Ausweichen und Eingraben

Der kalte Krieg ist vorbei. Die Atombunker der deutschen Regierungen bleiben Mahnmale einer Architektur des Verschwindens

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Im vergangenen Herbst hat der Atombunker der DDR-Regierung vorerst für immer seine Pforten für Besucher geschlossen. Sein Pendant in Westdeutschland ist weitgehend zurückgebaut und als Museum umfunktioniert. Eine Begehung beider Objekte zeigt, welche Illusionen sich selbst diejenigen über den Atomkrieg gemacht haben, die ihn mit verantwortet hätten.

1960, als der kalte Krieg wieder einmal kurz davor stand, heiß zu werden, wurden die Pläne der damaligen BRD-Regierung in die Tat umgesetzt, einen atomwaffensicheren Ausweich-Regierungssitz in der Nähe von Bonn zu errichten. Dort sollte die Bundesregierung, etwa 180 Personen Wartungspersonal und für die unmittelbare Versorgung nach einem Atomschlag wichtige Personen (Ärzte, Krankenschwestern, ...) untergebracht werden. Insgesamt konnte der Bunker 3000 Personen für begrenzte Zeit beherbergen. Zwölf Jahre dauerte es bis zur Fertigstellung des Gebäudes mit dem Codenamen “Rosengarten”, dessen Bauarbeiten sich nicht nur aufgrund der Geheimhaltung schwierig gestalteten.

Der Zufahrtsweg mit dem Bunkereingang bei Ahrweiler. Der rechte Gebäudeteil ist ein neuer Anbau für die Dokumentationsstätte, wo Exponate und Filme zu sehen sind. Alle Bilder: Stefan Höltgen

Etwa 20 Jahre nach dem ersten Spatenstich für den Westbunker, im Jahr 1978, entschloss auch die DDR-Regierung sich für den Fall des Ernstfalls zu rüsten. Der im Volksmund “Honecker-Bunker” genannte Schutzraum ist nach nur fünf Jahren Bauzeit fertiggestellt worden und befindet sich nördlich von Berlin in einem Waldstück nahe des Örtchens Prenden. Auch hier war Geheimhaltung während der Bauarbeiten höchste Pflicht. Während man im Westen die Baustelle im Aartal großzügig mit Tarnnetzen abdeckte, wurden für den Ost-Bunker regelrechte Potemkinsche Dörfer angelegt. Der Abraum der Baustelle wurde gleichmäßig in der Gegend verteilt und die Abluft des Bunkers unterirdisch außer Reichweite geleitet und in über als Heizkraftwerk getarntes Gebäude abgelassen, damit die ausströmende Wärme den Standort nicht verriet.

25 gegen 20.000 Tonnen

Diese Geheimhaltung hatte zweierlei Gründe: Erstens sollte der nur für vergleichsweise wenige Menschen verfügbare Schutzraum im Ernstfall vor dem Ansturm der Massen, dem er sicherlich standgehalten hätte, bewahrt werden. In den Strategieplänen der Bundesregierung hieß es dazu euphemistisch, dass im Regierungsbunker jene Menschen geschützt werden soll, das nach dem Atomschlag den Draußengebliebenen zur Hilfe kommen kann. Doch ob das dort untergebrachte Personal hätte (über die Videomonitore) mit ansehen können, wie vor den Rolltoren die Mitmenschen sterben? Um eventuell in einem solchen Fall entstehende Konflikte im Bunker zu verhindern, gab es im Ost-Bunker nur eine bewaffnete Person. Der andere Grund für die Geheimhaltung war militärischer Natur. Man befürchtete natürlich, dass der Bunker bei Bekanntwerden seiner Lage Ziel eines direkten Treffers würde. Dass nämlich die Panzerung der bis zu 25 Tonnen schweren Zugänge der enormen Hitze- und Druckwelle einer Atombombe standgehalten hätte, ist reine Illusion.

Eines der Drucktore, die das Bunkerinnere (durch besondere Dichtungen) kontaminationsfrei halten sollten.

Doch die Geheimhaltungsbemühungen in dieser Hinsicht waren vergebens. Beide deutsche Regierungen waren vom ersten Spatenstich an über die Projekte des Gegners durch ihre ausgeklügelten Spionagesysteme informiert. Dadurch sind die Bunker wahrscheinlich zu Primärziele geworden, aber selbst ein in nur mittelbarer Nähe (Prenden ist vom Zentrum Ost-Berlins etwa 40 km, Ahrweiler von der Bonner Hardthöhe sogar nur 26 km entfernt) einschlagender Nuklearsprengkopf mit einer Zerstörungskraft 20 kT hätte beide Anlagen zerstört oder unbrauchbar gemacht, wie die Gemeinschaft “Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs” (IPPNW) bereits 1983 im so genannten “Ulmer Szenario” eindrucksvoll dargelegt hat. Beide Bunker können, will man nicht davon ausgehen, dass den Regierungen die physikalischen Fakten nicht bekannt waren, also allenfalls eine strategische Funktion gehabt haben – und vielleicht waren sie deshalb auch so “leicht” durch den Gegner zu entdecken, weil sie in Wirklichkeit mit zu den Waffensystemen gezählt werden sollten: Einen Bunker zu bauen drückt ja nicht nur Schutzbedürfnis, sondern auch Kriegsbereitschaft aus. Das hat auch die IPPNW erkannt und in ihrer Frankfurter Erklärung abgelehnt: “Jede Vorbereitungs-Maßnahme indessen, die von seiner Möglichkeit ausgeht, fördert indirekt die Bereitschaft, sich auf etwas einzustellen, was um jeden Preis verhindert werden muss.”

Eines der vier 25 Tonnen schweren Rolltore, die innerhalb von Sekunden hydraulisch (oder in 40 Minuten manuell) geschlossen werden konnten, um Strahlen und Verstrahlte draußen zu halten. Die Rolltore wurde aufgrund ihres Gewichtes zuerst aufgestellt und dann der Bunkereingang darüber gebaut.

Kommunikationswaffen

Dass die Kommunikation bzw. Fehlkommunikation ein wichtiger Faktor in jedem, vor allem aber im Kalten Krieg gewesen ist, ist unbestreitbar. Paul Virilio hat sie im Anhang zu seiner “Bunker-Archäologie” daher auch als dritte Waffengattung neben den konventionellen und den atomaren Waffen definiert. In beiden Bunkern gab es mehrfach gesicherte interne und externe Kommunikationsleitungen, die nicht nur ebenfalls den extremen Bedingungen eines Atomschlags standhalten sollten (dicke Metallisolierungen sollten die Anlagen gegen den Ausfall durch NEMP schützen), sondern, weil über sie im Ernstfall die Anweisungen von den Befehlshabern ans Militär gelaufen wären, auch gegen Manipulation und Abhörung gesichert werden. Im Ostbunker war zu diesem Zweck ein autarkes Telefonnetz eingerichtet, das so gut funktioniert hat, dass nach der Wende von hier aus das Telefonnetz für Berlin gesteuert wurde, bis eine arbeitsfähige Infrastruktur etabliert war.

Ausstattung, die eingelagert wurde. Alles wurde stets auf aktuellem Stand gehalten und gewartet, damit es im Ernstfall funktioniert. Das hat laufende Kosten produziert, die wohl der Hauptgrund für die Aufgabe des Bunkers gewesen sein dürften. Irgendwann ist die Kostenabschreckung einfach zu groß ...

Die subtile strategische “Kommunikation”, die vom Bunkerbau und dem gegenseitigen Wissen um ihn ausgegangen ist, hatte schließlich vielleicht sogar einen wesentlichen Anteil daran, dass sich die Strategien der Gegner im Kalten Krieg von einer quantitativen auf eine qualitative Seite verschoben haben. Bis in die 1970er-Jahre war das vorherrschende Prinzip das des “Wettrüstens”:

Die zuerst nukleare und dann ab 1951 thermonukleare Bombe kann ihre Kraft nicht mehr vergrößern. Als letzte Explosion einer Zerstörung, die das unendlich Kleine der Materie erreicht, so wie die Trägerrakete das unendliche Größe der Kontinente beherrscht, bezeichnet die Atomwaffe für die Partner/Gegner dieses ausgeglichenen Spiels eine Grenze des Krieges sowie die Sicherheit einer gegenseitigen Zerstörung und zwingt sie, gemeinsam andere Taktiken, andere Strategien, aber vor allem eine vollkommen andere Logistik ins Auge zu fassen, wobei der Rüstungswettlauf eine neue Form des Krieges wird, eines industriellen und wissenschaftlichen Krieges, dessen Auswirkungen auf die Volkswirtschaften verheerend sein kann.

Die enorme Steigerung des Anteils für Rüstungsausgabe an den Staatsbudgets, aber auch die Ausrüstung der Interkontinental-Raketen mit immer stärkeren Sprengköpfen korreliert allerdings nicht, wie Virilio es andeutet: 1961 verursachten die Sowjets mit der Zündung der 50-MT-”Tsar”-Bombe die stärkste von Menschen bis dahin - und seither - verursachte Explosion; zu diesem Zeitpunkt lag die größte Kostenexplosion für die Rüstung bereits ein Jahrzehnt zurück. Für die Veränderung Waffensysteme ist Virilios Überlegung dennoch relevant: Die Existenz des Bunkers hat ihm zufolge von einer quantitativen zu einer qualitativen Periode geführt, “in der die Verringerung dieser Zerstörungskraft zunächst mit der Steigerung der Steuerungspräzision für die Raketen […] und dann mit der systematischen Zerstörung bestimmter überzähliger Waffensysteme Hand in Hand geht”. Dies hat diese Atombunker zu Relikten der ersten Periode erklärt und sie quasi überflüssig gemacht.

Zahnarztzimmer

Architekturen des Verschwindens

Ein Besuch in den Bauwerken zeigt heute deutlicher als Damals, wie sehr sich ihre Architektur dem Paradigma des Verschwindens verschrieben hat. Der West-Bunker ist einer Höhle gleich 17 km tief und über 100 Meter lang in ein Felsmassiv eingegraben worden. Der Ost-Bunker ist mit einer Fläche von 66 mal 48 Metern und drei Etagen eher würfelförmig angelegt und befindet sich in geringerer Tiefe als sein BRD-Pendant. Das Vergraben der Bunker ist der auffälligsten Unterschied zu den Schutzraum-Architekturen, wie sie noch bis zum zweiten Weltkrieg vorgeherrscht hatten – es hat natürlich den Sinn, dass der Feuersturm über die Bunkeranlage hinwegfegen konnte, ohne das Bauwerk zu beschädigen:

Was die passive Verteidigung gegen die Schrecken dieses Himmelsfeuers betrifft, so verlängert und verstärkt sie die Notwendigkeit des Sicheingrabens, die die klassische Artillerie und die Luftbombardements seit langem umrissen hatten, wobei die Oberfläche des Erdbodens und seine unterirdische Dicke zur besten Panzerung für die strategischen Reserven oder die Kommandosysteme werden, so wie der Gefechtsstand der amerikanischen Streitkräfte unter den Rocky Mountains […].

Die teilweise äußerst langen Flure wirken, gerade wenn sie verlassen sind, besonders gespenstisch. Die leichte Biegung wird noch durch einige Knicke ergänzt, mit deren Hilfe Luftdruckwellen gebrochen werden sollten

Die alten militärischen Bunkeranlagen, die Virilio in seinem Bildband beschreibt, waren vor allem dadurch ausgezeichnet, dass sie gänzlich ohne Fundament erstellt wurden. So zerbarsten sie bei Erschütterungen durch nahe Einschläge nicht gleich, sondern konnten den Stoß mehr oder weniger flexibel abfangen. Diese totale Flexibilität besitzen die Atombunker aufgrund ihrer Versenkung nicht. Der Westbunker wäre durch seine Einlassung in die Gebirgsstruktur des Ahrtals Erschütterungen wohl auch wesentlich weniger stark ausgesetzt gewesen als der Ostbunker. Aus diesem Grund ist in letzteren ein ausgetüfteltes System von hydraulischen Stoßfängern und freihängenden Konstruktionen zum Einsatz gekommen, die ruckartige Versetzung von bis zu 40 Zentimetern abgefangen hätten. Und mehr noch als der BRD-Bunker besaß Honeckers Schutzraum den Charakter der von Virilio beschriebenen “Überlebensmaschine”, denn im Zentrum des Bauwerks befindet sich – ebenfalls federnd gelagert – ein zweiter Bunker, in welchem der Nationale Verteidigungsrat der DDR tagen konnte und sich wo Honeckers Privatgemächer befanden.

Verschwundene Architektur

“Wenn er also der Krypta ähnlich ist, die die Wiederauferstehung präfiguriert, dann ähnelt der Bunker ebensosehr der Arche, dem Vehikel, das einen durch die Durchquerung tödlicher Risiken aus der Gefahrenzone bringt.” Beides – Wiederauferstehung und Verlassen der Gefahrenzone - die Virilio hier assoziiert, sind für die Atombunker keine zureichenden Beschreibungen. Die Besatzung hätte die Bauwerke aufgrund begrenzter Nahrungs- und Luftressourcen verlassen müssen, wenn draußen der Krieg noch in vollem Gange gewesen wäre. Denn anders als ein konventionell geführter Krieg beginnt ein Atomkrieg erst richtig, nachdem die Waffen zu schweigen begonnen haben. Über die Szenarien, die sich dann vor den Toren der Anlagen abgespielt hätten, können sich nur post-apokalyptische Dystopien äußern. “Nach drei Stunden Atomkrieg stößt man ins Unbekannte vor”, vermutete der 1975 gestorbene Strategie-Experten der französischen Armee, General André Beaufre.

Eine rekonstruierte Steuerzentrale (die wesentlich tiefer im Bunker gelegen war). Hier wurde unter anderem der Einlass verwaltet.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die beiden Regierungsbunker ihre Bedeutung ein zweites Mal verloren. 1997 hat die Bundesregierung den West-Bunker aufgegeben und den Rückbau veranlasst. Bis auf etwa 300 Meter, die heute als Museum dienen, ist die Anlage wieder “verschwunden” - geflutet und verschüttet. Der Ost-Bunker hat mit dem Ende der DDR 1989 seinen Sinn eingebüßt und ist noch bis 1993 von der Bundeswehr genutzt worden, bevor er, weil sein Standort ja nun bekannt war, aufgegeben und für lange Zeit verschlossen wurde. Abgesehen von ein paar Einbrüchen ist er danach nur für kurze Zeit wieder betreten worden: Im vergangenen Jahr hat ihn ein Berliner Verein1 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und mit den Eintrittspreisen unter anderem einen neuen, sicheren Verschluss finanziert. Mit der Musealisierung im Westen und der Einsargung im Osten sind damit zwei der wichtigsten Relikte des Kalten Krieges endgültig zu historischen Artefakten geworden.