Russlands extreme Rechte verstärkt bemüht, der verunsicherten und "neurotisierten" Bevölkerung handgreifliche Schuldige für den Zusammenbruch der kapitalistischen "Ordnung" zu liefern. Schon seit Jahren nimmt die rassistische Gewalt in Russland in Besorgnis erregende Ausmaße zu, werden Immigranten zu Opfern brutaler Überfälle der mehrere 10.000 Mitglieder zählenden, rechtsradikalen Gruppen. Allein in Moskau starben 47 Ausländer bei faschistischen Übergriffen ,48 wurden teilweise schwer verletzt. Dies stellte einen Anstieg rechtsradikaler Gewalt um 300 % gegenüber dem Vorjahr dar.

In der Russischen Föderation sollen im vergangenen Jahr 113 Menschen faschistischer Gewalt zum Opfer gefallen sein, 340 wurden verletzt. 2007 waren 74 Tote und 320 Verletzte zu beklagen. Zumeist befinden sich Arbeitsimmigranten aus dem Kaukasus und Zentralasien unter den Opfern. Immer wieder werden geradezu bestialische Fälle rechtsradikaler Gewaltexzesse publik, die die russische Öffentlichkeit erschüttern. Mitte Dezember wurden beispielsweise sieben Mitglieder einer jugendlichen Skinheadbande in Moskau verurteilt, die in den vergangenen Monaten 20 Immigranten umgebracht haben. Im Dezember erhielten auch einige russische Menschenrechtsorganisationen E-Mails von rechtsradikalen Gruppen, die Fotos eines geköpften tadschikischen Immigranten enthielten. Die Moskauer Polizei konnte die Authentizität dieser grausigen Bilder bestätigen und einige Zeit später das Opfer finden. Eine beliebte Propagandamaßnahme der russischen Rechten besteht auch darin, Videos von der Ermordung von Immigranten ins Internet zu stellen.

Russische Nichtregierungsorganisationen zeigen sich über diese Zunahme faschistischer Gewalt äußerst besorgt. Das Moskauer Sova-Zentrum, das sich der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verschrieben hat, befürchtet gar eine regelrechte Welle rassistischer Übergriffe, da faschistische Gruppierungen sich verstärkt bemühten, Ausländer für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich zu machen. Oftmals treten Aktivisten rechtsradikaler Gruppen als "Beschützer" der lokalen Bevölkerung auf, die entschieden gegen "ausländische Verbrecher" vorgehen wollen. In so genannten "Selbstverteidigungsgruppen" organisiert, gehen die Rechtsradikalen gegen jeden vor, der nicht in ihr rassistisches Weltbild passt.

Auch in Russlands Medien wird oftmals über die Gefahr steigender "Ausländerkriminalität" berichtet, da viele der kaukasischen und zentralasiatischen Immigranten zu elenden Löhnen im russischen Baugewerbe eine Anstellung fanden – und jetzt aufgrund der geplatzten Immobilienblase massiv entlassen werden. So berichtete die auflagenstärkste russische Tageszeitung, die Komsomolskaya Pravda, dass nun eine regelrechte "Explosion" von Gewalt und Verbrechen seitens der Immigranten drohe. Die Polizei gebe unter vier Augen zu, dass die einstmals "hart arbeitenden Immigranten sich zusehends mit Überfällen" über Wasser hielten, hieß es in der Komsomolskaya Pravda vom 17. November.

Immerhin scheinen zumindest die obersten Staatsvertreter Russlands sich diesem Kesseltreiben entgegenzustellen. Sowohl Regierungschef Wladimir Putin, als auch Präsident Dimitri Medwedew verurteilten die überhand nehmende rechtsradikale Gewalt bei etlichen Gelegenheiten entschieden. Zuletzt forderte Medwedew am 20. Dezember den russischen Sicherheitsdienst auf, entschieden gegen die rechte Gewalt vorzugehen: "Dies sind wirklich gefährliche Verbrechen und wir müssen wirklich hart auf diese reagieren", erklärte der russische Staatschef.

Doch selbst die regierungsnahe Nachrichtenagentur ITAR-TASS beurteilte die Aussichten des staatlichen Kampfes gegen Rechts eher skeptisch: "Experten glauben, dass die Bekämpfung dieses Phänomens, das in Russland von einem Tag zum anderen an Dynamik gewinnt, deswegen ineffizient ist, weil die Autoritäten Fehler begehen und weil die meisten Russen die Feindschaft gegenüber den Fremden im innersten Teilen, speziell vor dem Hintergrund der anschwellenden ökonomischen Krise."

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nehmen zu

Die Stiefelfaschisten können tatsächlich auf weit verbreiteten xenophoben Ressentiments in der russischen Bevölkerung aufbauen. Laut entsprechender Umfragen sind gerade mal 37 Prozent der Russen der Meinung, dass es "sehr wichtig" sei, Menschen unterschiedlicher Abstammung gleich zu behandeln. Zugleich stieg innerhalb weniger Jahre der Anteil der Bürger der russischen Föderation, die der Parole "Russland den Russen" zustimmen, von 46 Prozent auf 56 Prozent. Ein gutes Drittel der Umfrageteilnehmer gab überdies an, dass Vertreter der "nichtrussischen Nationalitäten an allen Nöten unseres Landes schuld" seien. Eine nur weitere Befragung ergab zudem, dass gut ein Viertel der daran Beteiligten "Gereiztheit und Feindseligkeit gegenüber diesen oder anderen Völkern" empfindet. Weitere Umfrageergebnisse sind nicht minder alarmierend:

Laut Studien des Analytischen Lewada-Zentrums sehen nur fünf Prozent der Russen den politischen Extremismus als eine ernsthafte Bedrohung an. Zugleich sind etwa 15 Prozent der Jugendliche davon überzeugt, dass der Faschismus als Weltanschauungssystem sogar eine positive Seite hat, wie Umfragen des Meinungsforschungsinstituts "Obschtschestwennoje Mnenije" zeigen. Ein Drittel der befragten Studierenden einer Moskauer Hochschule glaubt, es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn Hitler-Deutschland die Sowjetunion besiegt hätte. Etwa zehn Prozent äußerten, das Leben in Russland wäre in dem Fall vielleicht besser geworden.

Obwohl in letzter Zeit ein konsequenteres Vorgehen der Polizei gegen rechtsradikale Gewalt festgestellt werden kann, sind oftmals noch Beschwichtigungen und Verharmlosungen der Problematik seitens der russischen Sicherheitskräfte verbreitet. Der Chef der Moskauer Miliz erklärte beispielsweise im vergangenen Februar, dass es in seiner Stadt keine Nazibanden mehr gebe und dass die Anzahl rechtsextremer Straftaten in Fallen begriffen sei. Schon oftmals wurden russische Skinheads, die an Überfällen mit Todesfolge beteiligt waren, von der ansonsten nicht gerade zimperlichen russischen Justiz nur wegen "Rowdytum" zu kurzen Gefängnisstrafen verurteilt. Auch die sieben oben erwähnten Skinheads, die 20 Menschen auf dem Gewissen haben, kamen relativ glimpflich davon – die Höchststrafe betrug gerade mal 10 Jahre Haft.

Selbst politische Kräfte, die dem Kreml nahe stehen, erliegen der Versuchung, die Schuld für die sich rapide verschlechternde Wirtschaftslage auf die Immigranten abzuwälzen. Offiziell verfolgt die russische Regierung eine antifaschistische Politik, so dass auch die kremlnahen Jugendorganisationen wie die "Nashi" (Die Unsrigen) - die in Reaktion auf die Orangen Revolution vom Kreml gegründet wurden - zum Kampf gegen Rassismus verpflichtet sind. Doch die Realität sieht oftmals ganz anders aus.

So organisierten die "Junge Garde des Vereinigten Russlands", wie auch die rund um Moskau aktive Organisation Mestnye (die Lokalen) regelmäßig Proteste gegen "illegale Einwanderung". Beide sind eng mit dem Kreml kooperierende und von diesem auch finanzierte Jugendbewegungen. So patrouillierten Mitglieder von "Mestnye" die Moskauer Märkte, um nach "illegalen Ausländern" zu suchen. Die "Junge Garde" hingegen wollte am 19. Januar auf dem Kazan-Bahnhof in Moskau den eintreffenden Zug aus Zentralasien mit fremdenfeindlichen Transparenten begrüßen. Die dem Kreml nahe stehenden Aktivisten bezeichneten Einwanderer als Diebe und forderten "russisches Geld nur für Russen" auszugehen. Etliche Gegendemonstranten, die diesen nationalistischen Spuk ein Ende bereiten wollten, wurden umgehend von der massiv Präsenz zeigenden OMON- Sonderpolizei in Gewahrsam genommen .

Obwohl in den ersten paar Wochen dieses Jahres in Moskau bereits 13 Überfälle auf Ausländer gezählt worden, bei denen sieben Menschen zu Tode kamen, scheinen Russlands Sicherheitskräfte immer noch die altbekannten, falschen Prioritäten zu setzen. Die Verlockung, den verwirrten, desorientierten Menschen angesichts der Krise einen einfachen, handgreiflichen Sündenbock liefern zu können, scheint für Russlands Eliten zu groß. Der überschäumende Rassismus bildet somit die politische Essenz dervom Moskauer Serbski-Zentrum für Psychiatrie festgestellten "Neurotisierung" der von der Krise betroffenen Menschen. Es ist eine irre Ideologie, die den Konkurrenzkampf der Marktsubjekte zu einem Konkurrenzkampf der "Rassen" imaginiert.