Banker würden Killer kaufen...

Schurken in Nadelstreifen: Tom Tykwers "The International" ist ein Antiglobalisierungsthriller, der diesen Namen verdient

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Ein Versuch, immerhin. In vielem geglückt, in vielem besser als Vergleichbares, auch wenn noch eine Menge Spielraum nach oben offen bleibt. Aber wann je in den letzten Jahren hätte man einen funktionierenden Polit- und Wirtschaftsthriller gesehen, der im Wesentlichen aus Europa stammt, auch wenn das Geld dann doch zum Großteil in Hollywood aufgetrieben wurde? Tom Tykwers "The International" ist nun wirklich kein perfekter Genrefilm, aber er tritt in die Fußstapfen großer Vorbilder, und ihm gelingt es, eine atmosphärische Dichte zu erreichen, die man nicht oft sieht. Und er hat, wozu man heute im Kino mehr Mut braucht als zu dummen und schlechten Filmen: Er hat klare Botschaften, er hat keine Angst davor, mit subtilen Mitteln sogar zu predigen. Und die Predigt ist, selbst noch in Zeiten der Bankenkrise, unzeitgemäß: Das System ist schuld, nicht die Einzelnen. Und wenn man etwas ändern will, muss man Kollateralschäden in Kauf nehmen. Anders gesagt: Gerade der Idealist darf nicht zu idealistisch sein.

Alle Bilder: Sony Pictures

Ein Blick ins Gesicht eines Mannes. Zwei andere Männer in einer parkenden Luxuslimousine. Sie tauschen kurze, präzis informierende Sätze aus, es geht um eine Bank und um Raketen. "You need to relax", sagt der eine. Antwort: "Ich mags lieber angespannt." Im Hintergrund ist die Silhouette des Berliner Hauptbahnhofs erkennbar. Konspirativ wirkt die Atmosphäre von Anfang an. Einer der beiden steigt aus und telefoniert, geht zur Straße, und bricht dort unvermittelt zusammen. Ein Dritter, der ihn von fern beobachtet hat, eilt hinzu, kommt zu spät, wird dabei noch von einem Fahrradkurier über den Haufen gefahren.

Diese ersten Minuten von "The International" sind bereits ein Meisterstück jener dichten, präzisen, nie beliebigen, von ruhiger klarer Hand geprägten Inszenierungskunst des Regisseurs Tom Tykwer. Es ist einfach ein kleiner unscheinbarer Mord, der auch zu einem TV-Krimi passen würde, hier aber die Ouvertüre bildet zu großem Kino, zu einem zeitgemäßen, dabei fast bescheiden anmutenden Thriller zwischen Antiglobalisierungsthematik und Paranoia-Erfahrung.

Die Szene führt bereits vor, was Tykwer über den ganzen Film durchhält: So weit es irgend geht, ist dies ein Film, in dem dem Zuschauer trotz komplizierter Zusammenhänge im Hintergrund alles, was er wissen muss, gezeigt wird, nicht durch Dialoge erzählt. So folgen wir mal den Blicken der Figuren, dann wieder blicken wir auf sie, und der Bildwechsel stellt Zusammenhänge und intuitives Verständnis her. Als die Hauptfigur zum Beispiel später bei der Rekonstruktion eines Mordanschlags erkennt, dass es einen zweiten Schützen gab, erhält man zunächst nicht ein einziges Wort der Erklärung - nur unmissverständliche Handgriffe und die Blicke der Kamera.

Dynamisches Bewegungskino

Was diesen Film, trotz seines Genres und seines Teilschauplatzes USA, so europäisch anmuten lässt, ist die Ökonomie seiner Mittel. Langsam startet der Film, hebt erstmal nicht ab. Dann nimmt das Tempo sachte zu, der Film hat Druck, bleibt aber immer down to earth. Im ersten Moment denkt man: Zuviel Dialoge, vor allem am Anfang. Nach dem zweiten Ansehen hat man begriffen: Das ist eine Täuschung, der Film kommuniziert nur etwas zuviel Information. Fast immer sind die Schauplätze exakt in unserer Wirklichkeit verankert, integrieren auffällig klug ihre Architektur in die Handlung.

Auch Tykwer haut gelegentlich auf den Putz, genießt es in dem furiosen Actionhöhepunkt des Films, einer viele Minuten langen Schießerei, die den ganzen riesigen Raum des New Yorker Guggenheim-Museum einbezieht, Körper massenhaft durch den Raum zu bewegen, die an der Wand hängende Kunst - eigens für den Film hergestellte Videoinstallationen von Julian Rosefeldt - ebenso im Dutzend zerschießen zu lassen, wie das legendäre Gebäude erheblich zu zerstören - doch der Film bleibt dabei immer angenehm auf dem Boden. Die Szenen wirken bei aller Übertreibung realistisch und dienen der Geschichte, man erlebt nie das, was das neuere Actionkino wie Paul Greengrass' Teile der "Bourne"-Trilogie zu einer so anstrengenden und letztendlich enttäuschenden Erfahrung macht: Dass man als Zuschauer den Überblick verliert, und zum Objekt einer Achternbahnfahrt aus Schnittgewittern und Perspektivwechseln degradiert wird.

"The International", mit Tykwers Stammteam - Kamera: Frank Griebe; Schnitt: Mathilde Bonnefoy - umgesetzt, hat erkennbar andere Ziele: Dies ist ein Film, in dem Form und Inhalt sich entsprechen, dass dynamisches Bewegungskino ist, Kinetik pur, ohne deswegen kein Reflexionskino mehr zu sein. Ein Film, der sich in unterhaltsamer Form mit ernsthaften Anliegen beschäftigt und dabei provokative Thesen entwickelt. Denn dies ist endlich einmal ein Anti-Globalisierungsthriller, der diesen Namen auch verdient.

"Eine Bank will Schulden kontrollieren“

Im Zentrum steht ein einsamer Interpol-Ermittler, der die Verbindung von Mafiageldern, Finanzmarkt, Banken und Waffenhandel untersucht. Es geht um Schurken in Nadelstreifen, die Machenschaften eines fiktiven, aber an reale Vorbilder angelehnten Unternehmens, der "fünftgrößten Privatbank der Welt". Sie dealt mit Waffen, kauft Killer und initiiert in afrikanischen Ländern Konflikte und Regimewechsel - "Es geht um Kontrolle" erklärt im Film einmal ein italienischer Politiker und Waffenhändler bündig: "Eine Bank will Schulden kontrollieren. Wer den Konflikt finanziert, kontrolliert die Schulden. Das ist das Wesen des Bank-Geschäfts: Uns alle zu Sklaven der Schulden zu machen." Drehbuch und Regie sind immer bemüht, hinter den Individuen über die die Story erzählt und transportiert wird, deutlich zu machen, dass sie ein System zeigen, das sich von Personen längst unabhängig gemacht hat.

In alldem erinnert Tykwers Film an die besten Traditionen des europäischen Politthrillers, an Filmemacher wie Francesco Rosi, Damiano Damiani, Henri Verneuil und Jean-Pierre Melville - mit einem Hauch von Hitchcock - dessen Vorbild-Filme wie "Der unsichtbare Dritte" allerdings deutlich mehr Humor hatten. "Humor" gibt es hier genau in zwei Situationen: Als Naomi Watts mit Clive Owen im Aufzug steht, und der vergißt zu drücken. Sie sagt ihm: "You have to push the button." Und als mitten in der wilden Guggenheim-Schießerei bei einem schockierten Passanten das Handy klingelt mit dem Klingelsong: "I am calling from the dark side."

"The International“ erinnert auch an einige der großen Paranoiathriller des New Hollywood-Kinos, allen voran Sidney Pollacks "Die Drei Tage des Condor". Das gilt auch für die Machart: Elegant, zurückhaltend, gewissermaßen altmodisch inszeniert lebt der Film vom perfektem Tempo-Management und dem Beobachten der Beobachter. Auch moralisch-politisch: Das Weltbild ist pessimistisch, Gerechtigkeit heißt es sei eine Illusion, "Wenn Sie der Bank das Handwerk legen wollen, gelingt ihnen das nicht innerhalb der Grenzen ihres Rechtssystems. Es wird immer Kollateralschäden geben."

So führt der Film auch einen aktuellen Diskurs über die Zweifel an Recht und Institutionen. Überdies kann man ihn so lesen, als erkenne er Gewalt auch jenseits des Rechts als letztes Mittel an und spekuliere zumindest mit der klammheimlichen Freude des Betrachters, wenn die Schurkenbanker am Ende statt der Justiz zumindest - gerechter? - Rache anheimfallen. Andererseits stellt sich "The International" der existentiellen Einsicht, dass keiner ganz ohne Schuld ist, auch der Held nicht.

Die Dreckarbeit erledigt die Mafia

Politisch und moralisch ist dies doppelsinnig. Einerseits macht sich der Film alles weit weniger einfach, als etwa Hans-Christian Schmid in seinem neuen Film "Sturm", der gerade bei den Berliner Filmfestspielen Premiere hatte. Schmid trennt zu säuberlich die Felder Politik und Moral und schlägt sich dann viel zu eindeutig auf die Seite der Letzteren. Bei Tykwer ist alles vermischter. Nur traut sich der Film dann doch nicht, uns einen "guten Terroristen" zu zeigen. Die Dreckarbeit erledigt die Mafia, vielleicht auch weil die Italiener das unnachahmlich stilvoll und cool können: "Dies ist ein Gruß von…"

"Wenn der Löwe tötet, profitiert der Schakal"

Auch in anderer Hinsicht nimmt das Drehbuch kein Blatt vor den Mund: Internationales Recht schützt Kriminalität. Individuen sind schuld, aber dahinter steckt immer ein System. Und ein schöner, etwas zu großmäuliger Satz: "Wenn der Löwe tötet, profitiert der Schakal" Am Ende steht die zentrale Frage: Soll man seine Ideale opfern, zum Wohl der Welt? Die Frage ist nicht schlecht. Die Antwort steht im Raum.

Denkt man nach, wird zudem einiges an der Handlung etwas konfus und unlogisch. Etwas zu schnell findet Clive Owen, der im Film den allzu beziehungsvollen Namen Salinger trägt, die Einstichwunde am Körper seines Kollegen. Bei allem Lob für den Film kommt er an die Dynamik und Kraft die zum Beispiel zuletzt ein Werk wie Michael Manns "Collateral" oder "Inside Man" von Spike Lee ausstrahlte, nicht im Entferntesten heran. Ästhetisch verschenkt ist auch Naomi Watts, die eine New Yorker Staatsanwältin spielt, die Salinger unterstützt. Sie hat kaum etwas zu sagen und kaum etwas zu tun. Wenn man gesehen hat, wie David Lynch oder Cronenberg und auch andere diese Darstellerin inszeniert haben, dann muss man sagen: Tykwer weiß mit ihr nichts anzufangen. Sie sieht nicht so toll aus, wie sonst. Viel zu mager, mit idiotischen blonden Strähnchen, strahlt sie etwas Verhärmtes aus.

Gut geht der Film mit Armin Mueller-Stahl um, der hier einmal nicht den Schurken vom Dienst spielt, sondern eine janusköpfige Persönlichkeit, die ganz von vage an Markus Wolf angelehnt wirkt. Einer der Leute, die gegen das kapitalistische System gekämpft haben, und der dann am Ende seines Lebens plötzlich allem dient, was er zuvor bekämpft hat. Einen Satz wie "We all begin better than we end", hört man sehr gern aus Mueller-Stahls Mund.

Böser gefragt: Hat Tykwer überhaupt schon mal mit Frauen auf der Leinwand etwas anzufangen gewusst, wenn sie nicht als Comicfiguren inszeniert wurden wie Franka Potente in "Lola rennt"? Und hat er schon mal eine gute Liebesgeschichte erzählt? Eine gute Sexszene inszeniert? Tykwer und die Gefühle - das ist ein Problem. Action, Kameradynamik, das können wenige so wie er.

Erkennbar ist trotzdem klar ein stilistischer wie inhaltlicher Reifeprozess dieses Regisseurs: Tykwer verzichtet diesmal auf die ganzen Manierismen früherer Werke, das mitunter zu deutliche zur-Schau-stellen seiner Virtuosität. Dies ist sein bester Film seit "Lola rennt". Paradoxerweise ist dies auch sein unpersönlichster, sein Film, der am wenigsten auf Anhieb als Werk eines Autors erkennbar ist. Zugleich knüpft "The International" gewissermaßen an die Energie Tykwers früher Autorenfilme der 90er-Jahre an. Man spürt, mehr als zuletzt in "Heaven" (2002) und "Das Parfüm" (2006), dass dieser Stoff Tykwer ein Anliegen ist, das erkennbare Leidenschaft entfesselt und zu einen glaubwürdigen, integren Film entstehen ließ, der Genre und Autorenkino auf der Höhe der Zeit verbindet.