Der Anti-Schlechtismus rettet die Welt

The Yes Men Fix the World. Bilder: Yes Men ||

Interview mit den Yes Men zu ihrem zweiten Film

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Dank ihnen endete 2008 der Irakkrieg. Zumindest in einer fingierten Ausgabe der New York Times, die sie in 100.000 Exemplaren gratis in New York verteilten: Die Aktivistengruppe The Yes Men hilft der Realität gern etwas auf die Sprünge, wenn sie sich nicht von selbst so entwickeln will, wie man sich das wünschen würde. Bekannt wurden sie dafür, dass sie sich als Sprecher der WTO oder großer Unternehmen ausgeben und deren Positionen dann entweder bis zur Kenntlichkeit karikieren, oder all das sagen, was man aus dem Mund der echten Vertreter leider nie zu hören bekommt.

In ihrem zweiten Film, The Yes Men Fix the World - der auch die NYT-Aktion dokumentiert - erklären sie so z.B. vor einem Millionen-TV-Publikum im Namen von Dow Chemical, die volle Verantwortung für die Katastrophe von Bhopal vor 20 Jahren zu übernehmen und volle Entschädigungen zu zahlen. Kurz nach unserem Gespräch machten Andy Bichlbaum und Mike Bonanno auch auf der Berlinale nicht nur durch die begeistert aufgenommene Premiere des Films Schlagzeilen: In ihren "Survivaball"-Kostümen stürmten sie den Roten Teppich der "Cinema For Peace"-Gala, um darauf hinzuweisen, dass deren Sponsor BMW durch die Produktion umweltfreundlicherer (oder gar keiner) Autos mehr für die Sicherung des Weltfriedens tun könnte als durch solche Glamour-Events.

Als denn - was glaubt ihr, was nun nach dem Kapitalismus kommt?

Andy Bichlbaum: Vermutlich Kapitalismus.

Mike Bonanno: Kapitalismus light, für eine Weile. Irgendwann muss dann aber etwas anderes kommen, weil es mit dem Wachstum nicht ewig so weitergehen kann. Wir werden die Dinge, die wir unbedingt benötigen, aufgebraucht haben, und dann brauchen wir ein anderes System, das nachhaltig ist. Hoffentlich schaffen wir den Wechsel, bevor es zu spät und alles zerstört ist.

Andy Bichlbaum: Wenn ihr beiden von "Kapitalismus" sprecht, dann meint ihr "Turbo-Kapitalismus", oder? Und nicht, dass die Leute irgendwann nicht mehr auf den Markt gehen und Gemüse verkaufen, oder so...

Gute Frage. Im Moment scheint ja fast alles möglich, wenn es so weitergeht. Ein guter Zeitpunkt also für euren Film?

Mike Bonanno: Ja, ganz klar, ein guter Zeitpunkt für diesen Film: Alles geht den Bach runter, und der Film will uns daran erinnern, warum. Die letzten 30 Jahre haben wir diese Freier-Markt-Fantasie verfolgt, und jetzt bekommen wir die Quittung dafür präsentiert. In dem Film geht es in vielerlei Hinsicht um das Versagen dieser Systeme - und am Ende sagt er: Lasst uns diesen Moment nutzen. Lasst uns das System jetzt ändern, wo wir noch die Chance dazu zu haben scheinen.

Wenn "Die Krise" ein Gutes hat, dann doch, dass plötzlich wieder Raum ist für neue Ideen, oder mundtot gemachte.

Mike Bonanno: Ja, die Leute sind wieder offen für Ideen, die vor einem Jahr nicht mal Teil des Diskurses waren. Es gab nur so ein bisschen "Öko-Konsumverhalten", was absurd war. Wir waren zuletzt auf dem Sundance Filmfestival, und da bewarben sie dieses abgefüllte "Öko-Wasser", das angeblich die Welt retten sollte. Das ist doch genau der Widerspruch: Eine Bewegung, die auf Konsum basiert, taugt nicht, um die Welt zu retten. Da ist fundamental der Wurm drin.

Und derzeit öffnen vielleicht die Leute ihre Augen und denken nicht nur über Ideen nach, wie man die Banken regulieren kann. Sondern vielleicht auch: Okay, wo müssen wir sonst noch regulierend eingreifen, was uns richtige Probleme bereiten wird - Klimawandel, Verbrauch fossiler Brennstoffe, extreme Einkommensunterschiede, soziale Ungerechtigkeiten...

Gar nicht viel also...

Mike Bonanno: (Lacht) Nein, alles lauter Kleinigkeiten. Andererseits: Da wird viel als die komplexeste Sache der Welt dargestellt, aber nehmen wir die Abholzung des Regenwalds, okay? Ein Riesenproblem. Aber wir wissen, was mir tun müssen, um es abzustellen. Wir müssen aufhören den Regenwald abzuholen. Das ist verdammt einfach. Ich meine, es ist schwerer, ihn abzuholzen als ihn einfach stehenzulassen. Wie kann man also Gesetze durchsetzen, die Anreize schaffen, dass die Leute dort ihn nicht mehr abholzen müssen?

In eurer Arbeit geht es viel darum, die Fiktionalität von Dingen aufzuzeigen, die als unverrückbar "real" gelten. Im Moment erlebt die Welt diese Enthüllung ja im großen Stil.

Mike Bonanno: Ja, seit dem Crash ist es für viele Leute ziemlich offensichtlich geworden, dass an dem System etwas Fake ist - es bricht zusammen, und nichts ist dahinter. Die Dritte Welt hat das natürlich schon seit Jahrzehnten mitbekommen. Die haben die Auswirkungen davon schon lange erlebt. Es wird also langsam Zeit.

Wird sich eure Arbeit durch die Krise ändern?

Mike Bonanno: Das hat sie schon. Wir können über Dinge reden, über die wir vorher nicht reden konnten. Man kann jetzt in den USA das Wort "Kapitalismus" in einem Satz auf kritische Weise verwenden, ohne dafür ausgelacht zu werden. Das ist eine Riesensache! Wenn solche Veränderungen möglich sind, dann können wir mehr über mögliche Lösungen für die Probleme reden, als dass wir nur taktisch gegen Dinge opponieren, die man uns eintrichtert. Daher kam zum Beispiel die gefälschte New York Times, die wir und eine Reihe anderer Gruppen kurz nach der Wahl in New York verteilten.

Eine Menge von den Utopien in dieser Zeitung scheinen heute schon viel eher verwirklichbar als wohl selbst noch zu dem Zeitpunkt, als ihr die Aktion durchgeführt habt...

Mike Bonanno: Einiges davon ist sogar schon halbwegs wahr geworden. Der Irakkrieg wird enden - was er freilich noch nicht hat, auch wenn die Leute schon so darüber reden, als wäre er vorbei. Guantanamo wird geschlossen. Es gibt ein Höchstlohn-Gesetz für Manager von Firmen, die Staatshilfe in Anspruch genommen haben. Aber es war immer als realistische Liste von Dingen gedacht, die uns spontan einfielen. Wir haben ein paar Freunde von uns aus der schreibenden Zunft gefragt: "Überleg dir, was du in sechs Monaten gern sehen würdest." "Ja, dies könnte ich mir vorstellen, jenes könnte ich mir vorstellen." Alles davon konnte man sich leicht vorstellen. Es ist also keine große Überraschung, dass einige von ihnen jetzt eintreten. Nur: Viele von ihnen werden nicht eintreten, wenn wir nicht dafür sorgen, dass sie eintreten. Das ist letztlich die Botschaft dieser Zeitung: Um die Dinge zu verbessern, musst du aktiv werden.

Klingt ein bisschen wie Obamas Antrittsrede...

Mike Bonanno: Ja! Das macht eigentlich mehr Hoffnung als alles andere: Dass er sich dessen bewusst scheint. Er will den Leuten Hoffnung und Aufbruchsstimmung vermitteln, die Ding zu ändern. Und sieht sich nur als Funktion der Menschen. Freilich kann man seine Rede auch lesen als: Ihr müsst mit niedrigen Löhnen zufrieden sein, und eure Privilegien als Arbeiter aufgeben. Wenn man will. Aber eben auch als: Ihr müsst aktiv werden und tatsächlich die Dinge verändern.

Wieviel Hoffnung habt ihr in Obama und seine Präsidentschaft?

Andy Bichlbaum: Ich denke, unsere Hoffnung sind wir selbst. Ich habe sehr viel Hoffnung, dass die Leute auf die Straße gehen, wenn es nötig ist. Jeder erwartet momentan, dass sich etwas zum Besseren wendet. Wenn das nun nicht eintritt, und die Leute mit Geld uns weiterhin erzählen, dass wir keine Wahl haben, keine Alternative, und die Leute ihre falschen Hoffnungen enttäuscht sehen - dann werden sie auf die Straße gehen und ihre Forderungen laut machen. Dann werden sie Leute erwürgen... Sie werden raus gehen und verlangen, dass etwas geschieht. Ich glaube, die Chancen dafür stehen gut.
(Pause)
Keine Ahnung. (Lacht)

Aber ist nicht der Unterschied zu etwa den Protestmärschen während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, dass damals vielen Leuten der Kommunismus noch eine praktikable Alternative schien? Während heute kein System in Sicht ist, das sich als die richtige Lösung verkaufen lässt?

Andy Bichlbaum: Vielleicht gibt es ja ein gutes System, auf das wir nur noch nicht gekommen sind. Vielleicht wäre ja auch der Kommunismus ein tolles System, wenn man einige seiner Probleme beheben könnte.

Das kann man genauso über den Kapitalismus sagen...

Andy Bichlbaum: Genau. Aber: Wir müssen gar nicht so eine grundsätzliche Entscheidung treffen. Es gibt Zillionen Dinge, die jetzt sofort besser sein könnten. Wir brauchen keine Alternative von dieser fundamentalen Größenordnung. Es gibt tausende kleine Alternativen, die greifbar und sichtbar sind. Wir müssen nicht unbedingt das System umstürzen, um etwas zu verbessern.

Aber es ist ungleich leichter, eine Massenbewegung in Gang zu bringen, wenn man sie hinter einem einfachen Schlagwort versammeln kann, als wenn man den Leuten sagt: Ihr müsst all diese kleinen Dinge auf kleine Weise verändern.

Andy Bichlbaum: Vielleicht sollten wir einen neuen "-ismus" erfinden.

Mike Bonanno: Wir brauchen ein neues Wort. Sowas wie: "Anti-Schlechtismus" ("Anti-badism"). "Gutismus" ("Goodism"). (Lacht)

Also: Betrachte die Auswirkungen unserer politischen Entscheidungen auf die Armen und die Umwelt. Sind sie gut, dann weiter so, sind sie schlecht, dann hör auf damit. Das ist "Gutismus", "Anti-Schlechtismus." (Lacht)

Vielleicht sind manche dieser Lösungen marktbasiert, und man muss den Markt öffnen, damit sie greifen können. In anderen Fällen muss man vielleicht den Markt ausschalten. Vielleicht zählt am Ende nur die fundamentale Nagelprobe: "Bewirkt es Gutes? Okay, gut. Bewirkt es Schlechtes? Hör auf damit!"

Aber dann muss man natürlich "gut" und "schlecht" definieren. Gut und schlecht für wen?

Andy Bichlbaum: Stimmt.

Mike Bonanno: Für die Armen.

Andy Bichlbaum: Wir brauchen halt einen Slogan. Etwa: Unterm Strich für die Armen...

Mir gefällt "Anti-Schlechtismus". Oder "Pro-Gutismus". (Lacht)

Mike Bonanno: Ich bin total für's Gute! (Lacht)

Mike Bonanno: Wir haben eine ganzheitliche Lösung - beruhend auf einer Million kleiner Teile.

Andy Bichlbaum: Leute machen sich immer lustig darüber, wenn man gegen Krieg ist. "Hey, du bist gegen Krieg - wow!" Vielleicht sollte man einfach dazu stehen und sagen: "Ja. Ich bin gegen Krieg. Ich bin gegen das Schlechte." Und wenn sie dann sagen: "Wir müssen die Steuern für die Reichen senken," dann sagt man einfach: "Nun, das ist schlecht."

Außer für die Reichen...

Andy Bichlbaum: Außer für die Reichen - also ist es überwiegend schlecht... (Lacht)

Mike Bonanno: Klar, man kommt zu diesen grundsätzlichen Fragen. Lass uns auf die Regenwald-Geschichte zurückkommen: Wir holzen den Regenwald ab, und angeblich beschleunigt das erheblich den Klimawandel, und es löscht erhebliche Teile des Bioms aus. Was tun wir also? Nun: Die Abholzung des Regenwalds hat einen eingeschränkten positiven Effekt für ein paar Leute, die davon abhängig sind, um genug zum Überleben zu verdienen. Auf der anderen Seite steht ein immenser Schaden, eben die Abholzung des Regenwaldes, die jedermann schadet. Also sagen wir: Die muss aufhören. Dadurch ergibt sich wieder etwas Schlechtes - nämlich die Auswirkung davon auf die relativ kleine Zahl von Leuten vor Ort. Was wir also brauchen ist ein Weg, diesen Leuten zu helfen, so dass sie den Wald nicht abholzen müssen. Und sie dann vom Abholzen abhalten. Dann scheint das Problem doch gelöst.

Ist es nicht komisch: Man hat uns, vor allem in den letzten 30 Jahren, immer gesagt, Lösungen für diese Probleme zu finden ist allein den Experten vorbehalten, nur sie blicken da durch. Aber wenn man ihre Lösungen anschaut, sind die total absurd - wie die des Wirtschaftsexperten und Nobelpreisträgers Milton Friedman, der in unserem Film einen prominenten Platz einnimmt. Er hat diese total bizarre Idee, dass Gier im Grunde gut ist, und wenn wir der Gier - er benutzt sogar dieses Wort - freien Lauf lassen, dann wendet sich alles für alle zum Besten. Darauf hat die letzten 30 Jahre das gesamte System basiert. Die Regierungschefs waren Anhänger dieser Ideologie - sei es Reagan und Thatcher, bis hin zu Blair und Clinton. Wir sollten etwas mehr unseren gesunden Menschenverstand nutzen, statt uns auf solche Experten zu verlassen.

Wo wir grade davon sprechen: Haben die Friedman-Schüler, die ihr in eurem Film interviewt, den Film schon gesehen?

Mike Bonanno: Noch nicht. Wir möchten, dass sie für die DVD einen Audiokommentar aufnehmen.

Andy Bichlbaum: Mal schauen, ob sie sich darauf einlassen.

Mike Bonanno: Zumindest bekommen sie dadurch die Gelegenheit zu Antworten, oder?

Andy Bichlbaum: Ich glaube nicht, dass sie zustimmen werden.

Mike Bonanno: Wir müssen ihre Ablehnungen aufnehmen.

Andy Bichlbaum: Ja! Wir rufen sie an und sagen: "Hi. Das ist unser Film. Wir wollten euch eine Chance geben, darauf..." Und dann mal hören was sie sagen.

Ihr habt sie vor einer Bluescreen interviewt und dann gefragt, welches Bild sie sich als Hintergrund projiziert wünschen. Einer wollte etwas, das symbolisiert, wie "freie Männer in einer freien Welt Dinge nach ihrem freien Willen tun," oder so ähnlich. Ihr habt daraufhin schwule Fetischillustrationen gewählt. Und ich muss sagen, der Witz wird den ganzen Film über nicht alt...

Mike Bonanno: Ja, ja! Jeder liebt Tom of Finnland. Jeder klatscht, wenn er Spanking- und Lederszenen sieht... (Lacht)

Wenn ihr eure Projekte plant und durchführt, wie sehr spielt da die Tatsache eine Rolle, dass sie später Teil eines Films werden sollen?

Mike Bonanno: Das ist immer ein wichtiger Punkt bei unserer Arbeit - zu schauen, dass es auch auf Video funktioniert. Von dem Moment an, wo wir vor Ort ankommen, und auch schon bei der Planung, überlegen wir, was visuell funktionieren wird - nicht nur für das Publikum bei der Veranstaltung, sondern auch für das Filmpublikum. Wir wissen, dass wir auf gewisse Weise gleichzeitig für verschiedenes Publikum auftreten: Zunächst ist da das Publikum bei dem Vortrag, das die Sache live erlebt. Dann das Publikum, das darüber in der Zeitung liest - denn wir laden für gewöhnlich einen Journalisten ein, oder senden anschließend eine Pressemeldung mit ein paar Fotos raus. Weil, wenn die Leute nichts darüber lesen, dann ist es so, als hätte es gar nicht stattgefunden. Und schließlich soll daraus, seit unserem ersten Film, auch immer noch ein Film werden. Denn der entwickelt ein Eigenleben. Der hat ein längeres Verfallsdatum, noch drei Jahre nach dem Start leihen ihn sich Leute gegenseitig aus und diskutieren darüber. Es gibt immer noch Leute, die unseren ersten Film zum ersten Mal sehen und uns dann Emails schreiben, um mit uns über Ideen zu diskutieren, wie eine Handelsregulierungsorganisation aussehen könnte... Wir hoffen, dass diesem Film ein ähnliches Leben vergönnt ist.

Habt ihr noch viele der gefälschten Lock-Websites laufen, über die ihr eure meisten Einladungen für Interviews und Vorträge als vermeintliche Vertreter großer Organisationen und Firmen an Land zieht?

Mike Bonanno: Kaum noch. Viele von ihnen wurden abgeschaltet, weil wir die Rechnungen nicht zahlen konnten. Manche mussten wir aus juristischen Gründen aufgeben. Außerdem sind die Suchmaschinen um einiges besser geworden als früher, wenn es darum geht zu entdecken, dass es sich um eine gefälschte Website handelt. Selbst wenn man es noch schafft, recht hoch gelistet zu werden, steht da ein Vermerk "Fake" oder "Spoof" oder so. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leute aus Versehen darauf geraten, sinkt also, ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, bei Suchmaschinen höhere Positionierungen zu bekommen. Es ist also alles etwas schwieriger geworden. Aber man kann auch auf anderen Wegen einen Fuß in die Tür bekommen...

Außerdem werdet ihr mit zunehmender Bekanntheit leichter wiederzuerkennen...

Mike Bonanno: Ja, das auch. Auf längere Sicht könnte das zum Problem werden. Manchmal werden wir auf Konferenzen schon erkannt. Wenn da hundert Leute im Raum sind, erkennt uns vielleicht einer. Meistens halten sie still, weil das eher subversive Leute sind, die sehen wollen, was passiert. Statt unseren Schwindel auffliegen zu lassen, genießen sie still die Performance.

Vielleicht wird sich die Natur eurer Projekte verändern. Die New York Times-Geschichte hat ja funktioniert, ohne dass ihr irgendwo auftreten musstet.

Mike Bonanno: Die New York Times-Sache ist ein bisschen was Eigenes, weil das eine größere Geschichte mit vielen anderen Gruppen zusammen wurde. Das entwickelt eine Eigendynamik.

Das war diejenige eurer Aktionen, über die auch hier in Deutschland mit Abstand am meisten berichtet wurde. Sie war sogar in den Fernsehnachrichten.

Mike Bonanno: Ja, das ist toll! Ich glaube, sie hat den Zeitgeist getroffen. Das kam zu einem Zeitpunkt, der für die Leute sehr emotional war, wo sie viel Hoffnung erlebten - aber auch ein schleichendes Gefühl der Besorgnis, der Angst wie es weitergehen würde. Jeder konnte sehen, dass Obama schon wieder von Kabinettsmitgliedern umgeben ist, die auch Teil der Clinton-Regierung waren, insbesondere in den Wirtschaftsressorts, und die im Prinzip auch Freier-Markt-Ideologen sind. Sie sind diejenigen, die mit Clinton die Bankengesetze liberalisiert haben. Ehemalige Goldman-Sachs-Manager. Kein Unterschied zu den von Bush Ernannten. Obama wird von Investment-Bankern beraten. Drum macht man sich da viele Sorgen. Alle, die mitgearbeitet haben, dass Obama die Wahl gewinnt, sehen das und sagen sich: "Wie können wir dafür sorgen, dass wir jene Entscheidungen durchdrücken, die wir wollen?" Das war eines der Dinge, um die es bei dieser Zeitung ging: Die Leute zu erinnern, was das Ziel ist.

Wie habt ihr dieses Projekt finanziert bekommen?

Andy Bichlbaum: Wir haben eigentlich einfach nur Emails an unseren Verteiler geschickt und geschrieben, dass wir um die Wahl herum eine größere Sache planen und dafür Geld bräuchten. Und die Leute haben mit Begeisterung geholfen.

Mike Bonanno: Viele kleine Spenden. Die Leute haben zehn Dollar gegeben, manchmal 50.

Was hat die ganze Aktion gekostet?

Andy Bichlbaum: Es hat rund $6000 gekostet, 100.000 Exemplare drucken zu lassen. Und dann nochmal ca. $3000 für alles andere.

Das hätte ich mir teurer vorgestellt...

Andy Bichlbaum: Es ging. Das war sehr billig. Es hat ungefähr soviel gekostet wie unsere anderen Aktionen.

Als ihr im Namen von Dow Chemicals vor laufender Fernsehkamera erklärt habt, die volle Verantwortung für die Bhopal-Tragödie zu übernehmen, brach schlagartig der Aktienkurs um vorübergehend rund $2 Milliarden ein. Hattet ihr da nicht Angst, euch der Aktienmanipulation strafbar zu machen?

Andy Bichlbaum: Das wäre nur illegal gewesen, wenn wir es absichtlich gemacht hätten, um den Aktienkurs zu drücken. Aber das war ja nicht der Fall.

Ich mag die Passage in eurem Film, wo ihr selbst nach Bhopal fahrt und euch den Leuten stellt, nachdem es heißt, ihr hättet mit eurer Aktion bei den Überlebenden der Katastrophe falsche Hoffnungen geweckt und sie bitter enttäuscht.

Mike Bonanno: Als in den Nachrichten behauptet wurde, wir hätten bei den Opfern falsche Hoffnungen geweckt, haben wir uns ziemlich mies gefühlt. Es stand in der Zeitung, also glaubten wir es, und dachten: "Oh Gott, haben wir Mist gebaut? War das falsch, was wir getan haben?" Wir haben uns deshalb selbst ziemlich fertig gemacht, obwohl wir uns total freuten, dass es uns gelungen war, so viel Presse und soviel Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen. Gleichzeitig hatten wir Bauchschmerzen, dass wir die Opfer verletzt hätten. Aber dann fuhren wir nach Bhopal. Bzw. noch bevor wir hinfuhren, hatten wir Kontakt zu einigen der Gruppen der Überlebenden, und die sagten: "Klar, wir waren anfangs schon etwas sauer, als wir das hörten. Aber sobald wir verstanden, worum es euch ging, waren wir überglücklich. Das war die Sache total wert."

Die Leute machen sich falsche Vorstellungen von diesen Überlebenden- oder Opfergruppen. Sie stellen sich die als naiv vor, oder nur als Opfer und sonst nichts. Während die in Wahrheit in eine sehr komplexe Strategie verwickelt sind, mit der sie Dow und die Regierung dazu zwingen wollen, den Kurs zu ändern. Und dem haben sie sich seit über 20 Jahren verschrieben. Das sind Leute mit sehr viel Würde, und zwar ursprünglich vielleicht nicht gebildet. Aber sie haben sich selbst in globaler Geopolitik gebildet. Letztendlich freuen sie sich wahnsinnig über jede Hilfe, oder auch nur die Absicht, ihnen zu helfen.

Die nähren schon seit 20 Jahren falsche Hoffnungen, dass die Situation sich ändern würde. Lass es mich so sagen: Ein bisschen mehr davon war für sie nichts. Man hat ihnen auch schon früher gesagt, dass sie Entschädigungen erhalten würden. Es gibt eine ursprüngliche Einigung mit Union Carbide über $470 Mio., aber die meisten der Leute haben von diesem Geld nie etwas gesehen, weil ein Teil davon bis jetzt von der indischen Regierung zurückgehalten wird. Aus irgendwelchen seltsamen bürokratischen Gründen haben sie noch immer die Hälfte davon. Und ein großer Teil davon ging an reichere Leute in Bhopal statt an die Opfer, weil man erstmal beweisen musste, wer man war. Es gab also falsche Hoffnungen auf Entschädigung, falsche Hoffnungen darauf, dass das ehemalige, giftverseuchte Fabriksgelände saniert würde, oder die Verseuchung des Trinkwassers behoben. Nichts davon ist je eingetreten. Sie sind das also gewohnt...

Und immerhin: Ihr habt euch der Verantwortung gestellt. Wenn man etwas getan hat, das potentiell Leute verletzt hat, dann geht man dort hin und stellt sich dem.

Andy Bichlbaum: Ja. Das hätte Dow tun sollen. Wir haben gehofft, dass die Zuschauer auch sehen: So sieht eine menschliche Reaktion darauf aus, wenn man so etwas Fragwürdiges tut. Und so machen dass Firmen...

Ironischerweise seid ihr durch den Film selbst Teil des Kreditproblems geworden, habt euch tief verschuldet?

Mike Bonanno: Wir haben für eine Menge Sachen bezahlt. Wir hätten ihn wohl billiger drehen können. Aber im Lauf der Jahre hatten wir immer wieder diese Abmachungen, die den Film finanzieren sollten. Wann immer wir also vermeintlich Geld hatten, sagten wir: "Okay, wir stellen wen an." Wir haben z.B. jemanden verpflichtet, der mit uns als Kameramann nach Indien gereist ist - aber nur, weil wir dachten, dass Geld reinkommen sollte. Doch das Geld kam nie, und wir haben trotzdem dem Typen, der mit uns nach Indien ist, den versprochenen Lohn geschuldet. Da kam eine Menge solcher Dinge zusammen.

Ihr müsst jetzt in dem gegenwärtigen ökonomischen Klima euren Film verkaufen. Wie läuft das so?

Andy Bichlbaum: Die Marktsituation ist in der Tat schlimm, aber die Leute reagieren extrem positiv auf unseren Film. Wenn die Zeiten schlecht sind, haben die Leute ein Bedürfnis nach Dingen, die ihnen helfen, damit klar zu kommen, und so wird die Kultur wichtiger denn je. Vielleicht hilft uns das. So, wie in Kriegszeiten die Menschen bekanntermaßen viel ins Theater oder Kino gehen. Ja, vielleicht hilft unser Film den Leuten, mit der Situation gedanklich besser klarzukommen.