Dialektik der Weltanschauungswerbung

Die deutsche Variante der britischen "Buskampagne" kämpft mit städtischen Verkehrsbetrieben, kann aber bereits einen indirekten Erfolg verbuchen

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Seit Oktober letzten Jahres läuft in London eine von der Journalistin Ariane Sherine ins Leben gerufene und von Richard Dawkins unterstützte skeptizistische Werbekampagne mit religionskritischen Botschaften auf Bussen. Sie fand schnell Nachahmer in Italien, Spanien und Kanada. Mittlerweile hat auch eine deutsche Gruppe Geld für einen solchen Zweck gesammelt. Ihr Sprecher ist Philipp Möller.

Herr Möller - steht schon ein Zeitpunkt fest, wann die Kampagne in Deutschland starten wird?

Philipp Möller: Die Kampagne ist bereits insofern gestartet, als dass das Spendentool bereits freigeschaltet wurde. Wann wir Werbung auf den Bussen haben werden, ist allerdings vor dem Hintergrund der aktuellen Ablehnungen seitens der Verkehrsbetriebe noch nicht klar.

Wie sehen diese Ablehnungen seitens der Verkehrsbetriebe denn genau aus?

Philipp Möller: Wir haben von der BVG hier in Berlin die Rückmeldung bekommen, dass man generell keine religiöse oder weltanschauliche Werbung machen möchte, und das, obwohl in Berlin seit Jahren - eigentlich seit ich denken kann - "Jesus-liebt-Dich!"- und "Jesus-rettet-Dich!"-Aufkleber in den U-Bahnen kleben. Und auch die Pro-Reli-Kampagne durfte "ausnahmsweise" auf die Bahnhöfe, um dort Unterschriften zu sammeln. Von Seiten des KVV - also in Köln - wurde gesagt, dass man grundsätzlich darüber reden könne, allerdings wolle man in der aktuellen Situation abwarten, weil man ja dort im Moment ganz andere Probleme habe und das nicht so gut fände, jetzt in diesem Kontext zu werben. Dafür habe ich auch absolutes Verständnis. Von Seiten des MVV in München hieß es ebenfalls, dass nicht religiös beziehungsweise weltanschaulich geworben werden soll. Außerdem müssen wir als Berliner erst mal den Unterschied zwischen MVV und MVG durchblicken. Beim MVV sagte man uns, dass die Regionalbusse ganz ohne Werbung herumfahren, mit der MVG müssen wir darüber jetzt noch sprechen.

Bild: buskampagne.de

Und in anderen Städten?

Philipp Möller: Ich habe eben mit der Kollegin gesprochen, die im Moment herumtelefoniert. Sie hat bisher mit den jeweils Zuständigen in Fulda, Stuttgart, Dresden, Leipzig und Hamburg gesprochen. Dort sind die Verantwortlichen größtenteils - wenigstens für uns - nicht erreichbar, ziehen sich also zurück, und der Tenor lautet: "Eher nicht, da Kirchen sich davon betroffen fühlen könnten."

Was machen Sie mit dem gespendeten Geld, wenn Sie auch weiterhin keine Zusagen bekommen?

Philipp Möller: Ich gehe davon aus, dass wir es irgendwo schon schaffen werden. Wir möchten das wie versprochen als Buskampagne ins Rollen bringen. Wenn nicht, dann müssen wir zusehen, dass wir auf andere Werbemedien ausweichen, zum Beispiel auf Plakate. Wichtig ist in jedem Fall, dass wir die Botschaft noch nach draußen bringen.

Gibt es eine Möglichkeit, die Werbung bei den Verkehrsunternehmen einzuklagen?

Philipp Möller: Das wird zwar aktuell geprüft, aber erstens wollen wir vermeiden, uns da in einen finanziell sehr aufwändigen Prozess zu begeben, und zweitens soll das auch nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Wir haben eine gute aktuelle Rückmeldung, und wir möchten die Gunst der Stunde nutzen, das so schnell wie möglich ins Rollen zu bringen, bevor wir uns in irgendwelche Klage-Geschichten verwickeln.

Könnte so eine Klage nicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als eine Buskampagne?

Philipp Möller: Könnte, ja. Letztlich ist schon die Ablehnung seitens der BVG eine ziemlich interessante Geschichte, zumal die uns jetzt auch sagt, dass man aufgrund unserer Anfrage künftig jegliche religiös konnotierte Werbung sein lassen wird. Wenn das mal nicht schon ein Etappenerfolg ist! Die Diskussion darüber, die ja auch in anderen Ländern darum entbrannt ist, könnte tatsächlich zum Politikum werden - und das ist sicherlich interessant.

Das heißt also, Sie könnten möglicherweise auch andere Verkehrsgesellschaften zwingen, in Zukunft keine religiöse Werbung mehr anzunehmen.

Philipp Möller: Na ja - sie zu zwingen war ja überhaupt nicht unser Anliegen. Ich würde weniger von "zwingen" sprechen, als davon, dass wir mit unserer Anfrage darauf hinweisen, dass es da ein Ungleichgewicht gibt. Zwingen wollen wir niemanden zu irgendetwas.

Zu den "Jesus-liebt-Dich!"-Werbungen bei der BVG: Waren das nicht nur kleine, illegal angebrachte Aufkleber?

Philipp Möller: Nein. Klein sind sie, aber illegal sind sie nicht. Es gibt bei der BVG auf den U-Bahn-Fenstern, die sich öffnen lassen, ein Werbeformat, so ca. 50 mal 20 Zentimeter. Da gibt es sehr viel Produktwerbung, auch Werbung für esoterische Heilsschulen - und da waren auch "Jesus-liebt-Dich!"- und "Jesus-rettet-Dich!"-Aufkleber dabei – ganz offizielle Werbung also.

Gab es schon Pläne, welche Slogans in Deutschland benutzt werden sollten?

Philipp Möller: Wir haben ja drei Slogans zur Wahl gestellt. Vorschlag a: "Gottlos glücklich". Vorschlag b: "Gott ist eine Behauptung." Und Vorschlag c: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott." Das waren die drei Vorschläge, dazu gibt es verschiedene Untertitel. Angenommen wurde der dritte Vorschlag. Durch eine Wahl, an der sich die Spender beteiligen konnten.

Der Slogan "Science flies you to the moon, religion flies you into buildings", stand nicht zur Debatte?

Philipp Möller: Nein. Wir haben das Logo übernommen, arbeiten aber ansonsten auf eigene Faust, auch inhaltlich. Allerdings haben uns mit Ariane Sherine insoweit abgestimmt, dass auch wir keine anti-religiöse, sondern eine pro-aufklärerische, pro-atheistische und pro-säkulare Kampagne sein wollen.

Wenn man ethnologische Definitionen zu Grunde legt, dann müssen Gläubige eine Religion nicht als solche wahrnehmen. Im Gegenteil: Je selbstverständlicher Glaube, Riten und Regeln erscheinen, desto stärker bestimmen sie den Alltag und sind damit tatsächlich Axiome einer Gesellschaft. Das wären heute zum Beispiel das "geistige Eigentum" oder die "unsichtbare Hand". Wäre hier nicht mehr Aufklärung nötig, als bei den traditionellen Formen, die vom Großteil der Bevölkerung ohnehin nicht mehr Ernst genommen werden?

Philipp Möller: Ich kann Ihnen tendenziell zustimmen: Es gibt sicherlich größere Baustellen, das ist klar. Die Gunst der Stunde der atheistischen Buskampagnen aus den anderen Ländern sollte aber genutzt werden. Und deshalb sind wir als interessierte Privatpersonen, die sich für das Thema interessieren, auf den Zug aufgesprungen.