Datenschützer warnen vor Zerschlagung des Rechtsstaats

Blankes Entsetzen über das überarbeitete Anti-Terror-Paket Otto Schilys

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Der neue, nach den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen erstellte Gesetzesentwurf zur Terrorismusbekämpfung, den Telepolis am Donnerstag veröffentlichte (Der neue Otto-Katalog ist da), stellt für die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) eine Verschlimmbesserung dar. Die Datenschützer kritisieren den von Bundesinnenminister geplanten Aufbau eines Geheimdienststaates und fordern eine öffentliche Diskussion über das umfangreiche Maßnahmenpaket ohne Zeitdruck.

Thilo Weichert, Vorsitzender der DVD, glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er den konkreten Gesetzestext für das Update des "Otto-Katalogs" las. Nachdem die ersten Verlautbarungen nach dem Verhandlungsmarathon vom vergangenen Wochenende bei der Datenschutzvereinigung noch die Hoffnung aufkommen ließ, dass die grüne Bundestagsfraktion das Schlimmste verhindern konnte, wurde er beim Anblick des neuen Entwurfs eines Besseren – beziehungsweise Schlechteren – belehrt. "Was hier von einem rot-grünen Kabinett beschlossen werden soll, hätte sich die alte schwarz-gelbe Regierung nicht erlaubt", empört sich Weichert. Nicht die kurzfristige Abwehr von terroristischen Gefahren plane Schily, sondern "die Zerschlagung von Pfeilern unseres Rechtsstaates."

Im einzelnen kritisiert die Datenschutzvereinigung vor allem, dass sämtliche Geheimdienste in den Datenbeständen von Banken, Post-, Telekommunikations- und Flugunternehmen schnüffeln können sollen und "ganz nebenbei der große Lauschangriff für den Inlandsgeheimdienst eingeführt" werde. Neben diesen "neuen rechtsstaatlichen Grausamkeiten", gibt Weichert zu Bedenken, seien zudem fast alle aus dem alten "Otto-Katalog" erhalten geblieben.

Nebelkerzen-Regelung für mehr Befugnisse beim BKA

So spricht der DVD-Chef von einer "Nebelkerzen-Regelung" bei Schilys Vorhaben zur Befugniserweiterung des Bundeskriminalamts. Nach wie vor solle es auch im aktuellen Gesetzesentwurf weiterhin ohne Anfangsverdacht Daten erheben und speichern dürfen. Von Befristungen der Geltungsdauer von Befugnissen sei keine Rede mehr.

"An der Überwachung der Ausländerinnen und Ausländer ist praktisch kein Abstrich erfolgt", so Weichert weiter in seiner Stellungnahme. Sollte es bei der Biometrie im Ausweis von Deutschen politische Probleme geben, so würden die Ausländer eben als "Versuchskaninchen" vorgeschickt – per Handstreich des Innenministers, der dafür nur eine einfache Rechtsverordnung benötigen soll.

Praktische Effekte bei der Terrorismusbekämpfung sieht Weichert nicht in diesem Maßnahmen. Das Gesetz atme daher "eher den Geist des Kolonialismus als den eines weltoffenen modernen Deutschlands."

Den Grünen wirft Weichert vor, sich mit den von Schilys Tisch gefallenen "Brosamen" abspeisen zu lassen. Die von ihnen durchgesetzten Korrekturen wie Richtervorbehalte, eventuell zu erfolgende nachträgliche Benachrichtigungen oder die Notwendigkeit einer Entscheidung durch den Behördenleiter bei Überwachungsmaßnahmen liefen "teilweise ins Leere".

Die vorgeschlagene Überwachung der Überwacher sei zudem ein Witz. "Wer glaubt, mit einer schwindsüchtigen G-10-Kommission gewaltige Geheimdienstapparate kontrollieren zu können, irrt", erklärt Weichert im Hinblick auf das parlamentarische Gremium, das den Diensten auf die Finger schauen soll. Weichert moniert zudem, dass "im Entwurf an keiner Stelle von der Datenschutzkontrolle die Rede ist."

Letzte Station Bundesverfassungsgericht

Doch Schilys Strategie, "Unverschämtes zu fordern" und nach der Ruhigstellung des kleinen Koalitionspartners auch "Unverschämtes umzusetzen", scheint aufzugehen, fürchten die Datenschützer. Im Bundestag, der sich längst auf das Rennen um die innere Sicherheit eingelassen hat, vermisst Weichert kritische Stimmen.

Ein "Trauerspiel" böte vor allem die SPD, die sich anschicke, die CDU im Vorlauf für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr "rechts zu überholen". Hoffnung setzt der DVD daher letztlich nur noch auf das Bundesverfassungsgericht. Denn es bedürfe schon einer "massiven Veränderung der Rechtsprechung" des obersten deutschen Gerichts, wenn dieses den Otto-Katalog in seiner jetzigen Form hinnehmen würde.

Phrasenhafte Begründungen oder krasse Sicherheitslücken?

Da sich die Fraktionen im Parlament zu Schilys Plänen ausschweigen, versuchen derweil zumindest alte FDP-Kämpen die Lücke zu füllen. So konnte man in der Süddeutschen Zeitung vom Freitag die Schelte des ehemaligen Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch lesen, der bei Schily keinen "Respekt vor der Rechtstradition unseres Landes, vor Würde und Privatheit seiner Bürger" sieht.

Der Bundesinnenminister habe einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, "gegen den sich die Notstandsgesetze wie Träumereien am Kamin ausnehmen". Der Otto-Katalog, so Hirsch, "verrät totalitären Geist". Auch die "gesetzestechnische Systematik" des Entwurfs lasse an Qualität vermissen: "Seine Begründungen sind phrasenhaft und allgemein. Sie ersetzen Tatsachen durch Behauptungen und verhüllen den Sinn des eigentlich Gewollten."

Der bayrische Innenminister Günther Beckstein hat ebenfalls das Anti-Terror-Paket II in der Financial Times Deutschland scharf kritisiert. Es weise "krasse Sicherheitslücken" auf und müsse dringend nachgebessert werden – in die entgegen gesetzte Richtung, die den Datenschützern vorschwebt.

In dem Paket fehlt laut Beckstein etwa eine Regelung, die den Missbrauch von Kryptotechnologie verhindert. Zudem müsse eine länderpolizeiliche Befugnis geschaffen werden, grenzüberschreitenden Bargeldverkehr zu überwachen. Eine Mehrheit im Bundesrat werde Schily "deshalb nie bekommen", so der CSU-Politiker.