Abwrackprämien, Abfindungen und ALGII

Die Urteile zur Abwrackprämie und zur Anrechnung einer verspäteten Abfindung zeigen, dass die Politik gerade die ärmere Bevölkerung systematisch im Stich lässt.

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Mit dem Konjunkturpaket II, das am 14. Januar 2009 beschlossen wurde, führte die deutsche Regierung auch die sogenannte „Abwrackprämie“ ein. Die Umweltprämie, wie sie tatsächlich heißt, wird an diejenigen gezahlt, die ihren Altwagen verschrotten lassen (so er den Maßgaben der Altfahrzeugverordnung genügt) und sich als Ersatz einen Neu- oder Jahreswagen kaufen, welcher der Abgasnorm „Euro 4“ entspricht. Ab März 2009 werden die Anträge auf diese Prämie bearbeitet, welche jedem privaten KFZ-Halter zugebilligt wird. Die zweckgebundene Einnahme wurde eingeführt, um der durch die derzeitige Wirtschaftskrise gebeutelten Autoindustrie unter die Arme zu greifen – sie soll die PKW-Nachfrage steigern helfen. Die Kritik an der Umweltprämie ist mannigfaltig, das Missbrauchspotential wird seit Einführung der Prämie als hoch eingeschätzt.

Für ALGII-Empfänger ist es ein finanzielles Vabanquespiel, einen PKW zu besitzen. Zwar ist ein PKW mit einem Verkaufswert unter 5.000 Euro auf jeden Fall als angemessen anzusehen, wird somit also nicht als Vermögen angerechnet, doch die Kosten, die für die KFZ-Haltung anfallen, werden nicht extra übernommen, sondern müssen vom Regelsatz beglichen werden. Die KFZ-Haftpflicht wird als gesetzlich vorgeschriebene Versicherung bei einem Zusatzeinkommen zwar abgesetzt, doch die Benzinkosten, TÜV etc. sind Privatsache des ALGII-Empfängers. Oft ist ein PKW jedoch gerade auch in ländlichen Gegenden nicht etwa Kür, sondern Pflicht. Busse fahren nur unregelmäßig, was auch die Fahrt zu Bewerbungsgesprächen verkompliziert. Die älteren Fahrzeuge erweisen sich jedoch gerade in der heutigen Zeit als gefräßige Benzinschlucker, weshalb eine Umweltprämie für einen ALGII-Empfänger, der noch ein Schonvermögen besitzt, eine Hilfe beim Kauf eines Neuwagens wäre. Dieser würde dann die monatlichen Kosten verringern, was angesichts des knapp bemessenen Regelsatzes einen erheblichen Unterschied ausmachen kann.

Doch das Gesetz lässt dies nicht zu. Die Umweltprämie wird, wie auch Kindergeld etc., als Einkommen vollständig auf das ALGII angerechnet. Der Arbeitsmarktexperte der CDU, Ralf Brauksiepe, sieht diese Anrechnung als gerechtfertigt an und begründet dies damit, dass es sich bei ALGII um eine nachrangige Leistung handelt, welche lediglich bei Bedürftigkeit erfolgt. Dorothea Siems hält in ihrem Kommentar in der Zeit die Abwrackprämie für ALGII-Empfänger für eine Verführung der Armen, sich in eine Schuldenfalle zu bewegen, lässt hier aber außen vor, dass ein Neuwagen schlichtweg auch hilft, monatliche Kosten einzusparen und somit für so manchen ALGII-Empfänger eine durchaus sinnvolle Investition durch das vorhandene Schonvermögen ist. Sie sieht den PKW somit als Schuldenfalle per se und den ALGII-Empfänger als mittellosen, leicht verführbaren Menschen, der davor geschützt werden muss, sich einen Neuwagen anzuschaffen.

Beides ist angesichts der Tatsache, dass ein PKW für viele ALGII-Empfänger kein Statussymbol, sondern vielmehr eine Notwendigkeit ist, zynisch. Laut Sozialgesetzbuch ist jeder verpflichtet, sich um zumutbare Arbeit zu bemühen, wer auf dem Land lebt, benötigt hierfür schlicht einen PKW. Das Schonvermögen für einen solchen aufzubrauchen ist somit nicht etwa ein leichtsinniger Gang in die Schuldenfalle, sondern oftmals eine gut kalkulierte Investition, die das tägliche Leben wie auch die Suche nach dem Arbeitsplatz erleichtert.

Unabhängig von dieser Tatsache stellt sich allerdings die Frage, wieso die zweckgebundene Einnahme, die die PKW-Nachfrage ankurbeln soll, angerechnet werden muss. Die Prämie wird lediglich dann gezahlt, wenn auch der Nachweis über die Verschrottung des Altwagens sowie den Kauf des Neuwagens erfolgte; sie wird nicht im Voraus gezahlt, sondern im Nachhinein – wieso sie also als Einkommen angerechnet wird, ist nicht wirklich nachzuvollziehen. Der ALGII-Empfänger, der sich mit Hilfe seines Schonvermögens einen Neuwagen kauft, erhält lediglich einen Anteil seines bereits gezahlten Kaufpreises zurück, er bekommt kein zusätzliches Geld.

Abfindung – mal Einkommen, mal Vermögen

Ähnliche Irritation bezüglich der Anrechnung von Einkommen/Vermögen lässt ein Urteil des Bundessozialgerichtes aufkommen, welches sich mit der Frage befasst, inwiefern eine Abfindung auf den Regelsatz angerechnet wird.

Im vorliegenden Fall (AZ B 4 AS 47/08 R) ging es um einen Arbeitnehmer, der zu Unrecht entlassen worden war. Erst nach einer langen, gerichtlichen Auseinandersetzung gelang es ihm, mit dem früheren Arbeitgeber einen Vergleich zu schließen – die Abfindung in Höhe von 6.500 Euro konnte er letztendlich erst dadurch erhalten, dass er dem ehemaligen Chef den Gerichtsvollzieher sandte. Wäre die Abfindung sofort nach Eintritt der Arbeitslosigkeit gezahlt worden, so hätte sie als Vermögen im Sinne des Sozialgesetzbuches gegolten. Je nach Umfang des sonstigen Vermögens, dem Alter sowie dem Zivilstand des ALGII-Empfängers wäre somit die Abfindung in einer gewissen Höhe (oder sogar in kompletter Höhe) dem Schonvermögen zugerechnet worden. Da der Arbeitgeber aber erst nach der gerichtlichen Auseinandersetzung sowie dem Zwangsvollstreckungsverfahren, welches durch den ALGII-Empfänger initiiert wurde, die Abfindung zahlte, wird diese nun nicht als Vermögen (bereits vorhanden), sondern als Einkommen (während des ALGII-Bezuges erhaltener Geldfluss) angesehen.

Interessant ist hierbei die Begründung des Urteils. „Der Gesetzgeber hat im SGB II – anders als noch bei dem bis Ende 2004 für die Arbeitslosenhilfe geltende Recht – bewusst darauf verzichtet, Abfindungszahlungen zu privilegieren und sie bei der Ermittlung des Bedarfs von der Anrechnung als Einkommen auszunehmen.“ heißt es. Der Gesetzgeber hat somit explizit davon abgesehen, Abfindungen, die als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, für den Arbeitnehmer als schutzwürdig anzusehen. Vielmehr werden sie wie sonstige Einnahmen behandelt, was bedeutet, dass ein Arbeitnehmer, der sich nach jahrelanger (kostenintensiver) gerichtlicher Auseinandersetzung endlich ein Recht auf eine Abfindung erstreitet, hierfür noch bestraft wird – anders als derjenige, der seine Abfindung sofort erhält, muss er diese nämlich beim ALGII-Bezug anrechnen lassen und so (wie im vorliegenden Fall) erhaltene ALGII-Leistungen ggf. zurückzahlen.

Beide Urteile zeigen nicht etwa, dass die Justiz die ALGII-Empfänger im Stich lässt. Sie zeigen vielmehr, dass der Gesetzgeber bei seinen Gesetzentwürfen die ALGII-Empfänger bewusst außen vor lässt. Egal ob es darum geht, die Konjunktur anzukurbeln oder sich gegen ungerechtfertigte Kündigungen zu wehren – ALGII-Empfänger interessieren hier nicht. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet/die Gesetzeslage ist eindeutig, heißt es. Und das ist der eigentliche Skandal.