Undemokratische Eile

Bundesregierung bereitet ein Gesetz vor, das die Abscheidung und Einlagerung von CO2 regeln soll

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Glaubt man den Lobbyisten der Energiekonzerne, dann ist der Stein der Weisen gefunden. Man braucht das Klimagas CO2 nur in den Kraftwerken abtrennen und dann im Untergrund oder am Boden der Ozeane einlagern, und schon sind alle Energie- und Klimaprobleme gelöst.

Dass allerdings noch allerlei technische Fragen offen sind, dass das Ganze eine recht kostspielige und nicht zuletzt energieaufwändige Angelegenheit sein wird, findet bestenfalls im Kleingedruckten Erwähnung. Auch Fachleute der Energiewirtschaft geben auf Nachfragen zu, dass das Abscheiden, Verflüssigen und Einlagern von CO2 den effektiven Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke um rund zehn Prozent senken würde. Selbst die modernsten Anlagen würden dann nicht mehr als 35 Prozent der chemischen Energie der Kohle in Strom umwandeln.

Ungeklärt ist bisher auch noch der rechtliche Rahmen für die noch zu entwickelnde Technik, mal davon abgesehen, dass noch keiner weiß, wo in Deutschland das Treibhausgas eingelagert werden könnte. Fragen nach der Haftung für CO2-Lagerstätten wären zu klären, nach den Bestimmungen für den Bau von entsprechenden Pipelines, den Zugang zu diesen und manches mehr.

Abhilfe soll ein neues "Gesetz zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid" schaffen, von dem seit einigen Wochen ein erster Referentenentwurf vorliegt. Umwelt- und Wirtschaftsministerium haben sich inzwischen zusammengerauft, aber noch gibt es einige Widerstände in der SPD-Fraktion. Wenn die überwunden sind, soll der Entwurf nächste Woche vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Mit verkürzten Fristen könnte er dann bis zum Sommer noch durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden. Angesichts seiner weitreichenden Bedeutung eine ziemlich undemokratische Eile.

Aber die Industrie drängt auf schnelle Befassung. Noch in dieser Legislaturperiode würde sie das Gesetzeswerk gerne unter Dach und Fach gebracht sehen. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl würde es sonst wohl erst im nächsten Jahr vom Bundestag verabschiedet werden können. Auch der Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, (IG BCE) Hubertus Schmoldt, legt sich für die Technik ins Zeug. Schluss mit dem Streit, ein "Praxis nahes Gesetz" müsse her, verkündete er im Handelsblatt.

Der Industrie geht es letztlich um eine möglich rasche Festlegung, um die Entwicklung vorantreiben zu können. Bisher gibt es nämlich in Deutschland nur eine kleine Pilotanlage in Südbrandenburg, von der großtechnischen Umsetzung ist man jedoch noch meilenweit entfernt. Auch über etwaige Endlager gibt es bisher nur sehr vage Vorstellungen, aber schon die Gewissheit, dass sie keiner im eigenen Vorgarten haben möchte: Schleswig-Holsteins Landtagsparteien haben bereits angekündigt, dass sie keinesfalls die Abgase aus Nordrhein-Westfalen im Lande unterbringen wollen.

Angesichts all dieser ungeklärten technischen und politischen Aspekte fragt sich schon, ob ein zügiges Gesetzgebungsverfahren wünschenswert ist. Immerhin bedeutet es eine Festlegung auf eine Technologie, in die etliche Dutzend Milliarden Euro investiert werden müssten. Geld, mit dem an anderer Stelle wahrscheinlich schneller und effektiver Klimaschutz betrieben werden könnte.

Aber was noch schwerer wiegt: Ähnlich wie die Atomkraftnutzung bedeutet die Abscheidetechnologie – in der Fachsprache meist mit CCS abgekürzt, was für Carbon Capture and Storage steht – eine Hypothek für die kommenden Jahrtausende. Schließlich müssen die Lagerstätten langfristig gesichert und überwacht werden. Unter anderem geht man mit ihrer Einrichtung davon aus, dass auch in 5.000 oder 10.000 Jahren noch stabile gesellschaftliche Verhältnisse herrschen, in denen dies gewährleistet ist. Angesichts der bisherigen menschlichen Geschichte eine ziemlich gewagte Annahme.

In diesem Zusammenhang sind die Haftungsregeln bemerkenswert, die der Referentenentwurf vorschlägt: Schon 20 Jahre nach der Schließung einer Lagerstätte sollen die Betreiber das Recht haben, die weitere Verantwortung an das jeweilige Bundesland abzugeben. "Bravo, das wär’s dann: Erst bezahlt der Steuerzahler die Technologie, dann verdienen die Stromversorger prächtig mit Kohlestrom, anschließend werden alle Risiken der CO2-Verklappung vergesellschaftet. Frecher geht’s eigentlich kaum. Aber nach den Milliardenspritzen beim Bankendebakel geht wahrscheinlich alles", kommentiert die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, das Husarenstück.

Auch bei den Umweltverbänden wird der Referentenentwurf äußerst kritisch gesehen. Mit heißer Nadel sei er gestrickt und keine Regeln für die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte vorgesehen, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. "Ein überstürzt erarbeitetes CCS-Gesetz nützt allein denjenigen, die weiterhin auf überkommene Energieversorgungsstrukturen mit unflexiblen Großkraftwerken setzen", heißt es in ihrer Stellungnahme.

Die DUH weiter: "Es ist bezeichnend, dass die Bundesregierung bei der EU-Effizienzrichtlinie 2006/32/EG die europarechtlich bindende Umsetzungsfrist von zwei Jahren, die im Mai 2008 ablief, untätig hat verstreichen lassen, während zur Umsetzung der EU-CCS-Richtlinie in nationales Recht die 2-Jahresfrist noch nicht einmal begonnen hat." Die angesprochene EU-Richtlinie, die mit dem Gesetz umgesetzt werden soll, war erst im Dezember verabschiedet worden, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, wie das bei den EU-Gesetzen leider meist der Fall ist.

Der Verband der deutschen Braunkohleindustrie DEBRIV ist hingegen mit den Verfahren höchst zufrieden und hält die Kritik der Umweltverbände für "unbegründet. Eine Verzögerung oder Verhinderung des Gesetzes würde nicht nur gegen europäisches Recht verstoßen, sondern das Klima zusätzlich belasten und Tausende von Arbeitsplätzen in der Energiewirtschaft und dem Kraftwerksbau kosten."

In der deutschen Braunkohleindustrie, das heißt, in Abbau und Kraftwerken, sind etwa 20.000 Menschen beschäftigt, in Herstellung und Betrieb von Windkraftanlagen hingegen über 80.000. Demagogischer geht es also kaum noch. Die Braunkohle ist mit einigem Abstand noch vor der Steinkohle das größte Klimaproblem in Deutschland. Der Wirkungsgrad der meist älteren Kraftwerke liegt in der Regel unter 40 Prozent, einige bringen es auf nicht viel mehr als 30 Prozent.

Wegen ihres geringen Brennwertes fällt bei der Verbrennung von Braunkohle besonders viel Treibhausgas pro nutzbarer Energie an. Durchschnittlich sind es in Deutschland derzeit rund 1200 Gramm pro Kilowattstunde Strom. 2008 hatte Braunkohle hierzulande einen Anteil von 11,1 Prozent am Primärenergieversorgung und 23,5 Prozent an der Stromerzeugung. Steinkohle, die im Gegensatz zur Braunkohle überwiegend importiert werden muss, hatte einen Anteil von 20,1 Prozent. Bei beiden Energieträgern ist der Trend leicht rückläufig. 1990 lieferten in Deutschland Kohlekraftwerke noch 56,7 Prozent des Stroms, heute sind es noch 43,6 Prozent.