Punktzielmunition trifft Pressefreiheit

Rüstungskonzern setzt gegenüber Onlinezeitung durch, dass seine SMART-Munition nicht "Streumunition" genannt werden darf

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Journalist und Herausgeber der Onlinezeitung Regensburg-Digital, Stefan Aigner, hatte die Rüstungsschmiede Diehl in einem Kommentar als Hersteller von Streumunition bezeichnet. Die Firma reagierte mit einer einstweiligen Verfügung (Regensburger Online-Zeitung gegen Rüstungskonzern).

Nach nur eineinhalb Stunden Verhandlungszeit fiel im Landgericht München gestern die Entscheidung: Der Rüstungshersteller Diehl darf nicht als Hersteller von Streumunition bezeichnet werden. „Die Sache ist erledigt. Die einstweilige Verfügung hat der Beklagte anerkannt. Die Parteien haben gegenseitig auf Kostenanträge verzichtet“, so Tobias Pichlmaier, Pressesprecher des Landgerichts München I, in einer ersten Stellungnahme gegenüber Telepolis. Diehl konnte damit durchsetzen, dass die strittigen Geschosse künftig als Punktzielmunition bezeichnet werden müssen.

Der strittige Geschosstyp des Rüstungsherstellers, der besonderen Wert darauf legt, dass seine militärischen Produkte "die Umwelt möglichst wenig belasten", besteht aus zwei Submunitionen und einer Dreifach-Suchsensorik, welche es laut Herstellerangaben der Munition ermöglicht, mit ihrem Fallschirm punktgenau auf dem militärischen Ziel zu landen, um dort die gewünschte Wirkung zu entfalten. Verfehlt sie ihr Ziel, so entschärft sie sich nach Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums innerhalb kurzer Zeit von selbst, so dass die Blindgängerrate deutlich unter einem Prozent liegen soll. Diese Eigenschaften machen die Munition vom Typ SMArt nach Ansicht des Herstellers und des Verteidigungsministeriums zu Punktzielmunition, und diese sei keine Streumunition.

Nun müssen nicht nur weitere Medien, die den Begriff Streumunition in ihrer Berichterstattung verwendet haben, mit Klagen rechnen, schrieb, sondern auch die österreichische Regierung. Auch diese ist der Auffassung, dass es sich bei der Munition vom Typ SMArt® 155mm um Streumunition handelt. Denn eine wirklich verbindliche, international einheitliche Definition ist nicht vorhanden.

Auf der internationalen Konferenz zur Ächtung von Streubomben im Mai 2008 in Dublin wurde nach einem Bericht von Deutschlandradio Kultur auf Druck Deutschlands, eine Ausnahmeregel in die Definition von Streumunition aufgenommen, die gut auf die Eigenschaften der SMArt-Munition passt. Gefordert werden folgende Eigenschaften:

A munition that, in order to avoid indiscriminate area effects and the risks posed by unexploded submunitions, has all of the following characteristics:
(i) Each munition contains fewer than ten explosive submunitions;
(ii) Each explosive submunition weighs more than four kilograms;
(iii) Each explosive submunition is designed to detect and engage a single target object;
(iv) Each explosive submunition is equipped with an electronic self-destruction mechanism;
(v) Each explosive submunition is equipped with an electronic self-deactivating feature

Convention on Cluster Munitions, Dublin, 30. Mai 2008

Die Vereinten Nationen hingegen sehen Munition bereits dann als Streumunition an, wenn sich aus dem Hauptgeschoss kleinere Geschosse herauslösen.

Any munition that, to perform its task, separates from a parent munition.

Overwiev Of Existing And Proposed Definitions, Geneva International Centre for Humanitarian Demining

Kritisch sehen die Vereinten Nationen dabei vor allem, dass die deutsche Definition nur Munition umfasst, die in der Vergangenheit bereits eingesetzt wurde, Neuentwicklungen hingegen nicht ausreichend berücksichtigt.

The German definition for Cluster Munitions and Submunitions would include all those types that have raised humanitarian concern so far (reference types used in recent and past conflicts, or the “Dirty Dozen” identified by Human Rights Watch), but it might not include types that could create future concerns (reference direct fire, inert post impact, less than ten submunitions, target detecting submunitions).

Overwiev Of Existing And Proposed Definitions

Mit Blick auf die unterschiedlichen Definitionen in der Gesetzgebung der verschiedenen Staaten kommt das Papier zu dem Schluss:

A clear technical definition including all aspects and allowing a workable division of the terms “Cluster Munition” and “Submunition” has not been achieved yet.

Overwiev Of Existing And Proposed Definitions

Im Dezember 2008 stimmte der Bundestag schließlich einem Antrag der Regierungsfraktionen zu, Streumunition zu verbieten, wobei die Definition aus dem Vertrag von Dublin inklusive aller Ausnahmeregeln übernommen wurde. Dies ist nicht verwunderlich, zeigten sich doch die Minister Steinmeier und Jung schon im Mai 2008 sehr zufrieden über den Vertragstext:

Deutschland hat in den Bemühungen um ein wirksames Streumunitionsverbot eine Vorreiterrolle gespielt. Bereits 2001 hat Deutschland damit begonnen, seine Streumunition zu vernichten. Wir haben von der ersten Stunde an die diplomatischen Bemühungen für ein Streumunitionsverbot entscheidend mitgeprägt. Der jetzt vorliegende Übereinkommensentwurf trägt in wesentlichen Bereichen unsere Handschrift.

Gemeinsame Erklärung der Bundesminister Dr. Steinmeier und Dr. Jung

Dass strengere Regeln möglich sind, zeigte hingegen die österreichische Regierung. Im Januar vergangenen Jahres trat in der Alpenrepublik das Bundesgesetz über das Verbot von Streumunition in Kraft, welches ohne Ausnahmeregelungen für "intelligente" Geschosse auskommt.

Stefan Aigner wäre gern noch einen Schritt weiter gegangen:

Ich muss zwar die Kosten für meine Anwältin zahlen, und ich habe die Kosten für das einstweilige Verfügungsverfahren in Höhe von 1.400 Euro. Wir hätten gern weitergemacht, allerdings hatten wir keinerlei finanzielle Rückendeckung. Ich würde es schon als mutig bezeichnen, was wir gemacht haben.

Stefan Aigner

Trotzdem sieht er den Ausgang nicht nur negativ.

Der Richter hat zu mir ausdrücklich gesagt, ich darf nach wie vor die Meinung vertreten, dass SMArt 155 nach Landminen das Mieseste ist, was es gibt. Und Andreas Zumach hat es auf den Punkt gebracht in einem taz-Artikel, er hat wesentlich drastischer formuliert als ich, es hat auch mehr Leute erreicht, das war eigentlich das Ziel. Und wenn es Diehl ernst ist, dann sollen sie doch jetzt die taz verklagen.;;Stefan Aigner