Es könnte so einfach sein

Warum Netzsperren reine Symbolpolitik sind

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Netzsperren, so deren Befürworter, sind notwendig, weil es zu wenig Handhabe gegen kinderpornographische Angebote gebe. Angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der tatsächlich verbotenen Inhalte auf den bisher öffentlichen gewordenen Listen in westeuropäischen Ländern gehostet war, ließ diese Argumentation jedoch einige Fragen offen. Nun nützte ein privater Kinderschutzverein die dänische Sperrliste, um durch einfache Hinweise an die Provider einen großen Teil der darauf befindlichen kinderpornographischen Websites vom Netz nehmen zu lassen.

Der Verein untersuchte die Sperrliste erst kritisch darauf, welche Seiten sich tatsächlich zu Recht darauf befanden und ersuchte dann die Provider, diese Seiten zu löschen. Hierbei musste er sehr aufwändig und sorgfältig vorgehen, um sich nicht selbst in dem Vorwurf des Besitzes von Kinderpornographie auszusetzen:

Ein Zugriff auf die gesperrten Seiten kam nicht in Frage. Wie sollte also geprüft werden, ob sich überhaupt kinderpornographische Inhalte darauf befinden? Ein schnell dafür entwickeltes Programm konnte helfen. Es lud lediglich die HTML-Seiten (den reinen Text) und prüfte auf die Verfügbarkeit und das Vorkommen bestimmter Stichworte. Multimediainhalte (Bilder/Flash/Video etc.) wurden dabei nicht heruntergeladen. Ein Stichworttreffer qualifizierte die Seite für den Test.

Eine Webseite nur auf Grund einer Einschätzung eines privaten Vereins vom Netz zu nehmen, ist keineswegs unproblematisch. Im Gegenteil: so ein Vorgehen birgt viel Missbrauchspotential in sich. Hier kommt also den Providern eine erhöhte Sorgfaltspflicht zu. Dieser scheint man im aktuellen Fall jedoch nachgekommen zu sein, da sich die Provider nicht zur Löschung sämtlicher inkriminierten Domains entschlossen, sondern vielmehr eine eigene Einsachätzung vornahmen, ob sich legale oder illegale Pornographie darauf befand. Von 20 inkriminierten Domains waren nach Benachrichtigung der Provider 16 dauerhaft vom Netz genommen worden, bei 4 Domains gaben die Provider an, dass die Prüfung keine illegale Kinderpornographie ergeben hätte, weshalb diese Domains online blieben.

Die Frage, die der Kinderschutzverein nach dieser Aktion zu Recht stellt, lautet: Warum ist es einem privaten Verein möglich, Provider dazu zu bringen, Webseiten mit kinderpornographischem Material vom Netz zu nehmen, während die Politiker, die sich seit längerer Zeit medienträchtig zum Thema äußern und die Websperren als unbedingt notwendig propagieren, hier nicht aktiv werden?

"Wir rühren nicht an der Kommunikationsfreiheit." so ließ etwa die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen verlautbaren. "Es geht um die Bekämpfung von Schwerstkriminalität." Warum, wenn diese Bekämpfung von Schwerstkriminalität im Vordergrund steht, wird hier nicht das Naheliegende getan und der Provider informiert, damit die Seite nicht nur gesperrt, sondern vom Netz genommen wird? Warum wird stattdessen eine symbolträchtige Warnseite vorangestellt, die von jedem nur entfernt technisch bewandertem Nutzer ohne große Mühe umgangen werden kann?

Den Medien zu zeigen, welch "brutalste Kinderpornographie" es doch gibt, mag die eigene Position stärken, doch die Problematik an sich löst es nicht, hierfür wären – dies zeigt die Aktion des Kinderschutzvereins deutlich – ganz andere Maßnahmen erforderlich. Aber vielleicht soll mit den Netzsperren ja etwas ganz anderes erreicht werden. Und vielleicht ist Frau von der Leyen hier nur ein willfähriges Rädchen im Getriebe, das von Lobbyisten, Geschäftemachern und Zensurfreunden gleichermaßen angetrieben wird, um das Internet letztendlich in ein komplett reguliertes Medium zu verwandeln, in dem kaum mehr freie Kommunikation möglich ist?

Aus welchen Gründen auch immer von der Leyen und andere Websperrenbefürworter agieren: das Vorgehen des Kinderschutzvereines entlarvt sie als bloße Dampfplauderer, die schlimmstenfalls heuchlerisch vorgehen, bestenfalls aber, wie es mittlerweile schon in einem neu in die deutsche Sprache eingegangenen Wort heißt, "leyenhaft".

Aber nicht nur durch diesen Vorfall wird deutlich, dass Netzsperren gegen Kinderpornographie bestenfalls Symbolpolitik sind - eine Symbolpolitik, gegen deren Kritiker weitaus härter durchgegriffen wird, als gegen die Anbieter von Kinderpornographie: So wurde in Finnland nicht etwa gegen solche Anbieter strafrechtlich vorgegangen, sondern gegen Jemanden, der die geheim gehaltenen Listen öffentlich machte und nachwies, dass sich auf etlichen der Seiten, welche der finnische Internetnutzer nicht mehr aufrufen kann, keineswegs Kinderpornographie findet. Der Fall zeigte besonders eindringlich die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem, was gesagt, und dem, was getan wird. Offiziell sollten die Netzsperren gegen ausländische Kinderpornographieseiten helfen, deren Seitenbetreiber man nicht habhaft wird. Auf der Liste fanden sich aber auch finnische Seiten, weshalb sich die Frage stellt: Warum, wenn sie denn so offensichtlich Kinderpornographie enthalten (oder als Portal für Kinderpornoseiten dienen), werden sie nicht einfach vom Netz genommen? Und so sie dies nicht werden, wieso sperrt man sie dann?