Protektionismus von unten?

Wegen der Wirtschaftskrise und der steigenden Arbeitslosigkeit breitet sich in Großbritannien eine Streikwelle unter der Parole "Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter" aus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zunächst bemerkte es kaum jemand, als einige Bauarbeiter im Nordosten des Landes in Streik traten. Aber innerhalb kurzer Zeit griffen die Arbeitsniederlegungen in England, Wales und Schottland um sich und wuchsen sich zu einer rasanten, wenn auch illegalen Streikwelle aus. Unter der Parole "Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter" demonstrieren Arbeiter gegen die "Bevorzugung der Ausländer" - vor allem aber gegen ihre Verarmung und Arbeitslosigkeit.

Während die Weltwirtschaftskrise die anderen europäischen Ländern bisher nur gestreift hat, hat sie den britischen Arbeitsmarkt bereits voll erfasst. Das Arbeitsministerium rechnet damit, dass diesen Monat ungefähr 300.000 Menschen ihre Stelle verlieren werden. Damit würde die Zahl der Arbeitslosen auf zwei Millionen steigen, was einer offiziellen Arbeitslosenrate von sechs Prozent entspricht. Bis zum Ende des Jahres 2009 könnten es drei Millionen werden. Beinah täglich werden neue Nachrichten über Stellenabbau veröffentlicht. Betroffen sind die industrielle Produktion, der Einzelhandel und Finanzdienstleistungen (Banken und Versicherungen), aber auch Handwerker und Bauarbeiter – Arbeitsplätze, die mehr oder minder direkt am überbewerten Immobilienmarkt hingen.

Die rechtsextreme Partei BNP versucht die Angst vor der Arbeitslosigkeit auszubeuten

Wegen der steigenden Arbeitslosigkeit verschärft sich die Konkurrenz um die verbleibenden Stellen. Zumindest lieferte das den Anlass für den Streik in einer Raffinerie des Ölkonzerns Total in North Killingholme in Lincolnshire. Am Mittwoch vergangener Woche legten dort Bauarbeiter die Arbeit nieder, nachdem sie erfahren hatten, dass die italienische Firma IREM den Zuschlag erhalten hatte, eine neue Entschwefelungsanlage auf dem Gelände zu bauen. IREM hat angekündigt, dass dabei ausschließlich italienische und portugiesische Vertragsarbeiter beschäftigt werden würden.

Dabei geht es um etwa 400 Arbeitsplätze. Laut einem Vertreter der Baufirma IREM herrscht unter den portugiesischen und italienischen Bauarbeitern "ein Klima der Angst". Einige seien bereits wieder abgereist. Eine Zeitung zitiert einen der Vertragsarbeiter mit dem Satz: "Immer wenn wir in die Stadt müssen, ist es ein richtiges Spießrutenlaufen."

Ähnliche Konflikte mit Subunternehmen gab es schon in einer Raffinerie in Staythorpe in Nottinghamshire und in einem Kraftwerk in Kent. Ende letzter Woche verbreitet sich dann eine Welle von "Sympathiestreiks" in den Raffinerien und Kraftwerken Großbritanniens, besonders an der Küste. Bisher kam es an 15 verschiedenen Orten zu Protestaktionen, an denen sich mehrere tausend Menschen beteiligten. Auf kopierten Blättern fordern einige von ihnen, dass einheimische Arbeiter bevorzugt behandelt werden sollten. Manche schwenken die englische Nationalfahne. "Nehmt zuerst Briten!" ist eine verbreitete Parole, noch häufigster aber ein Zitat von Gordon Brown: "Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter!"

Damit beziehen sich die Protestierenden auf die Rede des Premierministers, der kurz nach seinem Amtsantritt 2007 auf dem Labour-Parteitag versicherte versicherte, er wolle für mehr Arbeit für die Briten sorgen. Was er damit genau meinte, verriet er nicht, sondern signalisierte eher vage, auch die englische Industriearbeiterschaft liege ihm am Herzen.

Die streikenden Arbeiter wollen ihn nun beim Wort nehmen und fordern Hilfe von der Regierung. Ihre Bewegung ist spontan und in uneindeutig. Einig ist man sich nur, dass es so nicht mehr weitergehen könne. Am Montag schlossen sich dann auch Bauarbeiter in Heysham und Sellafield dem Streik an. Dort steht die Renovierung der Atomkraftwerken an. Der Hintergrund: die britische Regierung will 40 Milliarden Pfund ausgeben, um neue Atomkraftwerke zu bauen. Allerdings sind die Energiegesellschaften, die dazu den Auftrag erhalten haben, nicht in britischem Besitz, und viele Arbeiter befürchten deshalb, sie würden leer ausgehen.

Protest von Linken am Wochenende gegen die BNP. Bild: socialistparty.org.uk

Streiken gegen die Verarmung – oder gegen die Ausländer?

"Ein großartiger Tag für den britischen Nationalismus" nannte die rechtsextreme British National Party (BNP) den vergangenen Freitag. Die Partei, zu deren Kernforderung die Rückführung von Einwanderern gehört, versucht sich in den Vordergrund zu spielen und die Proteste in ihrem Sinne zu interpretieren. Wie erfolgreich die rassistischen Aktivisten damit sind, ist unklar. Die BNP hat tatsächlich in Lincolnshire, wo die aktuelle Streikwelle ihren Anfang an, einige Wahlerfolge erzielt. Dort kam es auch vor drei Jahren zwischen südeuropäischen Arbeitsmigranten und Einheimischen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen.

Andererseits betonen viele Streikende, sie hätten nichts gegen die Kollegen aus dem Ausland. Eine Liste mit Forderungen eines Mitglieds des inoffiziellen Streikkomitees – immerhin sind die Aktionen formal illegal – verlangt, dass der Tarifvertrag im Baugewerbe auch für alle Arbeitsmigranten gelten müsse, und distanziert sich deutlich von den Rechtsextremen.

Eine Debatte in einem Internet-Forum gibt die widersprüchliche Haltung gut wieder. Da fordert ein Teilnehmer die Ausländer auf, das Land zu verlassen. "Ihr wart lange genug hier!" Ein andere antwortet: "Viele von uns haben selbst im Ausland gearbeitet, in Deutschland, Spanien, im Nahen Osten – haben wir uns dort darum gekümmert, was mit der Arbeitslosigkeit ist?" Das eigentliche Problem sei, dass die Regierung keine sozialen Mindeststandards vorschreibe, wenn Bauaufträge vergeben werden. In Großbritannien gibt es außerdem nichts, was mit dem deutschen Entsendegesetz vergleichbar wäre.

Dieser diffuse Charakter der Bewegung sorgt in der britischen Linken für völlige Verwirrung. Während einige ankündigen, die Streiks zu unterstützen, verurteilen sie andere als rassistisch. Die Initiative Campaign against Immigration Controls (CAIC) fordert von der Gewerkschaft Unite sogar, die Streiks zu beenden.

Das allerdings würde der Gewerkschaft einigermaßen schwer fallen. Sie hat die Aktionen nicht organisiert, auch wenn einzelne Betriebsräte und Vertrauensleute beteiligt sind.Offenbar werden die Vertreter von Unite häufig mit Misstrauen empfangen. Dennoch schlägt die Gewerkschaft vor, zunächst den Arbeitskampf in Lincolnshire beizulegen, und bietet sich als Verhandlungspartner an. Die Regierung solle Druck auf die Bauunternehmer ausüben, damit diese aus "sozialer Verantwortung" auch Einheimische bei der Jobvergabe berücksichtigen.

Regierung Brown unter Druck

Schon weil viele der Protestierenden sich das bewusste Zitat Gordon Browns zu Eigen machen, setzt die Streikwelle die Regierung unter Rechtfertigungsdruck. Besonders ungeschickt für sie ist, dass der britische Regierungschef auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gerade erst vor einer protektionistischen Reaktion auf die Krise warnte. Nun äußerte er einerseits Verständnis "für die Sorgen der Bevölkerung", verurteilte aber naturgemäß die Streikaktionen.

Sein Gesundheitsminister Alan Johnson dagegen machte in einem Interview am Sonntag das geltende EU-Recht für die Probleme verantwortlich – wogegen sich wiederum der wirtschaftsliberale Minister Peter Mandelson verwahrte. Und der britische Arbeitgeberverband CBI warnte davor, nun mit protektionistischer Rhetorik Sympathien einheimsen zu wollen.

Genau dem scheinen einige Labour-Politiker nicht widerstehen zu können. Seit einiger Zeit demonstrieren sie Volksnähe, indem sie Verständnis für die Sorgen und Nöte der "weißen Arbeiterklasse" zeigen. Die Abgeordneten Frank Field und Jon Cruddas fordern nun die Regierung auf, mehr zu tun, um die englischen Arbeiter vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen.

Die Regierung hat ihre Schlichtungsstelle ACAS eingeschaltet, um die Streiks zu beenden. Gordon Brown versicherte außerdem, Total habe eingewilligt, auch britische Arbeiter zu berücksichtigen - sofern weitere Kräfte benötigt werden.