Nous accusons?!

Benedikt XVI. und die Piusbruderschaft: Fragmentarische Gedanken zweier Ungenannter

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vorbemerkung der Redaktion: Der Druck auf römisch-katholische Theologen ist offenbar derzeit so groß, dass es für viele angesichts einer bedrohten Existenzgrundlage nicht ratsam erscheint, Überzeugungen und Kritik mit namentlicher Kennzeichnung zu veröffentlichen. Jedenfalls erreichte uns dieser Beitrag mit dem Zusatz: „Als in der Lehre stehende Theologen können wir leider unsere Identität nicht preisgeben, ohne die Institution, für die wir arbeiten, zu diskreditieren und ohne uns selbst zu gefährden. Email-Adresse und Namen sind daher gefaket.“

Der Text enthält in unseren Augen auch unabhängig von seiner Verfasserschaft, über die wir keinerlei Aussage treffen können, interessante Informationen (zum Teil gerade auch in den Fußnoten). Deshalb möchten wir am Thema interessierten Leserinnen und Lesern das Dokument nicht vorenthalten. Es bietet kritische Überlegungen zur Diskussion über die Annäherung des Papstes an die Traditionalisten. Die Autoren erhellen den Charakter der Lefebvre-Bewegung, zu dem u. a. zentral die Judenfeindlichkeit gehört. Sie vergleichen theologisch wie kirchenrechtlich den – sehr verschiedenen – Umgang des Vatikans bei Versöhnungsvorschlägen in Richtung evangelischer Kirche und in Richtung der rechten Kirchenabspaltung.

Schließlich wird an das einfache Faktum erinnert, dass bereits wiederverheirate Geschiedene von den Sakramenten ausgeschlossen werden, während Holocaustleugnung offenbar keine spürbaren Konsequenzen nach sich zieht. Dass die Verfasser zum Schluss mit großem Bekenntnisbedürfnis ihrer Treue zur Kirche und zum römisch-katholischen Glauben Nachdruck verleihen, ist wohl als Hinweis auf eine sehr persönliche Gewissensnot zu werten. Red.

Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.

Mt 16,18

Ja, seht. Zum Straucheln braucht's doch nichts, als Füße /
Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt /
Den leidgen Stein zum Anstoß in sich selbst.

Dorfrichter Adam; Der zerbrochene Krug

Im Blick auf den empirischen Bestand muß gerade die Identifikation des ganz Kirchentreuen immer Partialidentifikation bleiben, um der Kirche selbst willen.

Joseph Ratzinger

Die Schamgrenze ist vergangene Woche nun endgültig aufgehoben worden. Wir haben es also mit einem gezielten Komplott zu tun. Hinterhältige Medienvertreter bringen einen Bischof dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden, um eine Kampagne gegen Papst Benedikt XVI. zu lancieren? Solche Verteidigungsstrategien kennt man sonst nur von Rechtsextremisten, Verschwörungstheorien zum Schaden des Vatikan nur von Dan Brown und Co. Dass wir sie aus den Mündern hochrangiger Offizieller der Katholischen Kirche vernehmen dürfen, ist unerträglich. Mit wem macht sich z.B. der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller gemein, wenn er von einer Kampagne gegen Benedikt XVI. spricht? Oder der deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes, wenn er bezüglich der massiven Kritik an Papst Benedikt XVI. in Deutschland den antisemitischen Topos einer "Brunnenvergiftung" bemüht?

Zum Vergleich: Auf spiegel.de berichtet Pater Hans-Joachim Martin über einen Anrufer der Telephon-Hotline der katholischen Kirchengemeinden in Mannheim, der „wörtlich gesagt [hat], dass sei alles eine Kampagne der jüdischen Mafia.“ Auf der Seite kreuz.net feiern die „Protokolle der Weisen vom Zion“ fröhliche Urstände. Die Rede von der Kampagne gegen den Papst wird aufgenommen. Allerdings handele es sich im Letzten um ein "Pogrom gegen die Lefebvristen".

Ähnlich lautende Äußerungen von katholischen Amtsträgern sind ein Skandal und machen antisemitische Ressentiments und Sprachfiguren in der Gesellschaft in erschreckender Weise wieder hoffähig. Überdies sind sie sachlich falsch. Ebenso unerträglich wie sachlich falsch ist auch die Anprangerung angeblich wiederauflebender antirömischer und antikatholischer Affekte. Um jeder sachlichen Diskussion aus dem Weg zu gehen, die eigene Verantwortung einmal mehr von sich und die Schuld den anderen zuzuweisen, wähnt man sich nun als von der bösen Welt, den Medien, kommentierfreudigen Theologen etc. verfolgte Kirche und stilisiert sogar die Verfolgung zum Qualitätssiegel und “Markenzeichen“ - in deutlicher Parallele zu Williamson und der Piusbrüderschaft übrigens.

Es mag antikatholische Ressentiments geben. Übersehen wird nur eine kleine Tatsache: Wie selten zuvor sehen sich „progressive“ wie „konservative“ Katholiken in der Kritik an Benedikts Rücknahme der Exkommunikation der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft geeint. Den Grund für diese erstaunliche Allianz findet nur, wer sich inmitten des Skandals den Sachfragen zuwendet, um von dort aus die tiefer liegenden Gründe für den Proteststurm klar und deutlich zu benennen. Es geht um wesentlich mehr als um eine „Causa Williamson“. Williamson ist der Anlass, nicht der Grund der Kritik.

I. Die kirchenrechtliche Problematik

Zunächst ein Blick auf die Fakten und die kirchenrechtlichen Rahmendaten. Bischof kann man in der katholischen Kirche nur mit Erlaubnis des Papstes gemäß der rechtlichen Ordnung der Kirchen, dem sog. Kirchenrecht, werden. Ohne eine solche ausdrückliche Erlaubnis von Johannes Paul II. weihte am 30. Juni 1988 der bereits von Papst Paul VI. suspendierte Erzbischof Marcel Lefebvre unter Assistenz von Bischof Antônio de Castro Mayer im schweizerischen Écône vier Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) zu Bischöfen: Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Gallareta. Ähnlich wie im Staate werden auch in der Kirche unerlaubte Amtshandlungen (sowie es diese Bischofsweihe war) geahndet, nämlich mit dem sofortigen Ausschluss aus der Kirche, der Exkommunikation. Im vorliegenden Fall muss diese dabei nicht einmal von einem Organ der Kirche ausgesprochen werden, die Strafe folgt auf die Tat (das gibt es z.B. auch bei der Abtreibung).

Lefebvre, de Castro Mayer sowie die vier unerlaubt Geweihten zogen sich auf diese Weise damit nach dem Kirchenrecht der katholischen Kirche per Tatstrafe die Exkommunikation zu. Am 01. Juli 1988 wurde diese Strafe auch formell erklärt durch die Kongregation für die Bischöfe. Am 02. Juli 1988 folgte das Motu Proprio von Papst Johannes Paul II. Ecclesia Dei Adflicta. Johannes Paul II. stellte fest, dass es sich bei der unerlaubten Weihe nach can. 751 des Codex des kanonischen Rechts (CIC) um einen schismatischen Akt handelt, also die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder (!) der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche. Es ist also festzuhalten: Allein aufgrund der unerlaubten Weihe und des schismatischen Aktes zogen sich die genannten Personen die Exkommunikation zu.

Offenkundig hat Bischof Bernhard Fellay in einem Schreiben vom 15. Dezember 2008 auch im Namen von Williamson, Gallareta und de Mallerais zum wiederholten Mal um die Rücknahme der Exkommunikation gebeten. Das Kirchenrecht bietet die Möglichkeit zu einem solchen Straferlass. Der Täter muss aber zuvor „die Straftat wirklich bereut - und - außerdem eine angemessene Wiedergutmachung der Schäden und eine Behebung des Ärgernisses geleistet oder zumindest ernsthaft versprochen“ haben (can. 1347 §2 CIC). Von Reue, Bereitschaft zur Wiedergutmachung der Schäden und Behebung des Ärgernisses kann angesichts der aktuellen Wortmeldungen seitens der Beteiligten und der Piusbruderschaft aber nun wirklich keine Rede sein - ganz zu schweigen von einer Unterordnung unter den Papst oder dem Wunsch nach Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche.

Im Nachhinein ist nun der Eindruck entstanden, Papst Benedikt XVI. habe entgegen can. 1347 §2 offenbar ohne Vorbedingung am 21. Januar 2009 „großzügig wiederholten Bitten des Generaloberen [i.e. Fellay] der Bruderschaft Pius X.“ entsprochen und die Exkommunikation der vier Bischöfe aufgehoben. Ob sich Benedikt XVI. zu Recht verschaukelt fühlen darf? Angesichts der kolportierten Versicherung im Schreiben vom 15. Dezember 2009, die vier Bischöfe glaubten nun doch fest an den Primat Petri und an seine besondere Stellung?

Fakt ist: Papst Benedikt XVI. zeigte größtes Entgegenkommen gegenüber einer Gruppierung, deren zumindest schismatische Tendenz seit langem bekannt ist und die darüber hinaus mit ihrer Ablehnung des II. Vatikanischen Konzils bedeutende Lehren der katholischen Kirche ablehnt. Damit stehen die ihr zugehörigen Personen im Verdacht, sich nach den canones 751 und 1364 §1 CIC wegen Häresie die Exkommunikation per Tatstrafe zuzuziehen. Angesichts der „andauernden Widersetzlichkeit“ und „der Schwere des Ärgernisses“ könnte es nach can. 1364 §2 dann sogar zu weiteren Strafen bis hin zur Entlassung aus dem Klerikerstand kommen.

II. Die theologische Brisanz

Mag auch vielen die Auseinandersetzung um erlaubte oder unerlaubte Weihen, um einen Gottesdienst, dessen Latein doch niemand versteht, weil es leise gemurmelt wird, um eine Kirchenversammlung, die historisches Forschen in der Theologie, Religionsfreiheit und Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen für erlaubt erklärte, gleichsam als Diskussion wie von einem anderen Stern erscheinen. Das ist aber nicht so.

Und so besitzt Benedikts Entgegenkommen zum Zweiten nun hinsichtlich seiner eigenen theologischen Position einige Brisanz. Das Gefühl, dass im Ringen um die Einheit der Kirchen nicht mehr viel vorwärts geht, ist nicht neu. Nach einem gewaltigen Schub Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre machte sich Ernüchterung sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Welt bemerkbar. An der Frage nach dem Amts- und Sakramentenverständnis biss man sich die Zähne aus, sodass zwei bedeutende deutsche Theologen, Heinrich Fries und Karl Rahner 1983 folgenden Vorschlag machten: Da man den Konsens in wesentlichen Fragen hergestellt habe, sollte die katholische Kirche die evangelischen Kirchenämter anerkennen, damit man gemeinsam Gottesdienst feiern könne.

In der Überzeugung, dass dieser gemeinsame Gottesdienst die Einheit der Kirche nicht nur anzeigt, sondern auch befördert, würden sich die restlichen Streitfragen lösen lassen. Man sieht die Parallele zur Bruderschaft deutlich: Offenbar nachrangige Lehren des II. Vaticanums wie die Religionsfreiheit, die Freiheit wissenschaftlicher Forschung oder das offenkundig sekundäre Problem, ob die reformierte Liturgie rechtgläubig ist, werden zurückgestellt und per Dekret die Einheit hergestellt. Doch einen wesentlichen Unterschied gibt es: die evangelischen Kirchen, mit denen Karl Rahner und Heinrich Fries in Kontakt standen, wollten von sich aus die Einheit der Kirche, wenn nötig auch unter Verzicht auf liebgewordene Traditionen. Wie aber steht die Piusbruderschaft zur Aufhebung der Exkommunikation? Sie will Rom zu ihrer Position zurückführen!

So weit, so schlecht. Pikant wird der Fries/Rahner-Plan, bei gutem Willen und großem Konsens die Amtsfrage erst nach der Wiederherstellung der Kircheneinheit zu lösen, weil es eine sofortige Stellungnahme des damaligen Leiters der Glaubenskongregation, Josef Ratzingers, gibt1:

Ein Parforceritt zur Einheit, wie ihn neulich [1983] H. Fries und K. Rahner mit ihren Thesen angeboten haben, ist ein Kunstgriff theologischer Akrobatik, die leider der Realität nicht standhält. Man kann die Konfessionen nicht wie auf einem Kasernenhof zueinander dirigieren und sagen: Hauptsache, sie marschieren miteinander; was sie dabei denken, ist im einzelnen nicht so wichtig. [!] Die Wahrheitsfrage durch ein paar kirchenpolitische Operationen zu überspringen, wie dies im Grunde Fries und Rahner vorzuschlagen scheinen, wäre ein ganz und gar unverantwortliches Verhalten.

Ratzinger gesteht also der Einigung mit den „konsensbereiten“ Protestanten mit Hinweis auf die Wahrheitsfrage kein Wohlwollen zu. Das ist so lange sinnvoll, als er auch den vier Bischöfen der FSSPX dasselbe Maß zuteilt. Da er ihnen nun aber geradezu um den Hals gefallen scheint, stellt sich die Frage, warum Ratzinger von der Wahrheitsfrage abgesehen hat. Könnte die Antwort lauten: Er steht der Bruderschaft innerlich nahe und dem Konzil, das er ja permanent als „nur pastoral“ abwertet, fern? Damit machte sich derjenige, der das Amt der Einheit aller in der Kirche versehen sollte, zum Parteigänger einer Splittergruppe. Und als ob das nicht schon allein skandalös genug wäre, schädigt er die Autorität des Papstes und das Ansehen seines Amtes. Reden und Handeln klaffen auseinander: Betroffenheit in Auschwitz und Sympathie für Antisemiten, Dialogwunsch mit dem Judentum und eine Erleuchtungsbitte passen nicht zusammen.

Und wenn Benedikt XVI. durch sein Handeln Zweifel an einem von zwei Päpsten ordnungsgemäß einberufenen, ordnungsgemäß durchgeführten und ebenso ordnungsgemäß abgeschlossenen Konzil aufkommen lässt, dann untergräbt er seine eigene Position. Wenn jetzt der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller Theologen maßregelt, die ihre Treue zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils bekundet haben, dient dies nicht gerade dazu, die Zweifel zu mindern.

In welches Zwielicht Benedikt XVI. mittlerweile geraten ist, zeigt zum Beispiel der Vortrag des renommierten Dogmatik-Professors Peter Hünermann an der Katholischen Akademie Stuttgart-Hohenheim. Hünermann spricht von einem skandalösen Amtsmissbrauch, da Benedikt XVI. mit der Rücknahme der Exkommunikation die vier FSSPX-Bischöfe von der vollen Anerkennung des Vatikanum II. dispensiert habe - obwohl Bernard Fellay in seinem Brief vom 15. Dezember die Vorbehalte der Lefebvre-Anhänger gegen das II. Vatikanum und ihr Festhalten am Antimodernisteneid erneut bekräftigt habe. Benedikt XVI. habe selbst in seiner Amtsführung gegen Glaube und Sitten verstoßen. Daher sei seine Entscheidung nichtig und die Rücknahme der Exkommunikation unwirksam. Peter Hünermann hat seine Vorwürfe mittlerweile abgemildert.

Doch seine Wortmeldung zeigt wie weit Zweifel und Verunsicherung bei den Gläubigen reichen und welchen kirchenpolitischen und theologischen Sprengstoff Benedikts Vorgehen enthält - Sprengstoff, der von den meisten Kommentatoren unterschätzt wird. Auch gewisse theologische Grundprämissen, wie sie der sich als hierarchischer Geisterfahrer gebärdende designierte und bereits wieder demissionierte Weihbischof zu Linz vertritt, stehen dem Irrglauben, der Häresie, nahe: Wer die katholische Kirche „gesund“ schrumpfen will, verrät die Katholizität, die Allumfassendheit des christlichen Glaubens. Entweder müssen Christinnen und Christen prinzipiell ihre Glaubensgemeinschaft allen Menschen guten Willens (!) öffnen oder nicht.

Einen dritten Weg gibt es nicht. Dies ist keine nebensächliche Frage, sondern ein Artikel, mit dem Kirche steht oder fällt. Diese kann nur dann katholisch sein, wenn sie auch allen Menschen die Wahrheit, die sie sich von Gott geschenkt weiß, weitergibt. Es verwundert schon sehr, dass ausgerechnet der Papst, der der Diktatur des Relativismus den Kampf angesagt hat, die Klarheit und Wahrheit des gesamten kirchlichen Glaubens verwässert, um theologisch Rechtsradikale ins Boot zu holen. Verheerend ist aber, wenn der Eindruck entsteht, eine solche Minderheit sei vorbildlich.

Die Sorge um die Einheit der Kirche gereicht Benedikt sicher zur Ehre. Es ist ein legitimes und unterstützenswertes Anliegen der Kirchenzentrale im Geiste wahrhaftiger Katholizität, auch rechtskatholische Kreise nicht dem Extremismus anheim fallen zu lassen. Gegenüber den Bischöfen der FSSPX hat Benedikt XVI. jedoch ein derartig befremdliches und offenkundig bedingungsloses Entgegenkommen gezeigt, dass ein katastrophaler Eindruck entstanden ist: Unter dem Deckmantel jesuanischer Vergebungsbereitschaft und vorgeblicher Sorge um die Einheit würden in Rom sektiererische Tendenzen begünstigt.

Dass die bedingungslose Aufhebung der Exkommunikation keineswegs nur als ein Akt väterlicher „Gnade“, sondern auch als ein kirchenpolitisches Zeichen wahrgenommen werden kann, offenbart die Tatsache, dass seit bald 20 Jahren die Petrusbruderschaft existiert. Dieser wurde die Feier der Gottesdienste in der nicht-reformierten Form zugestanden. Wenn es also nur um die stille Messe ginge, hätten die vier Bischöfe schon lange zur Kirche zurückkommen können. Der FSSPX aber gerade nicht um die reformierte oder nicht-reformierte Messform, sondern um die totalitaristischen und faschistischen Staats- und Gesellschaftsphantasien, die unter ihren Mitgliedern gepflegt werden. Durch die Versöhnung mit den vier Bischöfen geht der Papst anscheinend vor diesen und deren Vorstellungen in die Knie. Mindestens distanziert er sich nicht ausdrücklich genug.

III. Der politische Sprengstoff

Und daher ist Benedikts Entgegenkommen zum Dritten fraglich angesichts der politischen Ausrichtung der FSSPX. Antisemitische, antidemokratische, faschistische und misogyne Wortmeldungen seitens ihrer Mitglieder sind seit langem bekannt. Wer davon nichts gewusst haben will (!), ist entweder grandios inkompetent, sagt bewusst die Unwahrheit oder befleißigt sich in einem Ausmaß „konfuzianischer Tugenden“, dass er sich wahrhaft zum Affen macht: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen! Mag der Papst auch nichts von Williamsons Interview gewusst haben - allein das wäre Skandal genug - , so muss er doch gewusst haben, wes Geistes Kind die sind, derer er sich in väterlicher Weise erbarmt.

Angesichts der jüngsten Wortmeldungen von Mitgliedern der FSSPX müsste mittlerweile ebenfalls deutlich sein, dass es sich also hier nicht allein um eine Causa „Williamson“ handelt. Wenn man sich nämlich die Piusbruderschaft und vor allem deren geschichtliche Wurzeln näher ansieht, beginnt man zu frösteln: Wir befinden uns in Frankreich um 1900. Die Priester werden vom Staat bezahlt, Antisemitismus ist en vogue, ein jüdischer Militär mit dem Namen Dreyfus wird zu Unrecht der Spionage bezichtigt und nur wegen seines Jüdischseins verurteilt. Spät wird er rehabilitiert - zu spät, denn nun steht die Französische Republik unter Druck und trennt sich 1905 vollständig von der Kirche.

In dieser spannungsvollen Situation bilden antimoderne, illiberale, klerikalistische, antisemitische, monarchistische und reaktionäre Kreise die Action française. Deren erklärtes Ziel ist die Wiedereinführung all dessen, was vor 1789 war: Der Katholizismus als Staatsreligion, allenfalls Toleranz für Juden und Protestanten, Aufhebung der Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit, absolute Monarchie. Die Haltung der Amtskirche war eigentlich klar: Bereits Pius X. hatte die Action française verurteilt, und als in der 20er Jahren der französische Kardinal Billot nicht von der Action française lassen wollte, enthob Papst Pius XI. ihn seiner Würde als Kardinal. Die Kirche, obwohl selber mit Sicherheit nicht progressiv, lehnte diese Form von Reaktion ab. Im zweiten Weltkrieg unterstützte die Action française die Kollaborationsregierung in Vichy.

Aus dem Dunstkreis der Action française stammt aber Erzbischof Marcel Lefebvre; es ist nun keineswegs neu, dass die Piusbruderschaft ihrem Gründer und dessen geistiger Prägung folgt. Über die Publikationsorgane weiß man seit den 70er Jahren, dass die Bruderschaft eine latent antimoderne, antisemitische, antiislamische und illiberale Gesellschaftsordnung anstrebt. Deutlich macht das die SZ vom 2.2., wenn dort von einem „glibbrige[n] Abgrund“ die Rede ist. Wir wollen deutlicher sein: Die Piusbruderschaft vertritt offen faschistoides Gedankengut, lackiert das Ganze aber christlich.

Die Holokaustleugnung von Bischof Williamson ist die Spitze des Eisberges, nicht ein bedauerlicher Einzelfall. Solange die Position Johannes Paul II. klar war, der die uneingeschränkte Annerkennung des II. Vatikanums von der Bruderschaft für die Rückkehr in die Kirche forderte, waren die Anhänger Lefebvres allenfalls ein Problem für den Verfassungsschutz. Jetzt aber hat Benedikt XVI. die Büchse der Pandora geöffnet und die Exkommunikation der vier Bischöfe ohne Gegenleistung aufgehoben. Wenn er bedingungslos Leute in die Kirche aufnimmt, die faschistoides Gedankengut pflegen, die Gesamtkirche zu diesem Gedankengut bekehren und das II. Vatikanum ungeschehen machen wollen, dann liegt das Problem nicht bei Williamson, sondern in Rom selbst. Benedikt XVI. hat das Konzil und seine Errungenschaften für eine billige Einheit zur Disposition gestellt.

Vor diesem Hintergrund ist Angela Merkels Appell auch keineswegs eine unzulässige Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten gewesen. Das ging aus dessen Wortlaut eindeutig hervor. Er war ein außen- und innenpolitisches Statement. Im Klartext: Kann Deutschland außenpolitische Beziehungen zu einem Staat unterhalten, der einer Gruppierung wie der FSSPX Raum gibt? Können sich der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft eine Körperschaft öffentlichen Rechts leisten, in der es Bestrebungen gibt, die Grundlagen dieses Staates und dieser Gesellschaft zu unterminieren? Für Staat, Gesellschaft und Kirche steht mit der Integration der vier abtrünnigen Bischöfe auch jenseits des expliziten Antisemitismus politisch Entscheidendes auf dem Spiel.

Dennoch ein kurzes Wort zu Josef Ratzingers bzw. Benedikt XVI. Umgang mit dem Judentum. Stets wird in den Kommentaren versichert, dass er kein Antisemit sei. Auch den Autoren liegt eine solch infame Unterstellung fern. Doch muss nicht der Eindruck entstehen, dass Benedikt XVI. keine Distanz zu dieser Perversion hat, wenn er kommentarlos Antisemiten, deren schlimmster ein Holocaustleugner ist, rehabilitiert? Verhärtet sich ein solches Bild womöglich, wenn in der modernen Medienwelt das klare Dementi bis heute ausgeblieben ist? Die Aufforderung an Williamson, die Leugnung der Shoah aufzugeben, ist eine Aufforderung, die Leugnung aufzugeben; mitnichten stellt sie eine Distanzierung Benedikt XVI. dar, die viel zu spät artikuliert wurde.

Denn diese ist erst dann wirklich gegeben, wenn er klar und deutlich sagt: Niemand darf den abscheulichen Mord an 6 Millionen Juden leugnen; so etwas darf nie wieder geschehen. Dazu gehört aber auch: Die Kirche achtet und respektiert die Religion, aus der sie stammt, als einen Heilsweg, der von Gott eröffnet und nie verschlossen wurde: „[O]hne Reue nämlich sind die Gaben und die Berufung Gottes“ (so die Kirchenkonstitution des II. Vaticanums Lumen gentium 16)2

Doch all das kam zaghaft, spät und in einer Vagheit, die bei jemandem, der die Wahrheitsfrage sonst zum obersten Kriterium seiner Kirchlichkeit macht, überrascht und verbittert. Bischof Müller in Regensburg hatte durchaus Recht, wenn er die Holocaustleugnung als Gotteslästerung betrachtet. In der Tat, eine solche Abscheulichkeit ist wirklich eines der sonst kaum möglichen Attentate auf die Gottheit Gottes. Rom ruft den Gläubigen und der ganzen Welt die Sündhaftigkeit gotteslästerlichen Verhaltens bei Abtreibung und Verhütung mit großer Klarheit und steter Ausdauer ins Bewusstsein. Ist es zuviel verlangt, dass Rom dann auch mit derselben Klarheit und Stetigkeit und dann gerade auch in einer solchen Krise die gotteslästerliche Holocaustleugnung immer wieder aufs schärfste verurteilt? Welch ein verheerendes Echo muss da das päpstliche Schweigen und Leisetreten hervorrufen!

Durch dieses dreifach tief befremdliche Entgegenkommen Benedikts XVI. ist bei Katholiken wie Nicht-Katholiken ein verheerender Eindruck entstanden. Auf einige Beispiele gebracht: Wer über die Frauenordination nur nachdenkt, wird gemaßregelt; wer seinen frauenhasserischen Tendenzen freien Lauf lässt, bekommt die Hand gereicht. Wiederverheiratete Geschiedene werden von der Kommunion ausgeschlossen, weil sie nicht zu ihrem Ehepartner in Treue und Liebe verharren, die als Abbild der göttlichen Treue und Liebe gefordert ist. Wer jedoch (gegen die Bibel, z.B. Hos 11) glaubt, dass Gott selbst nicht treu zu seiner Liebe Israel steht und den Bund mit Israel aufkündigt, wird von der Exkommunikation befreit. Oder mit dem katholischen Theologen Peter Neuner gesprochen3:

Während manche fundamentalistischen Strömungen sich eines gewissen offiziellen Wohlwollens erfreuen, werden oppositionelle Regungen auf der „linken“ Seite des Spektrums weit weniger großzügig behandelt, obschon - anders als bei jenen - hier weder den Amtsträgern Verrat am Glauben vorgeworfen wird, noch Bestrebungen zur Errichtung einer eigenen kirchlichen Organisation vorhanden sind. Hier besteht keine Gefahr eines Schismas, so daß Distanzierungen von der offiziellen Kirche in diesem Bereich als weniger gravierend empfunden werden. Allerdings hat das zu einer Massenabwanderung aus der Kirche geführt, sei es, daß viele ihre Hoffnungen nicht erfüllt sehen, sei es, daß sie an ihrem Reformwillen verzweifeln.

Als fundamentalistische Gruppierungen sind hier vor allem die FSSPX, das Engelwerk sowie unter Einschränkung das Opus Dei im Blick. Das Zitat findet sich übrigens in einem bekannten Dogmatik-Handbuch, herausgegeben von Ratzingers Schüler Wolfgang Beinert. Es stammt aus dem Jahre 1995.

Am 21. Januar 2009 wollte Papst Benedikt XVI. die Wunde der Kirchenspaltung schließen - und vermutlich auch eine persönliche Wunde. Schließlich war er es, der als damaliger Leiter der Glaubenskongregation einen letzten Vermittlungsversuch mit der Bruderschaft vor dem Bruch unternahm - und scheiterte. Benedikt XVI. hat der katholischen Kirche und seinem eigenen Amt eine Wunde zugefügt, die lange nicht verheilen wird. Sein dreifach tief befremdliches Entgegenkommen hat brisante Fragen aufgeworfen. Die Verunsicherung unter den Gläubigen ist weitreichend. Ist der Papst noch verlässlicher Garant des Glaubens (Eberhard Schockenhoff)? Stehen Benedikt XVI. und manche seiner kurialen Mitarbeiter noch auf dem Boden der römisch-katholischen Lehre? Wie weit gehen die Sympathien für die Ansichten wesentlicher Anhänger der FSSPX, die unter dem Verdacht des Sektiererischen, Schismatischen, Häretischen stehen?

Der Benedikt XVI. hat dem Ansehen und der Autorität seines Amtes geschadet. Dabei wäre eine sorgfältige und integre Amtsführung durch ihn wünschenswert und erforderlich. Die Funktion des Bischofs von Rom ist nun mal, die alt- und neutestamentliche Weisung so auszulegen, dass sie heute noch verstanden werden kann. Er müsste z.B. Farbe bekennen gegen Frauenhass, Antisemitismus, Rassismus usw. Die Wahrheitsfrage durch ein paar kirchenpolitische Operationen zu überspringen, hat Folgen gezeitigt - vielleicht die schlimmste darunter: Die Gläubigen haben nicht den Eindruck, Benedikt XVI. müsse Farbe bekennen, sondern: er hat Farbe bekannt, da er sich mit den Anliegen der FSSPX gemein gemacht hat.

Die Autoren dieses Textes sind überzeugte katholische Christen und wissen sich in voller Einheit mit der vom Papst und den Bischöfen geleiteten katholischen Kirche. Wir glauben, dass in Jesus Christus die göttliche Wahrheit in vollkommener und unüberholbarer Weise zu den Menschen gekommen ist und bei ihnen bleibt, um diese zu ihrem Glück zu führen. Diese feste Überzeugung hat nichts mit Fundamentalismus zu tun. Im Gegenteil sind wir unserem Gewissen verpflichtet, stets mit Vernunft und Verstand zu prüfen, ob dieser Glaube der Wahrheit entspricht. Das ist nicht sonderlich modern, entspricht aber der Weisheit der Griechen, die bereits vor über 2000 Jahren wussten, dass menschliches Leben auf Wahrscheinlichkeiten nicht aufruhen kann. Wir bekennen uns ausdrücklich zu allen Wahrheiten, die uns die Kirche als zu glauben vorlegt. Wir bekennen uns zu einer Kirche, in der wir die göttliche Wahrheit als lebendige Flamme finden, die gerade auch vom Papst sorgfältig und mit seinem vollen Einsatz bewahrt werden muss. Ist es nicht mehr als billig, genau diesen Einsatz für die gesamte Wahrheit vom Papst zu verlangen? Oder steht diese ewige Wahrheit Gottes, der sich die Bruderschaft seit fast 40 Jahren verweigert und an der sie sich versündigt, zur Disposition Benedikt XVI.?