Das dysfunktionale Duo

Die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA im Zeichen der Weltwirtschaftskrise

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Der Aufstieg Chinas zur Fabrik der Welt wäre ohne die USA nicht denkbar gewesen. Ohne Chinas Aufstieg wäre allerdings auch der Absturz der USA bereits längst erfolgt. China und die USA sind aneinander gekettet in einem Handelssystem, dessen Schieflage immer dramatischer wird.

Chinas Währungsreserven, die zu rund 70% auch in US-Dollar gehalten werden, wuchsen gemäß den offiziellen Zahlen alleine im letzten Jahr um 400 Mrd. US$ auf fast 2.000 Mrd. US$. Dies entspricht rund einem Siebtel des amerikanischen Bruttoinlandproduktes eines Jahres – eine bemerkenswerte Summe. China investiert einen Großteil seiner Währungsreserven in US-Staatsanleihen. Die Neuverschuldung von rund 350 Mrd. US$, die China den USA im letzten Jahr somit ermöglichte, macht rund 10% des chinesischen Bruttoinlandproduktes aus. Jeder zehnte Yuan, der in China erwirtschaftet wird, geht also als Kredit in die USA. Große Teile des amerikanischen Wohlstandes sind somit – direkt und indirekt – vom kommunistischen Konkurrenten finanziert.

Der amerikanische Analyst Brad Setzer hält die offiziellen Zahlen sogar für untertrieben. Er schätzt die chinesischen Währungsreserven sogar auf 2.300 Mrd. US$, wovon 1.700 Mrd. US$ in dollarnotierten Schuldverschreibungen aus den USA bestünden – demnach wäre jeder Amerikaner, vom Säugling bis zum Greis, indirekt mit durchschnittlich 5.600 US$ bei der Volksrepublik China verschuldet. Das hieße aber auch, dass jeder Amerikaner in der Vergangenheit für 5.600 US$ Waren aus China auf Pump gekauft hat.

Desindustrialisierung und „McJobs“

Für die ostasiatischen Entwicklungsländer trägt der Export fast die Hälfte zum Bruttoinlandprodukt bei, in den USA macht der Konsum hingegen über 70 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Die USA haben es bis zum letzten Jahr geschafft, einen absurden Strukturwandel zu vollziehen. Die „guten“ Jobs aus der Industrie wurden exportiert, und dafür schaffte man Jobs im Dienstleistungssektor.

Diese „McJobs“ waren allerdings wesentlich unproduktiver und dennoch wurde jenseits des Atlantiks der Lebensstandard weitestgehend aufrechterhalten – auf Pump versteht sich. Wären die USA eine Familie, so hätten sie den sozialen Abstieg aus der Mittel- in die Unterschicht durch immer neue Kredite verschleiert. Das geht nur solange gut, bis man die Kredite nicht mehr bedienen kann. Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen, aber die Gläubiger halten noch still.

China und die USA sind aneinander gekettet in einem System mit einem absurden Handelsungleichgewicht. China produziert, die Amerikaner konsumieren. Das Geld dafür stammt zu einem signifikanten Teil aus China selbst. Der amerikanische „Way of Life“ führt die USA Jahr um Jahr mehr in eine einseitige Abhängigkeit – bereits heute gehören ausländischen Investoren die Hälfte aller ausstehenden amerikanischen Staatsanleihen, rund 50% davon China. Wer so viele Papiere hält, hat auch Macht. Mit ihren Reserven verfügt die Volksrepublik über einen veritablen Hebel, der die USA von allzu großen „Dummheiten“ abhält.

Die Bilder der Krise

Für Washington ist diese Situation aber keineswegs so unangenehm, wie sie sich auf den ersten Blick darstellt. Die USA schlittern momentan in eine epochale Wirtschaftskrise hinein, doch was sind die Bilder dieser Krise? Die Arbeitslosigkeit liegt bei bescheidenen 8,1%, weit unter den 10% zu Beginn der 80er Jahre, als das Land zum letzten Mal von einer massiven Krise heimgesucht wurde. Teile der Bevölkerung ächzen zwar unter den hohen Kreditraten, aber Bilder mit ausgemergelten Hungerleidern, die Schlange stehen, um sich eine Suppe abzuholen, die die „Große Depression“ der 30er Jahre kennzeichneten, sind in der momentanen Krise nicht auszumachen.

Die Bilder der aktuellen Krise sind eher gigantische Lagerareale in den Häfen, auf denen Automobile stehen, die nicht verkauft werden können. Die gegenwärtige Krise hat Arbeitsplätze en masse vernichtet – aber „noch“ nicht in den USA. Die Arbeitsplätze, die Opfer der Finanzkrise sind, wurden im fernen Asien vernichtet.

Schöpferische Zerstörung von Arbeitsplätzen

Die USA haben es geschafft, die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise zum Teil zu exportieren. Wenn die USA husten, bekommen die Exportnationen eine Lungenentzündung. Die Exporte Chinas gingen im Januar dieses Jahres um 17,5% zurück – dies stellt eine markante Trendwende dar, da seit 2002 die Exporte im Schnitt um rund 30% gegenüber dem Vorjahresmonat zulegen konnten.

Die Regierung geht davon aus, dass rund 20 Millionen Wanderarbeiter bereits ihren Job verloren haben. Alleine in der Provinz Guangdong mussten bereits im letzen Jahr über 67.000 Fabriken ihre Tore schließen – Tendenz steigend. Diese Entwicklung wird in Peking allerdings zum Teil begrüßt – nur das Ausmaß des Strukturwandels übertrifft die geplante Reindustrialisierung.

Die arbeitsintensive Fertigung von Billigartikeln soll aus der Küstenregion Guangdong verschwinden und ins Innere des Landes ziehen. In Chinas industriellem Herz sollen stattdessen hochqualifizierte Jobs in der Produktion hochwertiger Güter entstehen – dafür braucht es keine Wanderarbeiter. Da der chinesische Export auch „nur“ zu einem Viertel des Wirtschaftswachstums beiträgt, ist die Lage für Chinas Volkswirtschaft nicht eben dramatisch. Dramatisch ist dagegen die soziale Bedeutung dieser schöpferischen Zerstörung von Arbeitsplätzen, die zwar im Kern geplant ist, durch die Weltwirtschaftskrise allerdings außer Kontrolle gerät.

Um die negativen Folgen für Wanderarbeiter und die Wirtschaft abzufedern, greift China tief in die Subventionskiste. Wie erst letzte Woche bekannt wurde will die chinesische Regierung zusätzlich zum 470 Mrd. Euro Konjunkturpaket zusätzliches Geld in Infrastruktur- und Sozialprojekte investieren. Welchen Sinn aber machen gigantische Infrastrukturprojekte – Brücken, die im Nichts enden, Wolkenkratzer, deren Büroräume nicht vermietet werden können? Investitionen in die Bildung und das Gesundheitswesen sind nachhaltiger, haben aber nicht den gleichen Effekt auf die aktuellen wirtschaftlichen Kennzahlen wie Investitionen in die Infrastruktur. Da die regionalen Parteikader aber nach den aktuellen Kennzahlen bewertet werden – und hier ist durchaus ein Vergleich zum Prämienmodell westlicher Manager erlaubt –, werden Investitionen häufig nicht nach ihrer langfristigen Wirkung beurteilt.

Das Dollar-Dilemma

China hat ein grundlegendes Problem – das Wachstum und die Exportstärke sind vor allem auch der unterbewerteten Währung geschuldet, die fest an einen internationalen Währungskorb gekoppelt ist, der vor allem aus dem US-Dollar und dem Euro besteht. Wenn China seine Dollarbestände im Inland investieren wollte, müsste es sie gegen den Yuan eintauschen – die Folge wäre ein stärkerer Yuan und ein schwächerer Dollar. Dies ist das, was die Amerikaner schon immer wollten und die Chinesen mit aller Kraft zu verhindern wissen. Ein stärkerer Yuan würde China vor allem gegenüber seinen Konkurrenten im Exportsektor komparative Nachteile bringen. Chinesische Produkte würden für die Kunden in Übersee teurer werden.

Wenn man die Reserven nicht im eigenen Lande investieren kann, so muss man sie im Ausland investieren. Investitionen in die Binnenwirtschaft haben auch recht wenig mit den Devisenreserven der Volksrepublik zu tun. Natürlich kaufen chinesische Bauunternehmer ihre Planierraupen auch beim amerikanischen Konzern Caterpillar, aber das Gros der Investitionssumme wird in Yuan ausgegeben. Dadurch schrumpfen die Währungsreserven nicht. Um die stetig wachsenden Reserven besser zu verwalten, hat die Volksrepublik vor zwei Jahren einen Staatsfonds aufgelegt und sich prompt eine blutige Nase geholt.

Die China Investment Corporation (CIC), die mit Währungsreserven in Höhe von 200 Mrd. US$ ausgestattet wurde, beteiligte sich im Jahre 2007 mit jeweils rund 10% beim Private-Equity Giganten Blackstone und beim Bankhaus Morgan-Stanley. Dadurch entstand dem Fonds bereits ein Verlust in Milliardenhöhe, Blackstone verlor 84% an Wert, Morgan-Stanley rund die Hälfte. Die Investmentstrategie der CIC ist in China ein sehr kontrovers diskutiertes Thema.

Auch die staatliche Presse übt sich nicht eben in vornehmer Zurückhaltung, wenn es darum geht, Entscheidungen des CIC-Managements zu kritisieren und Alternativen zu nennen. Im Internet nimmt die Kritik an der CIC derweil schon derbere Formen an. „Ihr seid schlimmer, als die Verräter in Zeiten des Krieges“ – so ein Forumsteilnehmer. Ein anderer kritisierte die „blinde Verehrung so genannter Experten aus den USA“. Warum ein eher armes Land wie China ein so reiches Land wie die USA überhaupt unterstützen soll, fragen sich immer mehr Chinesen.

Schuldenerlass für die USA?

China hat also gigantische Währungsreserven, kann damit aber strategisch nicht viel anstellen. Jeder Angriff auf den Dollar würde das eigene Vermögen gefährden, das dank der Reserven auf dem US-Dollar aufbaut und gleichzeitig den besten Kunden in die Bredouille bringen – und den „Golddukaten scheißenden Esel“ sollte man tunlichst nicht schlachten. Um das Perpetuum Mobile des internationalen Handels aufrecht zu erhalten, müsste China eigentlich seine Reserven den USA schenken – ein Schuldenerlass, nicht für die ärmsten Nationen, sondern für die mächtigste Nation der Welt. Das ist freilich schwer vorstellbar und den Chinesen kaum zu vermitteln. Dennoch wäre dies wohl der einzige Weg, den alten „Erfolgskurs“ fortzusetzen.

Luo Ping, der Generaldirektor der chinesischen Bankenaufsicht, beschrieb letzte Woche mit einem Lächeln im Gesicht in New York die chinesisch-amerikanische Hassliebe mit sarkastischen Worten:

Wenn ihr anfangt, eine oder zwei Billionen US$ neue Schulden aufzunehmen […] wissen wir, dass dies den Dollar im Wert drücken wird. Dafür hassen wir euch Jungs – aber es gibt nichts, was wir dagegen unternehmen könnten.

Eine Dollarabwertung, die in den nächsten Jahren kaum zu verhindern sein wird, ist bereits ein realer Schuldenerlass. Um die Weltwirtschaft nicht kollabieren zu lassen, bleibt den Gläubigern wohl nichts anderes übrig, als zähneknirschend zuzuschauen, wie die amerikanischen Schulden Jahr für Jahr an Wert verlieren. „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem“ – der berühmte Satz von John Connally, Finanzminister unter Richard Nixon, wird wohl noch lange Zeit seine Bedeutung beibehalten.

Wo ist der Ausgang aus dem Karussell?

China und die USA vereint der geringe Einfluss von Gewerkschaften. Wäre dies anders, hätte sich der unheilsame Trend wahrscheinlich bereits im Vorfeld entschärft. Die Desindustrialisierung der USA hätte sich durch starke Arbeitnehmerinteressenvertreter zaghafter gestaltet, die USA hätten dann wohl noch eine industrielle Basis. Auch der Siegeszug der „McJobs“ wäre so nicht möglich gewesen, wenn Gewerkschaften prekäre Arbeitsverhältnisse nicht zugelassen hätten.

In China wiederum hätte das industrielle Wachstum die Arbeiter stärker profitieren lassen. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen hätten die Binnenwirtschaft gestärkt und den Export geschwächt. Wenn Chinas Arbeiter besser entlohnt würden, wären auch die gigantischen Währungsreserven in dieser Größenordnung nie entstanden. Der beste Weg aus dem Schlamassel ist somit der Weg zurück – der Weg zu mehr Arbeitnehmerrechten und zu einer Beschneidung der Einflussmöglichkeiten des Kapitals in den USA und der Planwirtschaft in China.

Beide Nationen kommen sich in diesem Punkt bereits immer näher – China liberalisiert Stück für Stück seine Finanzwirtschaft und die USA gehen den umgekehrten Weg und verstaatlichen ihr Finanzsystem Stück für Stück, um es vor sich selbst zu retten. Eine schleichende Abwertung des Dollars und eine Aufwertung des Yuans werden die Weltwirtschaft dann wieder in ein Gleichgewicht bringen. Der chinesische Arbeiter wird dadurch reicher, er partizipiert auch finanziell am chinesischen Aufstieg. Der amerikanische Arbeiter wird sich nach einer harten Landung in der globalen Unterschicht wieder langsam erholen – ohne Schulden, ohne Zweitwagen, ohne Home-Entertainment-Center, ohne Auslandsurlaub, aber mit Perspektive.