Die Finanzkrise ist genetisch bedingt

Nach Ansicht von Wissenschaftlern sind zwei Allele für die fatale Zockerei an den Finanzmärkten verantwortlich, was auch einen Einblick in den Zustand der Wissenschaft gewährt

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Was oder wer ist verantwortlich für die Finanzkrise? Die Gier? Der hemmungslose Kapitalismus? Wissenschaftler der Northwestern University bringen nun in einer Studie, die in Plus One erschienen ist, die Antwort: es sind die Gene, die Banker und Spekulanten veranlassen, sich ins Risiko zu stürzen (was sie ja allerdings zumindest kurzfristig belohnt und den Anderen schadet, die das Schlamassel aufräumen müssen). Brauchen wir also anstatt einer politischen Lösung eine Gentherapie?

Es sei eine hochkomplexe Situation am Finanzmarkt, gleichwohl meinen die Psychologen offenbar, dass die Biologie hier Entscheidendes zur Klärung beitragen könne. Also zwei Genvarianten, die die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin regulieren. Ist die soziale oder, in diesem Fall, die wirtschaftliche Welt so einfach, dass sie auf das Zusammenspiel von zwei Genen zurückgeführt werden kann?

Direkt lässt sich natürlich das Wirken der Gene nicht untersuchen, also müssen die Wissenschaftler auf ein Experiment rekurrieren, in dem sie Studenten "wirkliches Geld" gegeben haben, um es riskanter oder weniger riskant zu investieren. Aller natürlich sehr lebensnah. Und das Ergebnis. Menschen mit dem kürzeren Allel des Gens 5-HTTLPR, das den Transport von Serotonin regelt, haben zu 28 Prozent weniger riskant investiert, während diejenigen, die ein Allel des Dopaminrezeptors D4 (DRD4) hatten, 25 Prozent häufiger riskant investiert haben.

Erstmals, so verkünden die Wissenschaftler, habe man damit zeigen können, dass Genvarianten eine Rolle bei der Vorhersage für die Übernahme von finanziellen Risiken spielen. Camelia M. Kuhnen von der Kellogg School of Management an der Northwestern University "Das Zeigt, dass sich individuelle Unterschiede in der genetischen Struktur auf das wirtschaftliche Verhalten auswirken." Grundlage sind 65 Versuchspersonen mit einem wenig repräsentativen Durchschnittsalter von 22 Jahren, die jeweils 96 Tests in einer Zeit von 1,5 Stunden an einem Computer durchspielten, wobei sie Hintergrundinformationen über das Risiko ihrer Entscheidungen erhielten. Der Einsatz war 15 Dollar, den sie natürlich nicht aus eigener Tasche berappen mussten, sondern den sie erhielten.

Die Versuchspersonen investierten in der Regel mehr in riskante Anlagen, wenn der erwartete Gewinn besonders hoch ist. Das ist nicht anders als beim Lotto, also ein wenig rationales Verhalten. Wenn sie mehr Geld hatten, investierten sie auch mehr in riskante Optionen. POb sie das auch tun würden, wenn sie wirklich Geld verlieren würden, ist eine andere Frage. Zumal es ja auch die süchtigen Zocker bei Glücksspielen gibt, die das ganz individuell und in der Freizeit machen, und die Zocker und Finanzinstitutionen an den Finanzmärkten, die ja einem "anerkanntem" Geschäft nachgehen. Haben die auch dieselben Gene oder spielt hier nicht auch der Kontext eine Rolle?

Die Wissenschaftler sagen, dass Menschen mit dem kürzeren Allel des Gens 5-HTTLPR neurotischer sind, während mit dem risikobereiteren Allel von DRD4 eher nach Neuheit suchen, also angetörnt werden wollen. Aber die Wissenschaftler machen sich anheischig, dass sie angeblich den genetischen Mechanismen näher kommen, die "bislang geheimnisvollen komplexen sozialen und wirtschaftlichen Verhaltensweisen unterliegen, wie Drogenabhängigkeit, Spielen und Risikofreudigkeit". Das klingt anmaßend und ist es wahrscheinlich auch, schaut man auf die Grundlagen der Erkenntnisse. Wissenschaft wird mehr und mehr zum Showgeschäft, zu einem Marketing, zu einer Ware, die gut kapitalistisch maximale Aufmerksamkeit bei minimalen Einsatz erzeugen soll.

Beruhigend kann man sich jedenfalls zurücklehnen. Es sind nicht die Regeln der Gesellschaft, sondern die Gene, die das Böse verursachen:

As we sort through the devastating consequences of this financial crisis, it might be useful to note how our genetic heritage is influencing our economic behaviour. Think about how the excessive risks taken by just a few affected so many, from large institutions to average people.

Psychologieprofessorin Joan Y. Chiao und Mitautorin der Studie

Neben den Genen sin des also die üblichen wenigen schwarzen Schafe, die alles vermasselt haben. Mit der Argumentation wurde vom Dritten Reich und dem Holocaust bis zu Abu Ghraib und der Folter hantiert und die Gesellschaft entlastet. Das ist eine billige Komplexitätsreduzierung, die hier im Namen der Wissenschaft praktiziert wird. Es würde eigentlich Zeit, dass Wissenschaftler sich dagegen wehren, was im Namen der Wissenschaft gemacht und publiziert wird, um die eigene Existenz und die der Universität zu rechtfertigen, Aufmerksamkeit zu erlangen, Wissenschaftszeitschriften zu füllen und die wissenschaftsgläubige Öffentlichkeit zu beeinflussen.