Neue Rettungs- und Konjunkturpakete: Für die Schwächsten fällt nur wenig ab

Obama will mit 800 Milliarden-Dollar die Wirtschaft ankurbeln, Billionen in den Finanzmarkt pumpen und Deutschland fördert den Mittelstand mit 50 Milliarden Euro

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Heute werden der US-Senat und das Repräsentantenhaus über das geplante 789 Milliarden Dollar schwere Konjunkturpaket von Barack Obama abstimmen. Es scheint, dass der neue US-Präsident das abgespeckte Paket durch beide Häuser bekommt. Der Demokrat stützt sich aber nur auf wenige republikanische Stimmen, weshalb Überraschungen nicht völlig ausgeschlossen sind. Heftig gezerrt wird noch am Paket in Billionenhöhe zur Stabilisierungen des US-Finanzsystems. In Deutschland trat heute der Bundestag zu der abschließenden Beratung über das über das zweite Konjunkturpaket zusammen und segnete es mit den Stimmen der großen Koalition ab. Allerdings muss es noch die Hürde im Bundesrat nehmen, wo der Widerstand der Länder wächst.

Die wochenlangen Verhandlungen hat man sich in Washington zu einem Kompromiss durchgerungen. Obamas Demokraten mussten ziemlich viel geben, um an wenige Stimmen von Republikanern zu kommen, um die nötigen Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat zu erhalten. Daran ändert auch die optimistische Darstellung des demokratischen Mehrheitsführers im Senat, Harry Reid, nichts, der den erzielten Kompromiss lobte: "Wir waren in der Lage, die Differenzen zu überbrücken", sagte er.

Allerdings dürfen Überraschungen bei der Abstimmung, ähnlich wie beim Rettungspaket von Bush (siehe Finanzkrise erschüttert Börsen und erreicht endgültig Europa), nicht völlig ausgeschlossen werden. Dass Obamas Wunschkandidat für das Handelsministerium, Judd Gregg, gerade seine Kandidatur zurückgezogen hat, kann als düsteres Zeichen gewertet werden. Der Republikaner hat den Schritt mit starken Differenzen zum Konjunkturprogramm begründet. Es könnte sein, dass die Republikaner trotz der Zugeständnisse dem Präsidenten schon zu Beginn der Amtszeit eine harte Niederlage beibringen wollen.

Republikaner freuen sich über 282 Milliarden Steuererleichterungen

Vor dem Kompromiss hatten der Senat und das Repräsentantenhaus jeweils eigene Pakete verabschiedet, deren Umfang mit 838 Milliarden und 820 Milliarden Dollar deutlich höher ausfielen, als das Kompromisspaket mit 789 Milliarden (614 Milliarden Euro). Vier wesentliche Bereiche umfasst dieses Paket: Steuererleichterungen für Haushalte und Unternehmen, Investitionen ins Gesundheitswesen und in erneuerbare Energien, Investitionen in die Infrastruktur und finanzielle Hilfe für Bundesstaaten und Kommunen, worin Zuschüsse für Arbeitslose enthalten sind, die über keine Krankenversicherung verfügen.

Das Paket habe nun "die richtige Größe", sagte die republikanische Senatorin Olympia Snowe, die entscheidend an der Einigung mitgewirkt hat. Sie kann zufrieden sein, denn mehr als ein Drittel der Gesamtsumme fließen als Steuererleichterungen. Das sind 282 Milliarden Dollar und das liegt ganz auf der Linie der Republikaner. Das gilt auch dafür, dass die geplanten Finanzhilfen für die Bundesstaaten, für den Bau und die Renovierung von Schulen auf Druck der Republikaner genauso gekürzt wurden, wie die Unterstützung für die Krankenversicherung von Arbeitslosen.

Gekürzte Programme für die Schwächsten

Damit haben die Republikaner Obama schon einige Zähne gezogen und bereiten den Unmut in seiner Wählergruppe vor. Denn für die Schwächsten fällt nur wenig ab. Der Staat erhöht seine Ausgaben für Essensmarken auf zwei Jahre befristet um 20 Milliarden Dollar. In den Bereich fällt auch, dass die Arbeitslosenhilfe um 20 Wochen verlängert und die Unterstützung um 25 Dollar pro Woche angehoben wird, was mit etwa 60 Milliarden zu Buche schlägt.

Den Arbeitslosen soll auch geholfen werden, die Beiträge zur Krankenversicherung weiter bezahlen zu können. Der Staat will die Beiträge zu der privaten Versicherung mit 60 % subventionieren. Damit soll verhindert werden, dass noch mehr Menschen ohne Krankenversicherung sind (siehe Zunahme der Armen in den USA) und gleichzeitig wird die angeschlagene Versicherungswirtschaft ( siehe Hunderte Milliarden zur Stabilisierung der Finanzmärkte in den Geldmarkt gepumpt) gestützt.

Das ist zwar im Vergleich zum deutschen Konjunkturpaket nicht so schlecht, wo die Ärmsten voll in die Röhre gucken ( siehe 50 Milliarden für Wahlkampfgeschenke). Doch eine deutliche soziale Schieflage hat auch das Paket in den USA. Der große Teil der Maßnahmen kommt denen zu Gute, die eigentlich keine Hilfe brauchen. Ein großer Teil der Steuererleichterungen fließt über Gutschriften in einer Höhe von 400 Dollar pro Person und 800 Dollar pro Familie. Doch um in den Genuss des Geldes zu kommen, muss das Jahreseinkommen 75.000 respektive 140.000 Dollar ausmachen. Normalverdiener schauen auch hier in die Röhre und auch das ist ein Sieg der Republikaner.

150 Milliarden Dollar sollen in Infrastrukturmaßnahmen fließen

Das sind etwa 20 % des Gesamtpakets und damit der zweitgrößte Posten. Das Geld soll in arbeitsintensive Bereiche, wie der Ausbau von Straßen, Stromleitungen und Schienenwege fließen. Auch für den Ausbau des Breitbandkabelnetzes sollen daraus 7,2 Milliarden ausgegeben werden und mit 11 Milliarden soll die Energieversorgung verbessert werden. Insgesamt knapp 10 Milliarden sollen in die Gebäudesanierung fließen, auch um die Energieeffizienz zu steigern.

Die protektionistische "Buy-American"-Klausel wurde in dem Kompromiss abgeschwächt, allerdings nicht beseitigt. War in der ursprünglichen Version vorgesehen, dass bei Bauvorhaben ausschließlich Eisen, Stahl und andere Materialien aus US-Produktion verwendet werden dürften, wurde die Klausel nun ergänzt. Die Ausschreibungen sollen im Einklang mit den Verpflichtungen der USA aus internationalen Abkommen stehen, heißt es in dem Zusatz. Zuvor hatten die EU, Japan und Kanada heftig protestiert.

Es war klar, dass eine solche Klausel den Protektionismus angeheizt hätte, der ohnehin, trotz gegenteiliger Beteuerungen (siehe Auch in Davos wird nach dem Staat gerufen) schon allseits zu beobachten.

Trotz der Zugeständnisse an die Opposition zeigte sich Obama zufrieden über den Kompromiss, "der mehr als dreieinhalb Millionen Jobs retten oder schaffen und unsere Wirtschaft wieder in Fahrt bringen wird", sagte er. Dass damit Jobs gerettet werden, ist klar, dass Jobs geschaffen werden, ist zweifelhaft, genauso wie die Tatsache, dass mit diesem Paket tatsächlich das Land aus der tiefen Rezession geholt werden könnte.

3 Millionen neue Stellen nicht genug

Angesichts von 3,6 Millionen Stellen, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise schon vernichtet wurden, wären auch 3 Millionen neue Stellen nicht genug. Die Arbeitslosenquote ist im Januar auf 7,6 Prozent gestiegen, auf den höchsten Stand seit 1992. Im dreizehnten Monat in Folge wurden Stellen abgebaut, diesmal waren es fast 600.000 und das war damit der stärkste Einbruch seit 1974. Die Summe von 789 Milliarden für das Paket hört sich zwar gewaltig an, doch die verteilen sich über drei Jahre. Bis Oktober sollen 214 Milliarden ausgegeben werden, womit sicher kein durchschlagender Effekt erzielt wird.

Ein wesentliches Problem wird ohnehin nur ganz am Rande berührt: der Immobilienmarkt. Das Platzen der Schuldenblase am Immobilienmarkt ist aber eine der Hauptverursacher der Krise. Dass der Staat nun den Hauskäufern einen Kredit über 8000 Dollar anbietet, wird kaum zu einer Stabilisierung des Immobilienmarkts führen. Doch ohne die werden sich immer neue und riesige Finanzlöcher in den Bilanzen der Banken auftun. Die großen Immobilienfinanzierer können davon ein Lied singen. Ihr Absturz war fulminant, inzwischen wurden sie verstaatlicht (sieh Die größten Immobilienfinanzierer der USA unter staatlicher Kontrolle) und schreiben weiter Rekordverluste.

Steigende Zahl von Zwangsversteigerungen

Doch allseits wird erwarten, dass sich vor 2011 der US-Immobilienmarkt nicht erholen wird, denn die Preise fallen weiter. Die steigende Zahl von Zwangsversteigerungen verdeutlicht dieses Problem und macht auf die Misere von unzähligen Familien aufmerksam. Sie haben 2008 um 81 Prozent zugenommen; fast 2 % aller US-Wohnungen und Häuser mussten an die Gläubiger übergeben werden.

Eine Karte im Internet setzt diese Misere ins Bild, hinter der enormer sozialer Sprengstoff steht. Je röter das Bild, desto schlimmer die Lage. Und die Experten gehen davon aus, dass sich die Entwicklung auch im kommenden Jahr fortsetzt, der Preisverfall soll bis auf 35 % steigen. Der Moodys Wirtschaftsdienst Economy.Com rechnet 2009 mit einer weiteren Steigerung der Zwangsvollstreckungen um 18 Prozent. Erst 2011 werde sich der Immobilienmarkt erholen. Der Wert der Häuser liegt weit unter den Preisen, die für den Kauf bezahlt wurden, was weitere Abschreibungen nötig macht.

Maßnahmen an diesem neuralgischen werden in das bisher noch diffuse Rettungspaket von Finanzminister Timothy Geithner verschoben. So kochte bei den Parlamentariern der Unmut hoch, als Geithner am Dienstag versuchte Grundzüge seiner Pläne darzulegen. Sogar aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik: "Es gibt nicht viel, auf das wir uns einen Reim machen könnten“, klagte der demokratische Senator Robert Menendez über die unpräzisen Darstellungen von Geithner.

Bei den Hilfen für Hausbesitzer, die dabei sind ihr Heim zu verlieren, weil sie die Kredite nicht mehr bedienen können, spielt er auf Zeit. Seinen Plan wolle er in den nächsten ein bis zwei Wochen fertig stellen. Es würden diverse Optionen geprüft: von der Staatshilfe zur Verringerung der Monatszahlungen bis zur Schaffung von Standards für die Umschuldung der Kredite.

Befreiungsfond für toxische Papiere

Geithner, soweit ist bisher klar, will viel Geld in die Hand nehmen und auch privates Kapital mobilisieren. Ein Fonds soll die Aufgabe haben, den Banken und anderen Finanzmarktakteuren von den "Unwertpapieren" und toxischen Krediten zu befreien.

Gemeinhin wird behauptet, dass sie die Bilanzen der Banken belasten, was einer der Gründe dafür sei, dass immer weniger Kredite an Verbraucher und Unternehmen vergeben werden. Geschätzt wird, dass für eine solche Maßnahme zwischen zwei und vier Billionen Dollar benötigt werden.

Deutschland: Konjunkturpaket II mit sozialer Schieflage

In Deutschland wird dagegen über ganz andere Summen gestritten. Heute hat der Bundestag das Konjunkturpaket II beschlossen. Das Paket, dessen soziale Schieflage (siehe 50 Milliarden für Wahlkampfgeschenke) noch viel eklatanter als in der USA ist, wurde mit den Stimmen der Union und SPD verabschiedet. Die Opposition votierte gegen das Paket der großen Koalition, das ein Gesamtvolumen von 50-Milliarden Euro hat. Der damit verbundene Nachtragshaushalt wurde ebenfalls gebilligt. Damit ist nun offiziell, dass sich die Neuverschuldung auch den Rekord aus dem Jahr 1996 übertreffen wird. Beschlossen wurde auch die Reform der Kfz-Steuer, wonach sie für Neuwagen künftig auch nach dem CO2-Ausstoß berechnet werden.

In der Debatte hatte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Maßnahmen als erforderlich bezeichnet, um wieder Impulse für die Wirtschaft zu geben. Das sei nicht ohne die Aufnahme neuer Schulden möglich. In diese Kerbe schlug auch der neue Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. In seiner ersten Rede im Parlament erklärt er, noch nie sei so schnell und konsequent auf eine solche Krise reagiert worden. "Die Menschen in unserem Land" könnten erwarten, dass der Staat eingreife, wenn der Markt sich nicht mehr selbst helfen könne, weil sich einige durch Profitgier "versündigt" hätten.

Hypo Real Estate: "Steinbrück-Debakel"

Komisch nur, dass man einem der Sündiger, dem Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE), mit immer neuen Milliardenspritzen unter die Arme greift. Dem Institut wurden ohne größere Debatten mit 100 Milliarden Euro nun schon doppelt so viel Geld zur Verfügung gestellt, wie mit dem gesamten Konjunkturpaket ausgegeben werden soll. Den ganzen Vorgang könnte man auch "Steinbrück-Debakel" bezeichnen.

Die Frage ist, woher Guttenberg seine Weisheit nimmt. Denn von schnellem und konsequentem Handeln kann keine Rede sein. Zunächst versuchte Merkel (siehe Börsen in Panik) und Steinbrück die Krise und die sich abzeichnende Rezession zu ignorieren und wegzudiskutieren. Dann wurde ein Minikonjunkturpaket (siehe Am staatlichen Geldtropf) geschnürt und nun soll mit 50 Milliarden nachgelegt werden, die aber erst mit großer Verzögerung wirksam werden.

Horrorzahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland

Jedenfalls hat dieses Handeln dazu geführt, dass auch Deutschland mit höchster Geschwindigkeit in die Krise rauscht. Es ist erstaunlich, welche realitätsfernen Äußerungen Politikern im Parlament noch immer über die Lippen kommen, ohne dass sie vor Scham rot anlaufen. Denn gerade heute hat das Statistische Bundesamt Horrorzahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland vorgelegt. Nach Angaben der Wiesbadener Statistiker schrumpfte die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2008 sogar um 2,1 % im Vergleich zum Vorquartal.

Damit fällt der Konjunktureinbruch in Deutschland sogar noch stärker aus als in der Euro-Zone. Denn die europäische Statistikbehörde Eurostat (http://epp.eurostat.ec.europa.eu/pls/portal/docs/PAGE/PGP_PRD_CAT_PREREL/PGE_CAT_PREREL_YEAR_2009/PGE_CAT_PREREL_YEAR_2009_MONTH_02/2-13022009-DE-AP.PDF) teilte mit, die Wirtschaftsleistung in den Euro-Ländern sei im gleichen Zeitraum nur um 1,5 % geschrumpft. Aber auch das ist der schlechteste Wert seit Beginn der Eurostat-Quartalsberichterstattung im Jahr 1995. In Deutschland gehen die Exporte, Investitionen und auch die Konsumausgaben zurück, die Unternehmen produzierten auf Halde und die Arbeitslosigkeit steigt.

Wirkung?

Eine starke Wirkung auf diese Entwicklung wird das Berliner Paketchen nicht haben. Ohnehin muss am nächsten Freitag noch der Bundesrat über das Konjunkturpaket entscheiden. Verschiedene Bundesländer haben Nachbesserungen verlangt und um eine Mehrheit zu erreichen, braucht es die Unterstützung einiger Länder, in denen FDP, Grüne oder die Linkspartei mitregieren. Berlin hatte sich frühzeitig auf ein Nein festgelegt, aber auch in Hamburg und Niedersachsen regt sich Widerstand. Die FDP sendet allerdings aus den mitregierten Ländern zweideutige Signale aus.

Dabei lehnte der FDP-Chef Guido Westerwelle im Bundestag das Paket erneut ab: Er nannte es einen "Sammelsurium", bei dem Steuergeld "mit der Gießkanne" ausgeschüttet werde:

Es wird wenig wirken, aber die Schulden werden unfassbar lange bleiben.