Kabinett beschließt Schilys Anti-Terror-Paket

Die Grünen wollen einen parallelen Fraktionsentwurf in den Bundestag einbringen, um die zunehmenden Proteste der Verbände zu berücksichtigen

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Neben der Bereitstellung von 3900 deutscher Soldaten für den von den USA angeführten Afghanistan-Krieg hat das Bundeskabinett in seiner Sitzung am heutigen Mittwoch auch das zweite Anti-Terror-Paket aus dem Bundesinnenministerium beschlossen. Der Aufruhr um die mögliche Entsendung von Streitkräften der Bundeswehr hätte Otto Schily dabei kaum gelegener kommen können. Denn während der geplante Auslandeinsatz nun die gesamte Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit auf sich zieht, geht der vom Innenminister gestartete Umbau des demokratischen Rechtsstaats in Deutschland weit gehend unter.

Der abgesegnete Kabinettsentwurf bringt nur noch formelle Änderungen zu dem nach zähen Verhandlungen mit den Grünen erarbeiteten Papier, das Telepolis vergangene Woche veröffentlichte (Der neue Otto-Katalog ist da). Wie das Bundesinnenministerium inzwischen auch selbst auf seiner Website erläutert, ist damit eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf den Weg gebracht worden, die tief in die Grundrechte der Bürger einschneiden.

Kernpunkte des Gesetzesentwurfs ist die Stärkung der Kompetenzen des Bundesamtes für Verfassungsschutzes sowie der anderen Geheimdienste. Wie der Bundesnachrichtendienst sollen die Verfassungsschützer in Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen bei Kreditinstituten und, bei Luftfahrtunternehmen und Postdienstleistern sowie bei Firmen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen, schnüffeln dürfen. Auch der MAD darf bei Telcos und Providern - weit gehend ohne Kontrolle - Auskünfte über Verbindungs- und Nutzungsdaten einholen.

Zudem sollen die Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) deutlich erweitert werden: Es erhält nach dem Plan des Innenministers die originäre Ermittlungskompetenz für "schwere Erscheinungsformen" von Datennetzkriminalität und soll damit vor allem bei Angriffen auf die "kritischen Infrastrukturen" tätig werden dürfen.

Grenzenloser Datenaustausch

Die Bestimmungen für das BKA, die in der Artikelanordnung des Kabinettsentwurfs im Gegensatz zu dessen Vorgängerversionen noch hinter die Ausführungen zum Pass- und Personalausweisgesetz gerückt sind, ermächtigt die Behörde, personenbezogene Daten im Rahmen der Terrorismusbekämpfung in Zukunft ohne vorherige Anfrage bei den Ländern durch die Einholung von Auskünften bei allen öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stellen, anderen Behörden sowie Stellen anderer Staaten und internationalen Organisationen, die mit der Verfolgung und Verhütung von Straftaten befasst sind, zu erheben.

Insgesamt eröffnen die Regelungen des Artikelgesetzes Polizeien und Nachrichtendiensten national wie international einen schier grenzenlosen Datenaustausch. Sie sollen allerdings zunächst auf fünf Jahre nach Inkrafttreten beschränkt werden.

Der Bundesrat muss dem Kabinettsentwurf jetzt noch zustimmen. Dort haben die Länder Bayern, Baden Württemberg und Hessen allerdings ihr eigenes Anti-Terror-Paket eingebracht, das im Plenum am Freitag vermutlich abgenickt wird. Darin fordern die Südländer eine Verschärfung zahlreicher Passagen. Beispielsweise dringen sie darauf - wie von der CDU/CSU-Fraktion bereits mehrfach gefordert (CDU-Leitlinien zur inneren Sicherheit in der Schusslinie) -, Diensteanbieter im Telekommunikations- und Teledienstebereich zu einer Vorratsdatenspeicherung zu verpflichten.

Verbände verschärfen die Kritik

Gleichzeitig wird allerdings auch die Kritik von Verbänden am "Otto-Katalog" immer lauter. Nachdem die Deutsche Vereinigung für Datenschutz Ende vergangner Woche bereits gegen den Aufbau eines Geheimdienststaats protestiert hatte (Datenschützer warnen vor Zerschlagung des Rechtsstaats), bekräftigen nun auch andere Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, die bereits den ersten "Geheimplan" Schilys auseinander nahmen (Hightech-Überwachungsstaat), ihre Einwände.

Den informellen Verbund von Verbänden wie der Humanistischen Union, dem Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein, Strafverteidigervereinigungen oder dem Chaos Computer Club stört nach wie vor die Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizeien, die erteilten Zugriffsrechte auf Telekommunikationsdaten sowie die elektronische Brandmarkung von allen Asylsuchenden über zehn Jahre hinweg. Derlei grundrechtsgefährdende Maßnahmen sind ineffektiv zur Terrorismusbekämpfung, fürchten die Bürgerrechtler. Inzwischen haben auch die Bundesdatenschutzbeauftragten das Sicherheitspaket als "nicht akzeptabel" bezeichnet (Datenschutzbeauftragte lehnen das zweite Antiterrorpaket der Bundesregierung ab).

BITKOM gegen Vorratsdatenspeicherung

Auch dem Branchenverband der Informations- und Telekommunikationswirtschaft BITKOM erscheinen die "weit reichenden präventiven Maßnahmen" Schilys "schon im Ansatz unverhältnismäßig". Denn nach wie vor sei nicht der erforderliche konkrete Nachweis erbracht worden, dass durch geplante Maßnahmen wie die Überwachung und langfristige Speicherung von Verbindungs- und Nutzungsdaten überhaupt eine Effizienzsteigerung bei der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung erreicht werde.

Den zweifelhaften Mitteln stehen aber "einschneidende Auswirkungen" für die Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf die Herstell- und Betriebskosten für Netze und Dienste entgegen, so die 1.250 von BITKOM vertretenen Unternehmen. Wenn Daten online und über einen lange zurückliegenden Zeitraum bereitstehen müssten, kämen auf die Branche Investitionen in noch nicht kalkulierbarer Höhe zu.

Mittelständische Anbieter und Dienstleister wären mit der über das bisher schon hohe Maß noch weit hinausgehenden Umfang technischer und betrieblicher Auflagen schlichtweg überfordert. Das geltende Telekommunikations- und Strafverfahrensrecht enthält laut Bitkom allerdings bereits ausreichende Regelungen, um "schon jetzt eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen.

Um die Kritik der Verbände parallel mit den Eingaben vom Bundesrat zu diskutieren, wollen die Bündnisgrünen nach der Verabschiedung des Kabinettsentwurfs nun auch einen identischen Fraktionsentwurf in den Bundestag einbringen. Damit soll das Anti-Terror-Paket für eine breite Debatte geöffnet werden. "Das eigentliche Gesetzgebungsverfahren fängt jetzt erst an", erläuterte Christine Rohleder, Rechtsexpertin der Bundestagsfraktion, das Vorhaben gegenüber Telepolis. Die Grünen würden dabei noch auf einige Änderungen pochen.