Amokflug folgt Amoklauf

Washington setzt im "Kampf gegen den Terrorismus" offen auf biologische Aufrüstung - die Kritik aus Europa bleibt aus

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Trotz sich mehrender Kritik an den US-Angriffen auf Afghanistan wird in Europa derzeit keine wirkliche Alternative zur militärischen Antwort Washingtons im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus aufgezeigt. Dieser offensichtliche Freibrief zur neuen Aufrüstung in den USA im Schatten der Ereignisse des 11. September wird neben den laufenden und weiterhin angekündigten Militäraktionen nirgends so deutlich, wie in den Verhandlungen um die Konvention zum Verbot von biologischen Waffen. Die Diskussion zu diesem Papier läuft seit mehreren Monaten in Genf. Schon vor dem 11. September hatte Washington mit dem Rückzug für eine negative Überraschung gesorgt (USA lehnen Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention ab).

USAMRIID(US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases) in Fort Detrick, Maryland, ist das Zentrum der medizinischen B-Waffen-Defensivforschung in den USA. Foto: van Aken/Sunshine.

Nach diesem Datum aber ist die Entscheidung wohl nicht mehr umkehrbar. Innerhalb kürzester Zeit sind seither in den USA Absichtserklärungen und konkrete Schritte gemacht worden, die am neuen Umgang mit biologischen Waffen keinen Zweifel lassen. Eine der ranghöchsten Fachleute auf dem politischen Parkett der USA, Avis Bohlen, erklärte am 10. Oktober vor den Vereinten Nationen in New York, dass sich die USA künftig lediglich gegen den Einsatz letaler Kampfstoffe einsetzen werde. Die Diplomatin erklärte zudem, der Fokus müsse auf dem Einsatz solcher Stoffe liegen.

Damit wenden sich die USA offen gegen die Kernpunkte der geltenden Biowaffenkonvention, denn sowohl die Prävention vor dieser Waffengattung als auch das allumfassende Verbot biologischer Kampfstoffe wären unterlaufen. Nach Ansicht des Netzwerkes Sunshine Project sind diese Beschränkungen ein "Rückfall auf das Genfer Protokoll von 1925", denn die große Errungenschaft der Biowaffenkonvention von 1972 sei es gerade gewesen, durch die weitläufigen Verbote ein Wettrüsten bereits im Keim zu ersticken.

Bereits nach den Kongressberatungen über den Verteidigungshaushalt für das im Oktober beginnende Fiskaljahr war ein größeres Engagement für die Forschung an chemischen und biologischen Waffen gefordert worden. Dabei zeichnete sich ab, dass die für den Raketenabwehrschild geplanten Mittel nun der Forschung an nichtkonventionellen Kampfstoffen zugeführt werden. Kurz vor den Beratungen hatte der demokratische Senator Joseph Biden in einer öffentlichen Rede die Frage aufgeworfen, wie die Regierung der Gefahr durch diese biologischen und chemischen Waffen entgegentreten wolle, "wenn alle Mittel für die Fantasie eines Raketenabwehrschirms verwandt werden, dessen Wirksamkeit noch nicht einmal feststeht".

In diesem Gebäude in Fort Detrick, Maryland, wurden während des offensiven US-Biowaffenprogramms bis 1969 Milzbrand-Sporen für die Waffenproduktion hergestellt. Infos über dieses Gebäude. Foto: van Aken/Sunshine.

Wenige Tage nach den diversen Ankündigung folgten Konsequenzen auf der legislativen Ebene. Mit einer namentlichen Abstimmung sprach sich das US-Repräsentantenhaus für ein Gesetz aus, das die Kontrolle der US-amerikanischen Biowaffenforschung erschwert. Das Gesetz würde nach einer Verabschiedung durch den US-Senat gültig werden. Die Hardliner in der US-Politik legen damit ein halsbrecherisches Tempo an den Tag: Die erst vor wenigen Tagen mit der Resolution H.R. 3016 des Repräsentantenhauses schwächere Version ist durch das aktuelle Papiers H.R 3160 an Härte überholt worden. Im Wortlaut heißt es darin:

(1) IN GENERAL.- Any information in the possession of any Federal agency that identifies a person, or the geographic location of a person, who is registered pursuant to regulations under this section (including regulations promulgated before the effective date of this subsection),and any site-specific information relating to the type, quantity, or identity of a biological agent or toxin listed pursuant to subsection (d) or the site-specific security mechanisms in place to protect such agents and toxins, shall not be disclosed under section 552 (a) of title 5, United States Code.

Der Artikel 552 bezieht sich auf den sogenannten "Freedom of Information Act", mit dem es US-Bürgern ermöglicht wird, sich über staatliche Projekte zu informieren. Nachdem die internationale Gemeinschaft in Genf bei den Verhandlungen und die Biowaffenkonvention ausgebootet wurde, ist es künftig wahrscheinlich auch privaten wissenschaftlichen Institutionen oder Bürgervereinigungen in den USA nicht möglich, die Biowaffenforschung zu beobachten. Über die Strategie dahinter kann nun gemutmaßt werden.

"Keine Auskunft" – In Berlin hält man sich bedeckt

Im deutschen Außenministerium mag man sich mit der Materie öffentlich nicht befassen. Täte man es, müssten sich die deutschen Außenpolitiker Vorwürfe gefallen lassen. Die von Bundeskanzler Schröder nach dem 11. September erklärte "uneingeschränkte Solidarität" galt in diesem Haus in Sachen US-Biowaffenforschung tatsächlich schon in den Monaten zuvor. Trotz des offensichtlichen Verstoßes Washingtons gegen die Konvention hielten sich die Berliner Regierungsexperten still und vertrauten Stellungnahmen, nach denen die USA der Konvention wegen "fehlender Verifikationsmaßnahmen" kritisch gegenüberstünden. Diese Angabe entpuppte sich bald jedoch als Vorwand, als von der US-Presse Forschungsprojekte im eigenen Land offengelegt wurden (Pentagon bestätigt nach Pressebericht Forschung an biologischen Kampfstoffen). Trotz der Blamage steht die deutsche Regierung anscheinend weiter hinter den USA.

Ein Auskunft könne man derzeit nicht geben, hieß es am Dienstag im Auswärtigen Amt, noch nicht einmal über die Stärke der deutschen Delegation bei den Verhandlungen in Genf. Zu dieser Haltung mag beitragen, dass derzeit hochrangige US-Diplomaten auf Werbetour durch Europa unterwegs sind. Nach unbestätigten Berichten soll der US-Unterhändler Don Mahley Anfang vergangener Woche in London Gespräche zum Thema aufgenommen haben, zu vermuten ist daher sein Engagement auch an der Spree. SPD und Grüne scheinen sich von soviel Aufmerksamkeit beeindrucken zu lassen.