Anthrax-Fall weiter offen

Im letzten Sommer präsentierte das FBI nach sieben Jahren den angeblichen Täter und stellte die Untersuchung nach dessen Selbstmord ein, neue Analysen der Sporen lassen Zweifel aufkommen

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Nach sieben Jahren wurde im August des letzten Jahres die Untersuchung der Milzbrandanschläge im Oktober 2001, auch "die zweite Welle der Anschläge" von Bush genannt, eingestellt. Sie hatte für enorme Panik weltweit gesorgt, obgleich "nur" fünf Menschen daran gestorben sind. Die winzigen und lebendigen Killer wurden als unheimlich erlebt, die Wirkung machte deutlich, in welchem Ausmaß Angriffe mit biologischen Waffen, also mit scharf gemachten Viren oder Bakterien, eine Gesellschaft lähmen könnten.

Bild: FBI

Zunächst ging man davon aus, dass die Briefe auch von islamistischen Terroristen verschickt wurden, sehr schnell aber wurde klar, dass die Spuren in die Militärlabors wiesen (Aus US-Militärlabor verschwanden Anthrax-Bakterien). Dem musste das FBI schließlich nachgehen. Die bislang angeblich größte FBI-Untersuchung der amerikanischen Geschichte mit dem Namen "Amerithrax" hatte nach vielen Pannen, Verzögerungen und vermutlich auch Behinderungen 2008 endlich einen Schuldigen gefunden, der sich dann auch noch selbst umbrachte. Damit schien weitere Aufklärung nicht mehr notwendig zu sein, obgleich Experten an der Lösung zweifelten.

Untersuchung eines Anthrax-Briefs. Bild: FBI

Lange Zeit stand der Mikrobiologe Stephen Hatfill in Verdacht, der am Army Medical Research Institute of Infectious Diseases in Fort Detrick (USAMRIID) gearbeitet hatte, wo man mit den gefährlichen Milzbrand-Erregern arbeitete, wie sich er kurz vor dem 11.9. herausstellte. Obgleich ihm nichts nachgewiesen werden konnte, hielt man an ihm fest. Nachdem dann das FBI 5,8 Millionen Dollar als Schadensersatz an Hatfill zahlen musste (Anthrax-Briefe: FBI-Ermittlung ergebnislos), präsentierte man den nächsten Verdächtigen: Bruce Ivins, der 30 Jahre lang in Fort Detrick u.a. Milzbrand oder Ebola forschte.

Bild: FBI

Seit Mitte 2007 hat das FBI Ivins im Blick gehabt, ihn und seine Umgebung befragt, sein Haus, seine Fahrzeuge und sein Büro untersucht und eine Anklage zusammengestellt. Vor der ersten Anhörung vor Gericht hat er sich im Alter von 62 Jahren am 29. Juli 2008 im Krankenhaus mit einer Überdosis an Schmerzmitteln selbst getötet – was dem Justizministerium und dem FBI ganz gelegen gekommen sein dürfte, da mit den vorgelegten Beweisen kaum wirklich Ivins hätte zweifelsfrei belangt werden können. So ließ sich der Fall mit dem Tod des Verdächtigen abschließen. Viele Ermittlungs-Dokumente wurden vom FBI veröffentlicht, um dessen Schuld zu belegen.

Inhalt des Briefs an Senator Daschle. Bild: FBI

So hieß es, dass man mit "neuen und aufwändigen wissenschaftlichen Mitteln" das Milzbrandpulver, das in den Briefen enthalten war, auf die Milzbrandkultur RMR-1029 zurückverfolgen konnte, die aus dem USAMRIID stammte und mit der Ivins gearbeitet haben soll. Der Wissenschaftler soll in den Wochen vor der Versendung der Briefe psychische Störungen mit paranoiden Gedanken gehabt und in der Zeit der Anthrax-Anschläge ungewöhnlich lange nachts im Labor gearbeitet haben. Er soll falsche Proben zur Irreführung weitergeleitet und eine Email versendet haben, in der er sagte, er sei sicher, dass Bim Laden in Besitz von Milzbrandsporen und Saringas sei. Die Email, so das FBI, gleiche in den Formulierungen den Warnungen in den Anthrax-Briefen.

Eine Genomanalyse hatte bereits gezeigt, dass bei den Anschlägen vermutlich zwei unterschiedliche Kulturen verwendet wurden, wovon nur die eine – RMR-1029 – aus USAMRIID stammt. Neuere Untersuchungen haben nun ergeben, dass die Milzbrandsporen, die in den Briefen gefunden wurden, sich chemisch von den Kulturen unterscheiden, in deren Besitz Ivins war. Joseph Michael von den Sandia National Laboratories analysierte die Briefe, die an die New York Post und an die Senatoren Tom Daschle sowie Patrick Leahy geschickt wurden, berichtet Nature. Sie enthielten Sauerstoff, Eisen, Silizium und Zinn, die in den RMR-1029-Bakterienkulturen nicht zu finden sind.

Das schließt nicht notwendigerweise Ivins als Täter aus, vermehrt aber die Zweifel, ob er es tatsächlich war. Möglicherweise hatte Ivins Bakterien unter anderen Bedingungen gezüchtet, wodurch die unterschiedliche chemischen Spuren entstanden sein könnte, sagt etwa der Mikrobiologe Jason Bannan, der beim FBI arbeitet. Das FBI hat die National Academy of Sciences (NAS) gebeten, die Ergebnisse der Untersuchungen zu den Milzbrandsporen von einem unabhängigen Gremium prüfen zu lassen.