Eine männliche Hure in der täglichen Exploitation-Show

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Abgründe des Showbiz, Körperspektakel, Schmerz und Nacktheit: Mickey Rourke in Darren Aronofkys "The Wrestler"

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Was bliebe von diesem Film, wäre da nicht Mickey Rourke? Ein bisschen Jackass, ein wenig Freakshow, viel Schaulust. Aber Rourke ist da, und so bekommt diese Reflexion des "White Trash"-Spektakels Wrestling hochkulturelle Weihen. Und tatsächlich: Darren Aronofsky blickt in The Wrestler bei allem spürbaren Befremden mit einer gewissen Anteilname auf seine Hauptfigur und ihr Milieu. Er erzählt von Randy "The Ram" und der Rückkehr dieses 1980er Showstars an die Spitze seines Berufs, und er erzählt von Mickey Rourke, dem Star des amerikanischen Spät-Autorenfilms der 80er und dessen Rückkehr auf die Leinwand. Man muss Rourke für diesen Film ungemein respektieren, aber noch immer sind die Gefühle Hollywoods für diesen proletarischen Rebellen ambivalent - das zeigte die Niederlage dieses Außenseiters bei den diesjährigen Oscars gegen den integrierten Sean Penn.

"Bang Your Head", "Hau Deinen Kopf" heißt das Musikthema, mit dem Randy in den Ring Einzug hält. Er war ein moderner Gladiator, ein Showstar in diesem seltsamen Sport, der in den USA, wo er nach wie vor in bestimmten Kreisen populär ist, "Wrestling" genannt wird. In Europa spricht man eher von Catchen, wobei die amerikanische Variante stilisierter ist, einerseits etwas weniger direkt, andererseits noch wilder, übertriebener. Ein "Spektakel des Exzess" hat der französische Kulturtheoretiker Roland Barthes das Wrestling 1957 genannt, und hinzugefügt, es sei, "als ob der Wrestler sich am hellen Tag und vor aller Augen kreuzigen ließe."

Ähnlichen Erfahrungen wird man auch in diesem Film begegnen. Cassidy, eine Stripperin, mit der Randy sich anfreundet, erzählt diesem bei Gelegenheit nicht zufällig vom Mel Gibson Film Passion of the Christ, der nicht nur eine Jesusgeschichte ist, sondern auch und vor allem von seiner brutalen Darstellung der biblischen Passionsgeschichte mithilfe zahlreicher Splattereffekte zehrt: "Es ist unglaublich. Sie schmeißen alles nach ihm - Felsen, Steine, Speere!" "Muss ein harter Typ gewesen sein", konstatiert Randy nüchtern. Er fühlt sich ebenbürtig, auch er ein Schmerzensmann, einer dessen Körper mit Narben übersät ist, und der nach jedem Kampf mit neuen Wunden und blutbesudelt gewaschen und zusammengeflickt werden muss. Und Cassidy ist, manchmal arg nahe am Klischee, die heilige Hure Maria Magdalena in dieser weltlichen, auf narrativer Distanz gehaltenen Passionsgeschichte.

Er ist alt und braucht das Geld

In der hat Randy Robinson genannt "The Ram" (der Rammbock) seine besten Tage längst hinter sich. Als der Film beginnt, streift die Kamera zunächst einmal über Ausschnitte alter Zeitungsartikel, Bilder von Kämpfen, Plakate. Deren Stil wie die Jahreszahlen verraten, dass der Ruhm aus den achtziger Jahren herrührt. Das Scheinwerferlicht strahlt auf Randy heute statt im Madison Square Garden nur noch in heruntergekommenen Hinterhofclubs von New Jersey. Er hat den Absprung nicht geschafft, seine Seele ist alt und der Körper kaputt geworden über die Jahre, Randy hustet, trägt ein Hörgerät, nimmt Augentropfen, den Körper hält er nicht nur mit hartem Training fit, längst helfen auch Medikamente und Drogen aller Art nach. Aber Randy hört nicht auf, als "The Ram" in den Ring zu steigen, er ist alt und braucht das Geld, selbst für die Miete für den Wagen im Trailerpark reicht es manchmal nicht.

Für die Auftritte färbt er sich langen Haare blond, bräunt sich im Solarium und wählt mit sicherer Geschmacklosigkeit im Billigmarkt die grellsten Farben und hässlichsten Klamotten. Dieses Drumherum ist gewissermaßen eine zusätzliche Entstellung seines Körpers - und schon hier ist es manchmal als Suche Randy alle Wege, um sich schneller zu zerstören, das Ende des Schreckens zu erreichen, aus dem er nicht aussteigen kann - denn es ist alles, was ihm bleibt, weil es alles ist, was er kann.

Doch "The Wrestler" ist damit nicht nur das Portrait eines armen, primitiven, auf seine Basics reduzierten Lebens, sondern auch Körperkino par excellence, die Actionvariante eines Autorenfilms. Man sieht Randy beim Zurichten des Körpers zu, nicht nur im Bodybuildingstudio, sondern auch beim Rasieren seiner Achseln. Aber: Irgendetwas an diesem Film hinterlässt ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmt nicht. Oder liegt es am Catcher-Milieu, für das man sich, zugegeben, nicht auf Anhieb interessiert?

Stacheldraht um die Körper, Tackern auf bloßen Schultern

Es sind vor allem zwei großartige Einfälle, die den vierten Spielfilm von Darren Aronofky tragen und zu einer außergewöhnlichen Zuschauererfahrung machen. Der eine ist der extrem genaue, zum Teil in quasidokumentarischem Realismus präsentierte Einblick ins Wrestlermilieu. Das kannte man bisher nicht, und der Regisseur kostet seinen Schauplatz in allen Einzelheiten, Ritualen und Tricks, vor allem in seinen Abgründen und seinen bizarren Seiten genüsslich aus.

Er zeigt die Vorbereitung, das Training, die Drogen, die Bandagen, die Absprachen, die Kameraderie der Kämpfer, bevor es zur Sache geht - Profis bei der Arbeit; aber auch hier ein Klischee vom sanften Samson bedienend, der zwar außen stark, aber innen weich und ein netter Kerl ist.

Er zeigt die Kämpfe selbst: Trotz aller Backstage-Absprachen enorm brutal, mit meterhohen Stürzen, Bratpfannen, die aufeinander gedroschen werden. Hier kommt Aronofsky, wie Gibsons "Passion", nicht ohne kleine Splattereffekte aus - wenn Stacheldraht um die Körper geschlungen und wieder herausgerissen wird, die Tackermaschine auf bloßen Schultern leergetackert wird, wenn Glasscherben auf den Leibern zerbersten und später in Splittern einzeln aus ihnen gezogen werden, oder wenn sich "The Ram" selbst mit einer Rasierklinge heimlich die Haut aufschlitzt, ein üblicher Trick, um den Showeffekt durch echtes Blut zu erhöhen.

Und er zeigt die Folgen: Kaputte Menschen, geschundene Körper. Das Kotzen in der Kabine, den Herzinfakt, der "The Ram" irgendwann aus dem Verkehr zieht und dazu zwingt umzusatteln und als ungelernte Arbeitskraft im Supermarkt anzuheuern. Die Einblicke ins Milieu hatte man bisher allenfalls in Dokumentarfilmen so sehen können. Aronofsky zeigt sie kühl, voller Faszination, aber dabei aus spürbarer Distanz. Der Blick des Regisseurs ist dabei nicht neugierig, suchend, er wirkt eher wie der eines Großbürgers, der sich in einen White-Trash verirrt hat, den er nie liebt, dem er sich eher anbiedert: Ein wenig sensationalistisch, am Extrem interessiert, und dieses ausstellend, mitunter nahe an der Exploitation der Körperspektakel der "low culture".

Der Film präsentiert die Schmerzen, die Wunden dieses Körpers breit und mit einem gewissen spürbaren Wohlgefallen; dabei auch mit den doppelbödigen Gefühlen des Publikums spielend. Dieser Eindruck wird übrigens wesentlich dadurch verstärkt, wie der Film mit der Stripperin Cassidy umgeht. Sie wird fast noch mehr ausgestellt, wird mindestens einmal zuviel beim Lapdance und nackt gezeigt, als es für das Erzählen der Geschichte nötig wäre.

Rourke - Narben und Entstellungen, Drogen und Chirurgie

Der zweite Einfall, der ganz auf dieser Linie liegt, und den Regisseur doch paradoxerweise vor entsprechenden Vorwürfen rettet, ist die Besetzung der Hauptrolle mit Mickey Rourke. Dies ist ganz und gar Rourkes Film, weil dieser fast in jeder Szene im Bild ist, weil er seine Rolle souverän spielt, vor allem aber weil Besetzung ganz offen mit den biografischen Überscheidungen zwischen Hauptfigur und Hauptdarsteller spielt, erfüllt vom schwindenden Charisma Rourkes: Ein Show-Superstar, der abgestürzt ist, der sich verkauft und dabei selbst verloren, seinen Körper verunstaltet hat, und in dessen Augen doch noch Feuer und Glanz der frühen Tage zu sehen sind.

Rourke/Randy ist ein altes, müdes Tier, das sich selbst schon längst überlebt hat, das aber weiter macht, weil er das Geld braucht und nichts besser kann, und weil es eigentlich auch schon längst zu spät ist zum Aufhören. Rourke spielt den eigenen Ausverkauf mit Stolz, ohne Weinerlichkeit und legt dabei doch eine ungemeine Ironie an den Tag. Immer wieder meint man ihn auch über sich selbst lächeln zu sehen, zu erkennen, dass hier einer jeden Augenblick seines großen Auftritts genießt, es könnte schließlich sein letzter sein. Der Film stellt dabei die Narben und Entstellungen von Rourkes Körpers - oder ist es Randys? -, die Folgen auch von Drogenkonsum und plastischer Chirurgie - von "Schönheitsoperation" scheut man sich zu sprechen - überdeutlich aus - und lebt zu einem Großteil davon.

Cinema povera als Freakshow

Jenseits dieser beiden Einfälle bleibt dann allerdings nicht viel. Formal ist alles eher bescheiden. Man lobt jetzt zwar, dass Aronofsky sich vom einstigen intellektuellen Achterbahnkino (PI, Requiem for a Dream) abgekehrt habe, zu einem "Neorealisten" gereift sei, doch ist sein neues "cinema povera" auch die Kapitulationserklärung eines ehemaligen Junggenies, das einst auszog das US-Kino zu erneuern, und nach Anfangserfolgen an unsäglichen Produktionsbedingungen scheiterte, sich mit dem völlig missglückten Lieblingsprojekt, dem Esoterikmelo The Fountain fast für alle Zeiten ins Abseits schoß, und sich zur Rettung dem Arthouse-Mainstream anpassen musste. Die Story ist konventionell, stellenweise sogar kitschig.

Nichts an "The Wrestler", vom Auftritt seines Hauptdarstellers abgesehen, bereichert das Kino, bringt es irgendwie voran. Und doch ist es müßig, zu fragen, was von diesem Film bliebe, hätte er nicht Mickey Rourke. Und Marisa Tomei. Denn er hat sie. Insofern ist "The Wrestler" in erster Linie die dichte Beschreibung eines Showbetriebs, manchmal nahe an der Freakshow, die durch den Hauptdarsteller auch zu der der Kinomechanismen wird. Die Zeit von Mickey Rourkes Kino ist vorbei, hier lebt sie nochmals auf, bevor sie am Ende, wenn die Leinwand in Randys letztem Kampf schwarz wird, in einem Todesbild untergeht. Mit "The Ram" stirbt, fast hätten wir es vergessen, auch ein Teil von uns.