Studien zu Medien-Gewalt von politischem Opportunismus bestimmt

Die meisten Studien zum Thema Videospiele und Aggression werden von Ideologie und Politik bestimmt - nicht aber von methodischer Qualität und Signifikanz ihrer Ergebnisse. Das ergab eine Meta-Analyse amerikanischer Psychologen

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Gibt es eine Verbindung zwischen Gewaltdarstellungen in den Medien und aggressivem Verhalten? Betrachtet man manche Reaktionen auf politischer Ebene, scheint die Verbindung völlig klar zu sein, entschlossenes Handeln scheint dringend geboten. Tatsächlich aber hat die Forschung in diesem Bereich bisher alles mögliche bestätigt - nur nicht die Verbindung zwischen Mediengewalt und aggressivem Verhalten der Medienkonsumenten. Die Psychologen Christopher Ferguson und John Kilburn von der Texas A&M International University haben in einer Meta-Analyse 27 in den letzten zehn Jahren zu diesem Thema erschienene wissenschaftliche Beiträge überprüft - ihr Ergebnis ist im Journal of Pediatrics veröffentlicht.

Zwölf der von den Forschern betrachteten Studien waren rein korrelierender Art, zehn wurden experimentell durchgeführt und fünf beschäftigten sich als Longitudinal-Studien mit längeren Zeiträumen. 16 der Studien beschäftigten sich mit Kindern, der Rest mit Erwachsenen. 15 der Studien betrachteten allein die Auswirkungen von Videogames, während sich sieben speziell die Effekte des TV-Konsums ansahen - der Rest nutzte beide Medien. Allerdings, und das ist die erste Kritik der Forscher, nutzten überhaupt nur 41 Prozent der Arbeiten wissenschaftlich validierte Kriterien für tatsächliche Aggression. Dazu gehören physische Aktivitäten der Studienteilnehmer, ob nun verbaler oder körperlicher Art, oder klinische Skalen mit nachgewiesener Relation zu aggressivem Verhalten. Zu den nicht geeigneten Kenngrößen gehören etwa von Schülern oder Lehrern selbst- oder fremdgetroffene Einschätzungen des Aggressionsniveaus - hier hat die Forschung längst gezeigt, dass diese keine validen Schlussfolgerungen zulassen.

Kritisch sehen die Wissenschaftler auch, dass zu selten, nämlich nur bei der Hälfte der Studien, auf dritte Variablen kontrolliert wurde - etwa Geschlecht, familiäre Herkunft oder Persönlichkeit. Ebenfalls fanden Ferguson und Kilburn bei vielen der Studien einen deutlichen „Publication Bias“ - eine selektive Veröffentlichung bestimmter Ergebnisse. Insgesamt ergaben sich, über alle Studien berechnet, ein Korrelationsfaktor zwischen Mediengewalt und Aggression weit unter den Werten, die in klinischen Studien als signifikant betrachtet werden.

Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Ergebnisse stark - und zwar je nach der Methodologie, die bei den Studien Anwendung fand. Je näher die verwendeten Kennziffern für Aggression nämlich realer Aggression kamen, desto schwächer wurden die messbaren Auswirkungen von Mediengewalt. Das heißt, zwischen steigendem Blutdruck und verändertem Hautwiderstand und echter physischer Aggression stand bei den meisten Studienteilnehmern noch ein rationaler Prozess, der etwas mit Werten und Erziehung zu tun haben könnte. Auch Studien, die Einflüsse dritter Variablen mit einbezogen, kamen im Mittel zu schwächeren Ergebnissen. Experimentelle Studien erbrachten in der Regel stärkere Auswirkungen von Mediengewalt, und zwar bei Kindern in stärkerem Maße als bei Erwachsenen - jedoch leiden gerade diese Studien unter der Verwendung untauglicher Kenngrößen für Aggression.

Interessant sind auch die Folgerungen, die die Forscher aus ihren Ergebnisse ziehen. Sie befürchten nämlich, dass viele Studien zu Mediengewalt und Aggression vor allem aufgrund ideologischer oder politischer Anschauungen durchgeführt werden. Zufällig vereinten sich hier die Agenden konservativer und linker Kreise zu einem „Perfect Storm“ des politischen Opportunismus. Wissenschaftlicher Dogmatismus, meinen Ferguson und Kilburn, habe die Fähigkeit der Science-Community beschädigt, dieses Forschungsgebiet kritisch zu betrachten. Wenn das Ziel der Gesellschaft in einer Verminderung von Gewalt bestehe, solle man sich wissenschaftlich, politisch und ökonomisch doch besser und effizienter mit anderen Bereichen befassen.