Weißwaschung für die Pius-Brüder?

Die Besänftigungsargumente gehen langsam aus. Die Rheinische Post interviewt derweil den antijüdischen Pater Franz Schmidberger und macht es ihm sehr leicht

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Ob des Skandals um die kirchliche Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners ("Ultra montes") bemüht sich in diesen Tagen manch einer, schlimmen Schaden zu heilen. Journalisten, die es gut mit dem Papst meinen, bevorzugen die These vom "vatikanischen Betriebsunfall", setzen ein "Nichtwissen" des Kirchenoberhauptes voraus oder verpassen dem Störenfried Williamson das Etikett eines Außenseiters innerhalb der Pius-Bruderschaft. Doch die Liste der gängigen Besänftigungen lässt sich leicht widerlegen. Ein wenig recherchieren sollte man aber schon im Internetzeitalter. Und etwas Logik ist bei der Bewertung mancher "Narrative" auch von Nutzen.

Schon die Legende, der Papst sei schlecht unterrichtet oder beraten gewesen bei seiner Aufhebung der Exkommunikation der traditionalistischen Bischöfe, ist schlichtweg unhaltbar. Schon als Präfekt der Glaubenskongregation war Joseph Ratzinger denkbar intensiv mit den Lefebvre-Katholiken beschäftigt. Er selbst war es, der am 5. Mai 1988 zusammen mit dem französischen Widersacher des Vatikanischen Reformkonzils (1962-1965) ein Dokument der Verständigung unterzeichnet hat, welches allerdings Erzbischof Lefebvre schon kurz darauf nicht mehr als bindend betrachtete.

Die obligat judenfeindliche Theologie der Lefebvre-Bewegung und ihrer historischen Vorläufer ist jedem kirchlichen Insider bekannt. Sie ist überdies so gut und breit belegt, dass bei einem "Nichtwissen" des Papstes diesem wirklich jegliche Amtsbefähigung abzusprechen wäre. Doch auch von einem solchen Nichtwissen kann keine Rede sein. 2007 und 2008 hat sich der Papst höchstpersönlich mit dem Themenfeld "katholischer Antijudaismus" auseinandergesetzt. Mit eigener Hand hat er dann die Neufassung der alten Karfreitagsbitte um "Erleuchtung" der Juden verfasst. Und hierbei ging es genau um jene Kreise, die jetzt ob ihrer Rehabilitation im Mittelpunkt des Skandals stehen.

Da Benedikt XVI. in Sachen "Karfreitagsfürbitte" alle drängenden Proteste – namentlich aus der deutschen Kirche – unbeachtet ließ, bleibt kirchenpolitisch eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Für die Lefebvre-Schismatiker sollte bei einer vollen Rückkehr in die Römische Kirche, wie sie jetzt durch Aufhebung der Exkommunikation eingeleitet worden ist, nicht nur die alte Tridentinische Liturgie wieder bereitstehen, sondern auch noch etwas ganz Spezifisches, das für ihre Identität sehr wesentlich ist: nämlich die Möglichkeit, ihre antijüdische Tradition gerade auch im Gottesdienst wieder zu praktizieren. Weshalb sonst hat der Papst schon 2008 ohne Not den Skandal gewagt und die mit Blut besudelte – abgeschaffte – Karfreitagsfürbitte so in eine Neufassung gegossen, wie sie seiner Ansicht nach der Öffentlichkeit noch irgendwie zu vermitteln war?

Diese Dinge gehören auf jeden Fall zusammen, und sie haben Methode. Auch hier hilft Nachhaken und Nachdenken weiter. Man möchte ja "an sich" voraussetzen, dass Rom von den vorauseilend wieder aufgenommenen Anführern der Traditionalistenbewegung auf jeden Fall eine Anerkennung des letzten Reformkonzils verlangt. Wer die Ziele der Bewegung auch nur ansatzweise kennt, weiß, dass die Erfüllung dieser Forderung einem Wunder gleichkäme. Entsprechend hören wir derzeit ja auch aus der Pius-Bruderschaft, man wolle ganz im Gegenteil die katholische Weltkirche zur eigenen Linie bekehren und wieder in einen vorkonziliaren Zustand zurückversetzen.

Für (erklärtermaßen) konzilstreue ehemalige Lefebvre-Gefolgsleute gibt es dagegen schon seit zwei Jahrzehnten innerhalb der römisch-katholischen Kirche die konservative "Priesterbruderschaft Sankt Petrus" (Fraternitas Sacerdotalis Sancti Petri). Was soll denn jetzt noch darüber hinaus möglich gemacht werden? Es geht eben nicht um Latein oder andere liebgewordene äußere Traditionen. Die Analyse lässt wieder nur einen Rückschluss zu: Leute, die das II. Vatikanische Konzil erbittert bekämpfen, sollen unter Beibehaltung ihrer ideologischen Grundfesten zurückkehren können. Mehr noch: sie sind im Januar 2009 bereits zurückgekehrt – wenn auch vorläufig noch ohne Recht zur Ausübung ihres "Weiheamtes".

Die Holocaust-Leugnung durch Bischof Williamson ist seit 20 Jahren bekannt

Der Sonderfall "Holocaust-Leugnung" zeigt schließlich, wie tief verankert der Judenhass bei den katholischen Traditionalisten ist. Da wird nun lamentiert, auch davon habe der Papst ja nichts gewusst. An verschiedenen Ecken der Erde melden sich gleichzeitig lefebvrianische Holocaust-Leugner. Wer weiterhin von einem exotischen Einzelfall sprechen will, benötigt schon eine gehörige Portion Leichtgläubigkeit.

Die noch bis gestern kursierende Entschuldigung, Williamson habe sich ja erst zeitlich NACH seiner päpstlichen Rehabilitation skandalös geäußert, wird hoffentlich niemand mehr zum Besten geben. Zum Beispiel auf Spiegel-Online kann man nachlesen, dass er bereits im April 1989 während einer Messe in Kanada seine "Ansichten" noch rigoroser als im jüngsten Fall gepredigt hat:

Das waren alles Lügen, Lügen, Lügen! Die Juden erfanden den Holocaust, damit wir demütig auf Knien ihren neuen Staat Israel genehmigen. […] Die Juden erfanden den Holocaust, Protestanten bekommen ihre Befehle vom Teufel, und der Vatikan hat seine Seele an den Liberalismus verkauft.

Seinerzeit wurden in Kanada die Polizei, die Medien und der zuständige örtliche Erzbischof eingeschaltet. Wenn in irgendeiner Vorstadtgemeinde Katholische und Evangelische gemeinsam Abendmahl feiern, weiß Rom spätestens am übernächsten Tag um die Sache. Wer möchte das Märchen glauben, im Vatikan sei Mitte Januar 2009 die Holocaust-Leugnerschaft Williamsons und dessen notorische Judenfeindlichkeit einfach nicht bekannt gewesen?

Schlampige Recherche?

Die aktuelle Debatte ist schon viele Tage alt. Und an dieser Stelle muss vermeintlich wohlmeinenden Medienleuten ein mangelnder Informationsstand über den judenfeindlichen Charakter der gesamten Lefebvre-Bewegung dick angekreidet werden. Unter der Überschrift "Pius-Bruder bestreitet Antisemitismus" bringt die Printausgabe der Düsseldorfer "Rheinischen Post" vom 4.2.2009 ein Interview, das Lothar Schröder mit dem "Distrikt-Oberen der Priesterbruderschaft Pius X. in Deutschland, Pater Franz Schmidberger" geführt hat. Im RP-Vorspann wird eigens betont, die Pius-Brüder blieben trotz Aufhebung der Exkommunikation durch den Papst weiterhin von der geistlichen Amtsausübung suspendiert. Dann folgt die erste Frage:

Warum bekennt sich die Priesterbruderschaft nicht zum II. Vaticanum sowie zum Dokument "Nostra Aetate" über die Beziehung zu den Juden?

Pater Schmidberger antwortet im Interview unter anderem offenherzig (bzw. "großmütig"):

Die Konzilsaussagen zu den Juden … können nach einigen klärenden Worten so stehen bleiben, vorausgesetzt, man leitet aus ihnen nicht ab, die heutigen Juden hätten einen separaten Heilsweg außerhalb des fleischgewordenen Gottes, Unseres Herrn Jesus Christus. [Zur Holocaustleugnung Williamsons:] … Jedenfalls ist die Priesterbruderschaft St. Pius X. in ihrer Gesamtheit weit von jeder Art von Antisemitismus entfernt.

Demnach bewertet der Pater religiös verbrämte antijüdische Hetze nicht als "Antisemitismus". Denn er selbst schreibt Ende 2008 in einem Weihnachtsrundbrief1 an die 27 deutschen Bischöfe:

Mit dem Kreuzestod Christi ist der Vorhang des Tempels zerrissen, der Alte Bund abgeschafft, wird die Kirche, die alle Völker, Kulturen, Rassen und sozialen Unterschiede umfasst, aus der durchbohrten Seite des Erlösers geboren. Damit sind aber die Juden unserer Tage nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben, wie der Papst bei seinem Synagogenbesuch in Rom 1986 behauptete; sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig, so lange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren. Im Gegensatz dazu behauptet das II. Vatikanum, man könne die Ereignisse des Leidens Christi weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen (§ 4).

Die Fülle an Informationen und weiterführenden Quellen, die man bezogen auf die "Pius-Brüder" und speziell auch zu Pater Schmidberger schon mittels einer einfachen Internet-Recherche bei Wikipedia ermitteln kann, ist unglaublich. Beim RP-Interviewpartner handelt es sich um einen Priester, der noch vor wenigen Wochen skandalträchtig gegen "die Juden" als "mitschuldig" am "Gottesmord" gehetzt hat.2 Entsprechende redaktionelle Ergänzungen zum aktuellen Schmidberger-Interview waren in der "Rheinischen Post" leider nicht zu entdecken.

Für Leser, denen keine Zeit oder Technik für eigene Erkundungen zur Verfügung steht, bleibt als Lektüre-Eindruck haften:

  1. Die Pius-Bruderschaft will das Konzilsdokument über die Juden anerkennen.
  2. Sie bestreitet jeden "Antisemitismus".
  3. Der Vater ihres Gründers Lefebvre ist in einem deutschen KZ gestorben.

Alles also gar nicht so, wie es die Kirchenfeinde hochdramatisch darstellen? Der RP-Redakteur könnte sich mit Defiziten an höchster Stelle trösten. Die Ortskirche, so sollen wir ja allen Ernstes glauben, habe auch vom Schmidberger-Skandal nichts an den Vatikan mitgeteilt, und in Rom selbst habe einfach wieder gewaltet, was sogar ein Kardinal der apostolischen Zentrale vorwirft: "schlampige Recherche".

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