Zeitungszeugen-Prozess: Dämpfer für die bayerische Staatsregierung

Das Landgericht München zeigt Zweifel an den vom Finanzministerium geltend gemachten Monopolrechtsansprüchen

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Das Urheberrecht ist komplex. Wie komplex, das illustriert aktuell der Fall Zeitungszeugen, über dessen immaterialgüterrechtlichen Teil am Mittwoch verhandelt wurde. Das Bayerische Finanzministerium hatte geltend gemacht, über "geistige Eigentumsrechte" an Ausgaben von Zeitungen aus den frühen 1930er Jahren zu verfügen, die der britische Verleger Peter McGee seinem Magazin Zeitungszeugen als Faksimile-Drucke beigelegt hatte. Nachdem McGees Albertas-Verlag die Ansprüche anzweifelte, machte das Ministerium einen strafbaren Urheberrechtsverstoß geltend und ließ bundesweit Razzien und Beschlagnahmen bei Groß- und Einzelhändlern durchführen. Am Mittwoch wurden die Ansprüche der Staatsregierung vor dem Landgericht München I verhandelt: Und das, was die drei Richter an Fragen und Vorschriften zutage förderten, war offenbar weder vom bayerischen Finanzministerium, noch vom Albertas-Verlag annähernd ausreichend antizipiert worden.

Da ging es beispielsweise um das alte deutsche Urheberrechtsgesetz von 1901, das auch noch 1933 galt, und nach dem Verlage – anders als heute – ein Urheberrecht erwerben konnten. In § 134 des aktuellen Urheberrechtsgesetzes versteckt sich nämlich eine Klausel, nach der juristische Personen, die zur Zeit des Inkrafttretens der neuen Regeln als Urheber eines Werks "anzusehen" waren, abgesehen von den Fällen, in denen sie Inhaber verwandter Schutzrechte werden, ausnahmsweise weiter als Urheber gelten, bis die Frist abgelaufen ist. Weil für deren Berechnung die "bisherigen Vorschriften" anzuwenden sind, gilt, anders als bei persönlichen Urhebern, nicht ein Sterbezeitpunkt als Grundlage für den Beginn der Frist, sondern das Erscheinungsdatum. Allerdings läuft diese Frist siebzig Jahre, und nicht fünfzig (wie bei anderen, von korporativen Urhebern gehaltenen Schutzrechten). Wenn der nationalsozialistische Eher-Verlag solche Rechte erworben hätte, dann würden sie demnach nicht für vor dem 1. Januar 1939 erschienene Schriften gelten – und damit auch nicht für die beiden Zeitungen, deren Faksimile-Nachdrucke beschlagnahmt wurden.

Allerdings ließen die Richter auch deutliche Zweifel erkennen, ob der Eher-Verlag solche Rechte überhaupt jemals hatte. Dazu wäre nämlich eine Übertragung von natürlichen und tatsächlich schöpferisch tätigen Personen notwendig. Der Möglichkeit, Adolf Hitler, der Nominalherausgeber des Völkischen Beobachters, wäre in dieser Position auch praktisch in urheberrechtlich relevanter Weise tätig gewesen, billigt das Gericht keine sehr große Wahrscheinlichkeit zu: Dafür hätte Hitler beispielsweise entscheiden müssen, welche Artikel im Einzelnen abgedruckt und wo genau sie platziert werden, was angesichts seiner zahlreichen anderen Aktivitäten kaum denkbar sei.

Auch am Vorliegen einer Rechteübertragungskette über die Schriftleiter Alfred Rosenberg und Wilhelm Weiß äußerte das Gericht erhebliche Zweifel: Nicht nur hinsichtlich des Vorliegens einer entsprechenden schöpferischen Tätigkeit, sondern auch, weil dafür zusätzlich zu dieser eine Rechteübertragung an den Verlag notwendig gewesen wäre, was damals völlig unüblich war und nicht belegt ist. Zudem trat das nationalsozialistische Schriftleitergesetz, auf das sich die Staatsregierung berief, erst im Oktober 1933 in Kraft, während die beschlagnahmten Ausgaben schon Monate früher gestaltet wurden.

Darüber hinaus ist auch jenseits dieser Fragen unklar, wie Eher die Rechte an der vom Freistaat beanstandeten Ausgabe des Angriff haben könnte. Die nämlich erschien am 30. Januar 1933 und damit zu einer Zeit, als die Eher-GmbH mit dem Blatt noch gar nichts zu tun hatte. Zudem blieb auch vor Gericht offen, wie die Bayerische Staatsregierung an die Rechtsnachfolge des aus dem Rheinland stammenden und in Berlin wohnhaften Angriff-Herausgebers Joseph Goebbels gelangt sein will.

Doch auch McGee durfte sich nach der Verhandlung nicht uneingeschränkt freuen: Seine Juristen hatten sich in ihrer Argumentation ganz auf das Zitatrecht gestützt. Das Gericht zeigte sich jedoch der Auffassung, dass der vierseitige Mantelteil deutlich zu wenig ausführlich ist, um damit einen Nachdruck kompletter Zeitungen zu rechtfertigen, auf die noch Schutzrechte bestehen. Das sei zwar grundsätzlich möglich, aber nur mit einer deutlich umfangreicheren Auseinandersetzung mit dem behandelten Werk.

Die 21. Zivilkammer wird in ihrem Urteil, das am 25. März verkündet werden soll, allerdings nur feststellen, ob der Verbotsantrag der Staatsregierung urheberrechtlich begründet war. Danach beschäftigt sich ein anderes Gericht mit der Frage, ob mit dem Nachdruck eine verbotene Verwendung von Zeichen verfassungsfeindlicher Organisationen verbunden war.